Gesammelte Werke von Johanna Spyri. Johanna Spyri. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johanna Spyri
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027209026
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zu flicken, der konnte da nicht bleiben. Der Winter droben im Dörfli war lang und kalt. Dann blies und wehte es von allen Seiten durch die Räume, daß die Lichter auslöschten und die armen Leute vom Frost geschüttelt wurden. Aber der Öhi wußte sich zu helfen. Gleich nachdem er zu dem Entschluß gekommen war, den Winter im Dörfli zuzubringen, hatte er das alte Haus wieder übernommen und war den Herbst durch öfter heruntergekommen, um darin alles so herzurichten, wie es ihm gefiel. Um die Mitte des Oktobermonats war er dann mit dem Heidi heruntergezogen.

      Kam man von hinten an das Haus heran, so trat man gleich in einen offenen Raum ein, da war auf einer Seite die ganze Wand und auf der anderen die halbe eingefallen. Über dieser war noch ein Bogenfenster zu sehen, aber das Glas war längst weg daraus, und dicker Efeu rankte sich darum und hoch hinauf bis zur Decke, die noch zur Hälfte fest war. Die war schön gewölbt, und man konnte gut sehen, das war die Kapelle gewesen. Ohne Tür kam man weiter in eine große Halle hinein, da waren hier und da noch schöne Steinplatten auf dem Boden, und zwischendurch wuchs das Gras dicht empor. Da waren die Mauern auch alle halb weg und große Stücke der Decke dazu, und hätten da nicht ein paar dicke Säulen noch ein festes Stück der Decke getragen, so hätte man denken müssen, diese könne jeden Augenblick auf die Köpfe derer niederfallen, die darunter standen. Hier hatte der Öhi einen Bretterverschlag ringsum gemacht und den Boden dick mit Streu belegt, denn hier in der alten Halle sollten die Geißen logieren. Dann ging es durch allerlei Gänge, immer halb offen, daß einmal der Himmel hereinguckte und einmal wieder die Wiese und der Weg draußen. Aber zuvörderst, wo die schwere, eichene Tür noch fest in den Angeln hing, kam man in eine große, weite Stube hinein, die war noch gut. Da waren noch die vier festen Wände mit dem dunkeln Holzgetäfel ohne Lücken, und in der einen Ecke stand ein ungeheurer Ofen, der ging fast bis an die Decke hinauf, und auf die weißen Kacheln waren große, blaue Bilder hingemalt. Da waren alte Türme darauf, mit hohen Bäumen ringsum, und unter den Bäumen ging ein Jäger dahin mit seinen Hunden. Dann war wieder ein stiller See unter weitschattigen Eichen, und ein Fischer stand daran und hielt seine Rute weit in das Wasser hinaus. Um den ganzen Ofen herum ging eine Bank, so daß man da gleich hinsetzen und die Bilder studieren konnte. Hier gefiel es dem Heidi sogleich. Sowie es mit dem Großvater in die Stube eingetreten war, lief es auf den Ofen zu, setzte sich auf die Bank und fing an die Bilder zu betrachten. Aber wie es, auf der Bank weiter gleitend, bis hinter den Ofen gelangte, nahm eine neue Erscheinung seine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag: In dem ziemlich großen Raume zwischen dem Ofen und der Wand waren vier Bretter aufgestellt, so wie zu einem Apfelbehälter. Darinnen lagen aber nicht Äpfel, da lag unverkennbar Heidis Bett, ganz so, wie es oben auf der Alm gewesen war: ein hohes Heulager mit dem Leintuch und dem Sack als Decke darauf. Das Heidi jauchzte auf:

      »Oh, Großvater, da ist meine Kammer, o wie schön! Aber wo mußt du schlafen?«

      »Deine Kammer muß nahe beim Ofen sein, damit du nicht frierst«, sagte der Großvater, »die meine kannst du auch sehen.«

      Das Heidi hüpfte durch die weite Stube dem Großvater nach, der auf der anderen Seite eine Tür aufmachte, die in einen kleinen Raum hineinführte, da hatte der Großvater sein Lager errichtet. Dann kam aber wieder eine Tür. Das Heidi machte sie geschwind auf und stand ganz verwundert still, denn da sah man in eine Art von Küche hinein, die war so ungeheuer groß, wie es noch nie in seinem Leben eine gesehen hatte. Da war viel Arbeit für den Großvater gewesen, und es blieb auch noch immer viel zu tun übrig, denn da waren Löcher und weite Spalten in den Mauern auf allen Seiten, wo der Wind hereinpfiff, und doch waren schon so viele mit Holzbrettern vernagelt worden, daß es aussah, als wären ringsum kleine Holzschränke in der Mauer angebracht. Auch die große, uralte Tür hatte der Großvater wieder mit vielen Drähten und Nägeln festzumachen verstanden, so daß man sie schließen konnte, und das war gut, denn nachher ging es in lauter verfallenes Gemäuer hinaus, wo dickes Gestrüpp emporwuchs und Scharen von Käfern und Eidechsen ihre Wohnungen hatten.

      Dem Heidi gefiel es wohl in der neuen Behausung, und schon am anderen Tage, als der Peter kam, um zu sehen, wie es in der neuen Wohnung zugehe, hatte es alle Winkel und Ecken so genau ausgeguckt, daß es ganz daheim war und den Peter überall herumführen konnte. Es ließ ihm auch durchaus keine Ruhe, bis er ganz gründlich alle die merkwürdigen Dinge betrachtet hatte, die der neue Wohnsitz enthielt.

      Das Heidi schlief vortrefflich in seinem Ofenwinkel, aber am Morgen meinte es doch immer, es sollte auf der Alp erwachen und es müsse gleich die Hüttentür aufmachen, um zu sehen, ob die Tannen darum nicht rauschten, weil der hohe, schwere Schnee darauf liege und die Äste niederdrücke. So mußte es jeden Morgen zuerst lange hin und her schauen, bis es sich wieder besinnen konnte, wo es war, und jedesmal fühlte es etwas auf seinem Herzen liegen, das es würgte und drückte, wenn es sah, daß es nicht daheim sei auf der Alp. Aber wenn es dann den Großvater reden hörte draußen mit dem Schwänli und dem Bärli und dann die Geißen so laut und lustig meckerten, als wollten sie ihm zurufen: »Mach doch, daß du einmal kommst, Heidi«, dann merkte es, daß es doch daheim war, und sprang fröhlich aus seinem Bette und dann so schnell als möglich in den großen Geißenstall hinaus. Aber am vierten Tage sagte das Heidi sorglich: »Heute muß ich gewiß zur Großmutter hinauf, sie kann nicht so lange allein sein.«

      Aber der Großvater war nicht einverstanden. »Heute nicht und morgen auch noch nicht«, sagte er. »Die Alm hinauf liegt der Schnee klaftertief, und immer noch schneit es fort; kaum kann der feste Peter durchkommen. Ein Kleines wie du, Heidi, wäre auf der Stelle eingeschneit und zugedeckt und nicht mehr zu finden. Wart noch ein wenig, bis es friert, dann kannst du bequem über die Schneedecke hinaufspazieren.«

      Das Warten machte zuerst dem Heidi ein wenig Kummer. Aber die Tage waren jetzt so angefüllt von Arbeit, daß immer einer unversehens dahin war und ein anderer kam. Jeden Morgen und jeden Nachmittag ging das Heidi jetzt in die Schule im Dörfli und lernte ganz eifrig, was da zu lernen war. Den Peter sah es aber fast nie in der Schule, denn meistens kam er nicht. Der Lehrer war ein milder Mann, der nur dann und wann sagte: »Es scheint mir, der Peter sei wieder nicht da. Die Schule täte ihm doch gut, aber es liegt auch gar viel Schnee dort hinauf, er wird wohl nicht durchkommen.« Aber gegen Abend, wenn die Schule aus war, kam der Peter meistens durch und machte seinen Besuch beim Heidi.

      Nach einigen Tagen kam die Sonne wieder hervor und warf ihre Strahlen über den weißen Boden hin, aber sie ging ganz früh wieder hinter die Berge hinab, so als gefalle es ihr lange nicht so gut herunterzuschauen wie im Sommer, wenn alles grünte und blühte. Aber am Abend kam der Mond ganz hell und groß herauf und leuchtete die ganze Nacht über die weiten Schneefelder hin, und am anderen Morgen glitzerte und flimmerte die ganze Alp von oben bis unten wie ein Kristall. Als der Peter wie die Tage vorher aus seinem Fenster in den tiefen Schnee hinabspringen wollte, ging es ihm, wie er nicht erwartet hatte. Er nahm einen Satz hinaus, aber anstatt ins Weiche hinab zu kommen, schlug es ihn auf dem unerwartet harten Boden gleich um, und unversehens fuhr er ein gutes Stück den Berg hinunter wie ein herrenloser Schlitten. Sehr verwundert kam er schließlich wieder auf seine Füße, und nun stampfte er mit aller Macht auf den Schneeboden, um sich zu versichern, daß auch wirklich möglich sei, was ihm soeben begegnet war. Es war richtig: Wie er auch stampfte und einschlug mit den Absätzen, kaum konnte er ein kleines Eissplitterchen herausschlagen. Die ganze Alm war steinhart zugefroren. Das war dem Peter eben recht: Er wußte, daß dieser Zustand der Dinge nötig war, damit das Heidi einmal wieder da heraufkommen konnte. Schleunig kehrte er um, schluckte seine Milch hinunter, welche die Mutter eben auf den Tisch gestellt hatte, steckte sein Stücklein Brot in die Tasche und sagte eilig: »Ich muß in die Schule.«

      »Ja, so geh und lern auch brav«, sagte die Mutter beistimmend.

      Der Peter kroch zum Fenster hinaus - denn nun war man eingesperrt um des Eisberges willen vor der Türe -, zog seinen kleinen Schlitten nach sich, setzte sich darauf und schoß den Berg hinunter.

      Es ging wie der Blitz, und als er beim Dörfli da ankam, wo es gleich weiter hinab gegen Maienfeld hin ging, fuhr der Peter weiter, denn es kam ihm so vor, als müßte er sich und dem Schlitten Gewalt antun, wenn er auf einmal den Lauf einhalten wollte. So fuhr er zu, bis er ganz unten in der Ebene ankam und es von selbst nicht mehr weiterging. Dann stieg er ab und schaute sich um. Die Gewalt der Niederfahrt hatte ihn noch ziemlich über Maienfeld hinausgejagt. Jetzt bedachte er, daß er jedenfalls zu spät in die