»Es ist wunderschön hier, gelt?«, sagte sie leise voller Inbrunst, nachdem sie gemeinsam den Tisch abgeräumt hatten und wieder auf die Terrasse traten.
Thomas nahm die Gelegenheit wahr und legte den Arm um sie.
»Weil du hier bist«, raunte er ihr ins Ohr.
Sein Atem machte ihr eine Gänsehaut. Durch seine Geste ermuntert, legte sie den Kopf an seine Schulter und schloss ein paar pochende Herzschläge lang die Augen. Sie konnte an das Glück, das hier im Ruhweiler Tal anscheinend auf sie gewartet hatte, noch gar nicht so richtig glauben.
»Geht das mit uns nicht alles viel zu schnell?«, fragte sie.
Sie öffnete die Lider und sah ihn an.
»Für mich nicht«, antwortete er mit ernstem Blick. »Ich spüre jetzt schon eine Vertrautheit mit dir, die ich noch nie bei einer Frau empfunden habe. Eine Seelenverwandtschaft, von der die Schriftsteller immer schreiben.«
Da durchfuhr Claudia das Gefühl von Seligkeit. Ein Gefühl, wie sie es noch nie erlebt hatte. Es strömte durch ihren Körper, drang in jede einzelne Zelle, füllte sie gänzlich aus. Am liebsten hätte sie eingestimmt in das Jubilieren der Nachtigall, um dieser Empfindung Ausdruck zu verleihen.
»Sieh mich an«, sagte Thomas nun in bestimmendem Ton. Dabei legte er ihr die Hand auf den Nacken und zog ihren Kopf näher an sein Gesicht heran. Sein Daumen streichelte zärtlich ihren Haaransatz. »Vertrau mir«, fuhr er mit eindringlichem Blick fort. »Ich werde dich nicht enttäuschen. Das schwöre ich dir.«
Dann nahm er ihre Hand, drehte sie um und küsste die Haut ihres inneren Handgelenks, genau die Stelle, unter der ihr Blut pulsierte. Die Berührung seiner Lippen war nur ein Hauch, aber sie löste in ihr ein Feuerwerk aus.
»Küss mich«, flüsterte sie benommen.
Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und neigte sich ihm voller Hingabe und Vertrauen entgegen.
Die Spannung, die den ganzen Abend zwischen ihnen geknistert hatte, entlud sich nun in ihren Küssen. Während sich ihre Lippen immer wieder fanden und mit immer größerer Leidenschaft miteinander verschmolzen, verloren sich die beiden in einem Rausch, der sie blind für ihre Umgebung machte. Das konnte selbst die dunkle Gestalt erkennen, die oben am Waldrand hockte und von dort aus diese Liebesszene beobachtete.
*
Von diesem Abend an sahen sich Claudia und Thomas täglich. Meistens besuchte Thomas seine Hexenfee. Er hatte sich nicht nur in Claudia, sondern auch in das Haus in der Wiese verliebt. Dort genossen sie die süßen Stunden, verweilten im Märchenland der Liebe, wo es nur Zärtlichkeit und große Gefühle gab. Davon konnten sie nicht genug bekommen.
Da Thomas in seiner Apotheke eifrig die Werbetrommel für Claudias Naturprodukte rührte, konnte sie über deren Absatz nicht klagen. Vielmehr war das Gegenteil der Fall. Mit jedem Tag wuchs ihr Kundenkreis. Immer mehr Frauen kamen in ihren Kräuterladen, schauten sich um, ließen sich beraten und gingen mit vollen Taschen nach Hause.
Claudia glaubte, auf Wolken zu schweben. Alles lief glatt, in ihrem Liebesleben wie auch in ihrem Geschäft. Sie war gerade dabei, Vertrauen in dieses unendliche Glück zu fassen, das das Schicksal für sie vorgesehen zu haben schien, als es jäh zerbrach.
*
Es war einer dieser schönen Sommerabende, an dem die Brunners gern noch zu später Stunde draußen saßen. Die Steinache plätscherte ruhig unterhalb des Praxishügels vorbei, und unten im Ort gingen allmählich die Lichter aus. Matthias und Ulrike Brunner lehnten sich zurück und genossen die Ruhe, den Frieden und ihre Zweisamkeit. In solchen Momenten konnte sich der Landarzt am besten von seiner oft so anstrengenden Arbeit erholen.
»Ich habe ganz vergessen, dir zu erzählen, dass wir heute ein Karte von Angela und Christian erhalten haben.«
»Müssten die beiden nicht längst wieder von ihrer Hochzeitsreise zurück sein?«, fragte Matthias erstaunt.
Seine Frau lachte. »Denkst du. Sie haben verlängert, wie ich heute von Frau Häferle erfahren habe. Sie wollen sich noch ein bisschen in Texas umsehen.«
»Und das geht so einfach?« Der Landarzt sah sie verdutzt an.
»Das ist der Vorteil, wenn man in der Firma seines Vaters arbeitet«, erwiderte Ulrike augenzwinkernd. »Ich gönne es Angela von Herzen«, fuhr sie ernst fort. »Du sagst doch auch immer deinen Patienten, dass ein Urlaub unter drei Wochen keinen Erholungswert hat.«
»Stimmt.« Matthias lachte. »Das ist ja auch der Grund, warum wir beide gar nicht erst in Urlaub fahren. Wir können es uns nicht leisten, drei Wochen wegzubleiben. Was sollen dann unsere Patienten machen?«
»Mein lieber Schatz …« Ulrike beugte sich zu ihrem Mann hinüber und streichelte liebevoll seine Wange. »Mein Landdoktor, immer im Dienst.«
»Schlimm?«
»Nein, überhaupt nicht schlimm. Ich wusste doch von Anfang an, dass ich einen Mann heiratete, der Arzt aus Leidenschaft ist. Außerdem leben wir hier in einer Urlaubsgegend und genießen an jedem Abend wie diesem auf unserer Terrasse Ferienfeeling.«
»Soll ich dir etwas sagen?« Matthias sah seine Frau an mit all der Liebe in den Augen, die er für sie empfand. »Du bist meine absolute Traumfrau. Selbst nach über dreißig Jahren noch. Ich würde dich morgen sofort wieder heiraten.«
»Und ich würde wie vor über dreißig Jahren morgen sofort wieder Ja sagen«, erwiderte die Landarztgattin leise, stand auf und setzte sich auf die Sessellehne.
Die beiden wollten sich gerade innig küssen, als das Handy des Landdoktors klingelte. Sie sahen sich an.
»O nein!«, rief Ulrike hörbar entsetzt aus.
»Mist, bestimmt ein Notfall«, murmelte Matthias ebenso enttäuscht.
Ulrike lachte und stand wieder auf. »So viel zum Ferienfeeling auf unserer Terrasse.«
*
Keine fünf Minuten später saß Matthias im Auto und fuhr zu einem abgelegenen Hof. Der Bauer lag seit ein paar Stunden mit Fieber, Magenkrämpfen und Erbrechen im Bett. Seine Frau empfing Matthias händeringend und weinend.
»Führen Sie mich zu ihm, dann untersuche ich ihn erst einmal«, beruhigte er die Bäuerin.
Er atmete insgeheim auf, als die Frau vor der Schlafzimmertür stehen blieb und den Eindruck vermittelte, dass sie der Untersuchung nicht beiwohnen wollte. Hysterische Verwandte konnten nur störend sein, das wusste er aus seiner jahrelangen Tätigkeit.
Der ältere Mann bot ein jämmerliches Bild. Bleichgesichtig und einem Schock nahe lag er in dem grell erleuchteten Raum, in dem es unangenehm nach Erbrochenen roch. Bevor Matthias sich zu seinem Patienten setzte, riss er die Fenster auf. Dann ließ er sich von dem Bauern, der sichtlich geschwächt war, dessen Symptome beschreiben und stellte einen starken Blutdruckabfall fest.
»Ich gebe Ihnen eine Flüssigkeit- und Salzinfusion«, sagte er. »Die lässt Ihren Blutdruck wieder ansteigen. Und ein Zäpfchen gegen die Übelkeit. Ganz wichtig ist in den kommenden Tagen, dass Sie viel Flüssigkeit und leichte Kost zu sich nehmen. Morgen wird es Ihnen schon wieder besser gehen, davon bin ich überzeugt.«
Der Bauer nickte nur stumm. Während Matthias bei ihm sitzen blieb, bis die Infusion durchgelaufen war, erkundigte er sich, was dieser zum Abendbrot gesessen hatte.
»Eine Jause halt«, murmelte der alte Mann. »Speck, Käse, Brot und Gurken dazu.«
»Geräucherten Speck?«
»Ja.«