»Das wird der Bauer zu Hause übernehmen«, versicherte Thomas ihr.
Da sah sie auch schon in der Ferne das alte Bauernhaus liegen. Hell erleuchtet war es.
»Haben wir Gäste, von denen ich nichts weiß?«, fragte sie erstaunt.
Doch sie sollte noch mehr staunen, als Thomas das Pferd auf den Hof lenkte.
»Was ist denn das?«, rief sie ungläubig aus. Sie stand auf, hielt sich an seiner breiten Schulter fest und glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können.
Auf den Pflastersteinen lag ein riesiges Herz aus roten Rosenblättern. Seine Größe nahm die gesamte Hoffläche ein. Und mittendrin stand auf dem schwarzen Pflaster mit weißer Kreide geschrieben: Haus Hexenfee.
Verwirrt sah sie Thomas an.
»Damit du immer auf Rosen gebettet bist«, erklärte er ihr die Überraschung. Dann stand er auf, sprang aus der Kutsche und rief: »Warte, ich hebe dich heraus.«
Hand in Hand, so, wie sie fortan durch ihr Leben gehen wollten, traten sie in das Rosenblätterherz. Claudia bückte sich, nahm eine Handvoll und tauchte ihre Nase hinein. »Welch ein Duft.« Sie strahlte zu ihrem Mann hoch.
»Du kannst Rosenöl aus ihnen machen. Ich habe sie aus Bulgarien kommen lassen. Aus dem berühmten Tal der Rosen. Für meine Hexenfee.«
Da fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn. Als sie sich wieder losließen, zeigte sie auf die weiße Schrift.
»Haus Hexenfee«, las sie vor und lächelte dabei versonnen.
»Schau mal.« Thomas nahm sie wieder an die Hand und mitten in das Geschriebene hinein. Dort lag ein Umschlag, den sie bis jetzt noch gar nicht wahrgenommen hatte.
»Heb ihn auf«, sagte er.
Sie ging in die Hocke, öffnete ihn mit spitzen Fingern.
»Dieses Haus soll meiner Hexenfee und unseren Kindern stets ein behütetes Zuhause sein. Für immer«, las sie den Inhalt des Briefes leise vor.
Ungläubig sah sie ihren Mann an. Da lachte Thomas, zog sie hoch und nickte.
»Ja, ich habe das Haus deinem ehemaligen Vermieter abgekauft. Für dich, für uns, unsere Kinder und den Hund.«
Das Glück schnürte Claudia den Hals zu. Sie schluchzte trocken auf. Als Thomas sie in die Arme nahm, spürte sie ein Klingen in sich, das von ihrer Seele ausging und sich mit dem in ihrem Herzen vereinte. Das Glück und die Liebe waren zu ihr gekommen, und sie würde alles dafür tun, um beiden hier unter diesem Dach ein Zuhause zu geben. Für alle Zeiten.
*
»Wie schnell die Zeit vergeht«, sagte Ulrike Brunner und legte das Buch auf den Tisch.
Matthias sah sie über die Lesebrille hinweg an. Er saß vor dem Kachelofen und stöberte in einer seiner geliebten Fachzeitschriften herum. Draußen vor dem Schwarzwaldhaus schüttelte der Wind die Blätter von den Obstbäumen.
»Bald kommt der Winter, dann das Frühjahr …«, sinnierte seine Frau weiter.
Er stand auf, setzte sich neben sie auf die Bank hinter dem Stubentisch und nahm sie in den Arm.
»Sentimental?«, fragte er leise.
»Vielleicht ein bisschen«, gab sie zu. »Das ist der Herbstblues.«
Er lachte. »Aber doch nicht bei einer Frohnatur wie dir«, widersprach er ihr.
Sie sah ihn zweifelnd an. »Mein Alter vielleicht? Mit jedem Sommer werde ich älter.«
»Stimmt nicht. Mit jedem wirst du jünger. Äußerlich schaust du glatt zehn Jahre jünger aus. Und von deiner Art bist du sowieso jünger. Welche Frau in deinem Alter sitzt in diesem Moment im weitläufigen Schwarzwald mit angezogenen Beinen auf der Holzbank, knabbert an ihrem Finger und hat gerade in einem Märchenbuch gelesen?«
Da musste Ulrike lachen, herzhaft und fröhlich. Dann gab sie ihrem Mann einen Kuss.
»Niemand außer dir versteht es, mir sofort wieder gute Laune zu schenken.«
»Du weißt doch, bei meinen Patientinnen muss ich auch manchmal den Psychologen geben.«
Wieder lachte sie. »Aber deren schlechte Stimmung peppst du hoffentlich nicht mit so schönen Komplimenten auf.«
»Niemals«, versicherte er ihr treuherzig und küsste sie auf die Nasenspitze. »Jetzt ein Gläschen Glottertaler?« Aufmunternd zwinkerte er ihr zu.
»Ja, jetzt gern. Du weißt ja, das schmeckt mir nur, wenn es mir gut geht.«
Der Landarzt wollte gerade aufstehen, als Ulrike ihn zurückhielt. »Übrigens, ich muss dir noch etwas erzählen. Etwas, was eigentlich sehr positiv ist.«
»Dann leg los.«
Seine Frau setzte sich im Schneidersitz hin und verschlang die Finger ineinander.
»Ich habe heute Nachmittag Frau Hölderlein getroffen. Sie erzählte mir von Maja.«
»Wie geht es ihr?«
»Der Schock über ihre Tat muss sie sehr verändert haben. Die Therapie schlägt gut an, und ein Anwalt bemüht sich, sie vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren. Sie hat sich freiwillig bereit erklärt, ohne Bezahlung in der Klinik zu arbeiten. Als Reinemacherin und in der Küche. Außerdem hat sie dort einen Chor gegründet. Einen Chor, der aus psychisch erkrankten Kindern besteht. Die Arbeit macht ihr sehr viel Freude.«
»Das ist wirklich eine schöne Nachricht«, stimmte Matthias seinem Lockenköpfle zu. »Eine, die jeden Herbstblues vertreiben sollte.«
Da lachte Ulrike wieder. »Herbstblues? Was ist denn das?«
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