»Ihr verfluchten Mörder!« rief er. »Wir werden doch noch mit euch abrechnen!«
5. Die trübste Stunde
Wenn es noch eines Geschehnisses bedurft hätte, um McMurdos Ruhm bei seinen Genossen zu vervollständigen, so hätte seine Verhaftung und Freisprechung dies bewirkt. Daß ein Mensch schon am Abend seiner Aufnahme in die Loge in Ausübung seiner Logenpflichten vor die Richter kam, stellte einen Rekord in der Geschichte des Bundes dar. Man kannte ihn bereits als guten Gesellschafter, als fröhlichen Zecher, aber auch als einen Mann von hitzigem Wesen, der sich nicht einmal etwas von dem allmächtigen Meister gefallen ließ. Er verstand es jedoch auch, bei seinen Kameraden den Eindruck zu erwecken, daß niemand fähiger war als er, blutdürstige Pläne zu schmieden und sie auch auszuführen.
»Wenn er drankommt, wird er seine Sache gut machen,« sagten sich die älteren und sahen ungeduldig diesem Zeitpunkt entgegen. McGinty hatte zwar schon genug Werkzeuge seines Willens, aber in McMurdo glaubte er ein solches höherer Ordnung zu erkennen. Er kam ihm vor wie ein im Zaum gehaltener Wachhund. An Kreaturen für minder wichtige Arbeit war kein Mangel, aber eines Tages würde er diese Vollblutkreatur auf eine ihrer würdige Beute loslassen. Einige Mitglieder der Loge, Ted Baldwin unter ihnen, grollten zwar über den raschen Aufstieg des Fremden und bedachten diesen deswegen mit ihrem Haß, aber sie wichen ihm aus. Sie waren sich bewußt, daß er ebenso rasch bereit war zu kämpfen wie zu lachen.
Während er so in der Gunst seiner Genossen stieg, gab es andere Menschen, die ihm unendlich mehr galten, bei denen er sie verlor. Ettie Shafters Vater wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben und verwehrte ihm, sein Haus zu betreten. Ettie selbst liebte ihn zu sehr, um ihn ganz aufzugeben, aber eine innere Stimme warnte sie vor dem, was kommen würde, wenn sie sich an einen erklärten Verbrecher ketten ließe. Nach einer schlaflosen Nacht entschloß sie sich eines Morgens, mit ihm zu sprechen – voraussichtlich zum letztenmal – und noch einen Versuch zu machen, ihn von dem schlechten Einfluß, unter dem er stand, zu befreien. Sie suchte ihn in seinem Heim auf, was er so oft erfleht hatte. Er saß am Tisch im Wohnzimmer mit dem Rücken gegen die Tür und hatte einen Brief vor sich. Die Schalkhaftigkeit ihrer jungen Jahre – sie war erst neunzehn – regte sich in ihr bei diesem Anblick. Er hatte ihr Eintreten nicht gehört. Auf den Zehenspitzen schlich sie näher und legte ihre Hand auf seine leichtgebeugte Schulter.
Wenn es ihre Absicht gewesen war, ihn zu überraschen, so gelang ihr dies in einem Grade, der sie selbst überraschte. Wie ein Tiger sprang er auf sie zu, indem er mit seiner rechten Hand ihre Gurgel erfaßte. Mit der anderen zerknüllte er im selben Augenblick das vor ihm liegende Papier. Eine volle Sekunde lang stierte er sie wie von Sinnen an, dann wich seine Überraschung, und die Wildheit, die sein Gesicht verzerrte, – ein Anblick, der sie entsetzt zusammenfahren ließ, wie vor etwas, das ihr friedliches Leben noch nicht kannte – machte stürmischer Freude Platz.
»Du bist’s!« rief er, indem er sich den Schweiß von der Stirne wischte. »Du kommst zu mir, Liebste? Und ich empfange dich damit, daß ich dir an die Gurgel fahre!«
Er breitete die Arme aus.
»Komm in meine Arme, Liebling, und laß es mich wieder gutmachen.«
Sie hatte sich indessen von dem Schreck, den ihr der Einblick in die schuldige Seele des Mannes eingeflößt hatte, und von dem Ausdruck des wilden Entsetzens in seinen Zügen noch nicht völlig erholt. Ihr weiblicher Instinkt sagte ihr, daß es nicht bloß Überraschung sein konnte, die solche Wirkungen hervorbrachte, es war das Bewußtsein der Schuld.
»Was ist denn los mit dir, Jack?« rief sie. »Warum warst du so erschrocken? O Jack, wenn du ein ruhiges Gewissen hättest, würdest du mich nicht so angesehen haben.«
»Ach nein, ich dachte nur an andere Dinge, und wie da auf deinen Elfenfüßen so hereingeschwebt kamst, –«
»Nein, nein, Jack, es war mehr als das.« Ein Verdacht erfaßte sie plötzlich. »Laß mich den Brief sehen, den du eben geschrieben hast.«
»Ich kann nicht, Ettie.«
Ihr Verdacht verdichtete sich zur Gewißheit.
»Es ist eine andere,« rief sie. »Jetzt weiß ich es. Warum solltest du sonst den Brief vor mir verbergen wollen? Ist es deine Frau, an die du schriebst? Wie kann ich wissen, ob du nicht verheiratet bist? Du, ein Fremder, von dem niemand etwas weiß.«
»Ich bin nicht verheiratet, Ettie, das kann ich beschwören. Du bist die einzige, die für mich existiert. Ich schwöre es auf das heilige Kreuz.«
So deutlich war der tiefe Ernst auf dem von innerer Erregung zitternden Gesicht zu lesen, daß sie nicht anders konnte, als ihm zu glauben.
»Nun denn,« sagte sie, »warum willst du mir dann den Brief nicht zeigen?«
»Ich werde es dir sagen, Geliebte,« rief er. »Ich habe geschworen, ihn niemand zu zeigen, und so wie ich dir gegenüber stets mein Wort halten werde, muß ich es auch anderen gegenüber tun. Es ist eine Sache der Loge, die selbst dir ein Geheimnis bleiben muß. Da kannst dir wohl denken, als ich deine Hand auf meiner Schulter fühlte, konnte es ebensogut die eines Detektives sein.«
Sie fühlte, daß er die Wahrheit sprach. Er schlang seinen Arm um sie und verscheuchte mit seinen Küssen ihre Furcht und Zweifel.
»Setz’ dich zu mir her. Es ist ein sonderbarer Thron für meine Königin, aber es ist das Beste, was ein armer Liebhaber finden kann. Später werden wir vielleicht etwas Besseres finden. Bist du jetzt wieder beruhigt, Kind?«
»Ich kann niemals beruhigt sein, Jack, solange ich weiß, daß du ein Verbrecher unter Verbrechern bist; solange es möglich ist, daß du einmal auf die Anklagebank wegen Mordes kommen kannst. McMurdo, die neue Leuchte der Mörderbande, so hat dich einer unserer Pensionäre gestern genannt. Es schnitt mir in die Seele wie ein Messer.«
»Das sind Worte, nichts als Worte.«
»Aber sie sind wahr.«
»Nun, Liebste, es ist nicht so schlimm, wie du denkst. Wir sind arme Leute, die sich auf ihre Weise ihr Recht zu verschaffen suchen.«
Ettie schlang ihre Arme um den Hals des Geliebten.
»Laß es sein, Jack! Um meinetwillen, laß es sein! Ich bin hierher gekommen, nur um dich darum zu bitten. Sieh mich an, Jack, ich flehe dich an auf meinen Knien, kniefällig bitte ich dich, laß es sein!«
Er richtete sie wieder auf und legte beruhigend ihren Kopf an seine Brust. »Liebste, du weißt nicht, um was du mich bittest. Wie könnte ich unsere Sache aufgeben, meinen Schwur brechen und meine Kameraden verraten. Wenn du wüßtest, wie es um mich steht, würdest du mich nicht darum bitten. Und selbst wenn ich wollte, ich könnte nicht. Glaubst du vielleicht, daß mich die Loge ziehen lassen würde mit all den Geheimnissen, die man mir anvertraut hat?«
»Ich habe schon daran gedacht, Jack, und ich habe mir einen Plan zurechtgelegt. Vater hat sich einiges erspart. Er möchte ohnedies gerne weg von diesem Ort, wo die Furcht unser ganzes Leben vergiftet. Er ist jederzeit bereit, wegzuziehen. Wir könnten nach Philadelphia oder New York fliehen, wo wir vor den Leuten hier sicher wären.«
McMurdo lachte.
»Die Macht der Loge reicht sehr weit. Bildest du dir etwa ein, daß sie schon in Philadelphia oder New York endet?«
»Nun, dann woandershin, nach dem Westen oder nach England oder nach Schweden, wo Vater herstammt. Irgendwohin, nur weg aus diesem Tal des Grauens.«
McMurdo dachte an den alten Bruder Morris.
»Das ist schon das zweite Mal, daß ich das Tal so nennen höre,« sagte er. »Die Schatten scheinen wirklich auf einigen von euch schwer zu lasten.«
»Sie