»Es ist unwahrscheinlich, daß ich mit ihm umgehen werde, denn ich mag den Mann nicht leiden,« antwortete McMurdo. »Und was das Verräterischsein anbelangt, so möchte ich Ihnen sagen, daß jeder andere außer Ihnen es bereuen würde, dieses Wort in meiner Gegenwart auszusprechen.«
»Nun gut, damit ist die Sache für mich erledigt,« sagte McGinty, indem er sein Glas leerte. »Ich wollte Ihnen nur einen gutgemeinten Wink geben.«
»Es würde mich interessieren,« sagte McMurdo, »woher Sie wissen, daß ich mit Morris gesprochen habe.«
»Es ist eine meiner Aufgaben, alles zu wissen, was hier vorgeht,« antwortete McGinty lachend. »Sie werden gut tun, sich dies gegenwärtig zu halten. Nun denn, meine Zeit ist abgelaufen und ich muß jetzt gehen.«
Sein Abschiednehmen wurde jedoch in einer völlig unerwarteten Weise unterbrochen. Mit einem plötzlichen Schlag flog die Tür auf, und drei finstere, aufgeregte Gesichter, beschattet von der Schirmmütze der Polizei, starrten durch die Türöffnung. McMurdo sprang auf und hatte bereits den Revolver halb aus seiner Tasche gezogen, als er gewahr wurde, daß zwei Gewehre auf seinen Kopf gerichtet waren, worauf er den Arm wieder sinken ließ. Ein uniformierter Mann trat ins Zimmer mit einem Revolver in der Hand. Es war Kapitän Marvin, der vormalige Beamte der Chicagoer Polizei, zu jener Zeit aber Leiter der Kohlen-und Eisenpolizei. Mit einem Kopfschütteln und einem halben Lächeln blickte er auf McMurdo.
»Ich habe mir doch gedacht, daß er mir bald ins Gehege kommen würde, der windige Herr McMurdo aus Chicago,« sagte er. »Er kann es eben nicht lassen. Nehmen Sie Ihren Hut und kommen Sie mit.«
»Das wird Ihnen teuer zu stehen kommen, Kapitän Marvin,« sagte McGinty. »Wer sind Sie denn eigentlich, möchte ich wissen, daß Sie sich herausnehmen, derart in ein Haus einzudringen und ehrliche, gesetzesfürchtige Leute zu belästigen?«
»Wir haben nichts gegen Sie, Rat McGinty,« sagte der Polizeikapitän. »Wir sind nicht Ihretwegen gekommen, sondern wegen dieses McMurdo. Es ist Ihre Aufgabe, uns in der Ausübung unserer Pflicht zu unterstützen und nicht zu behindern.«
»Er ist mein Freund, und ich stehe für ihn ein,« sagte McGinty.
»Ich glaube, daß Sie eines schönen Tages für sich selbst einzustehen haben werden, Mr. McGinty,« antwortete der Polizeikapitän. »McMurdo war schon ein verdächtiger Mensch, bevor er hierher kam, und ist es noch immer. Halten Sie ihn scharf auf dem Korn, Schutzmann, während ich ihn entwaffne.«
»Hier ist meine Pistole,« sagte McMurdo ruhig. »Wenn wir beide allein wären, Kapitän Marvin, so würden Sie mich nicht so leicht einfangen können.«
»Haben Sie denn einen Haftbefehl?« fragte McGinty. »Zum Donnerwetter, man möchte glauben in Rußland und nicht in Vermissa zu sein, wenn man sieht, was sich die Polizei herausnimmt. Es ist eine kapitalistische Schandtat, und Sie werden dafür büßen, das kann ich Ihnen versichern.«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Rat McGinty, wir kennen unsere Pflichten.«
»Wessen bin ich beschuldigt?« fragte McMurdo.
»Der Teilnahme an dem Überfall auf den Redakteur Stanger vom Vermissa Herald. Es ist wohl nicht Ihre Schuld, daß es nicht eine Beschuldigung wegen Mordes ist.«
»Nun, wenn das alles ist, was Sie gegen ihn haben,« rief McGinty lachend, »so können Sie sich jede weitere Mühe ersparen. Dieser Mann war in meiner Bar bis Mitternacht beim Pokerspiel. Ich werde Ihnen ein Dutzend Zeugen bringen, die es beschwören.«
»Es bleibt Ihnen freigestellt, dies morgen vor Gericht zu tun. Inzwischen wollen wir gehen. Kommen Sie, McMurdo, und verhalten Sie sich ruhig, wenn Sie nicht wollen, daß Ihr Kopf mit einem Gewehrkolben in Berührung kommt. Weg da mit Ihnen, Mr. Ginty! Ich dulde keinen Widerstand in der Ausübung meiner Pflicht. Lassen Sie sich das gesagt sein.«
So entschlossen trat der Kapitän auf, daß sowohl McMurdo wie der Logenmeister sich in die Lage fügen mußten. Dem letzteren gelang es jedoch, dem Häftling vor dem Fortgehen einige Worte zuzuflüstern.
»Was soll damit?« bemerkte er mit einer vielsagenden Bewegung seines Daumens auf das Versteck der Falschmünzerwerkzeuge zu.
»Nichts zu befürchten,« flüsterte McMurdo, der sie in einem Geheimfach unter dem Fußboden wohl verborgen wußte.
»Ich wünsche Ihnen alles Gute,« sagte der Meister mit einem kräftigen Händedruck. »Ich werde sofort zu Reilly, dem Rechtsanwalt, gehen und sehen, daß er die Verteidigung übernimmt. Seien Sie ganz unbesorgt, man wird Ihnen nichts anhaben können.«
»Das ist nicht so ganz sicher, mein Freund. Gebt acht, auf den Gefangenen, ihr beide. Sollte er die Flucht ergreifen, so schießt ihn einfach nieder. Ich werde noch eine Haussuchung vornehmen, bevor ich gehe.«
Dies geschah, aber Marvin fand anscheinend keine Spur der versteckten Werkzeuge. Als er damit zu Ende gekommen war, brachte er mit seinen zwei Leuten McMurdo zum Polizeibüro. Es war inzwischen dunkel geworden, und ein Schneesturm fegte durch die fast menschenleeren Straßen. Die wenigen Leute, die unterwegs waren, liefen zusammen und bewarfen den Gefangenen, ermutigt durch die Dunkelheit, mit Schimpfworten und Flüchen.
»Hängt den verfluchten Rächer auf!« riefen sie. »An die Laterne mit ihm!« Sie lachten und verhöhnten ihn, als er in das Polizeigebäude gestoßen wurde.
Nach einem kurzen, rein formellen Verhör seitens des diensthabenden Beamten wurde er in eine Zelle geführt. In dieser fand er bereits Baldwin und drei andere seiner Genossen von gestern abend vor, die alle am Nachmittag in Haft genommen worden waren und nun der Verhandlung am nächsten Morgen entgegensahen.
Der lange und mächtige Arm der Freimänner reichte indessen sogar in diese inneren Ringmauern des Gesetzes hinein. Spät abends kam der Gefängniswärter und brachte für jeden ein Bündel Bettzeug, aus dem er einige Flaschen Whisky, Gläser und ein Spiel Karten entnahm. Zechend und ohne der am folgenden Tag bevorstehenden Verhandlung auch nur einen Gedanken zu widmen, verbrachten sie die Nacht.
Ihre Sorglosigkeit war, wie sich alsbald herausstellte, nur zu berechtigt. Der Untersuchungsrichter konnte auf Grund des Tatbestandes allein zu keinem Schuldspruch kommen. Es stellte sich heraus, daß die Setzer und Drucker infolge des trüben Lichtes und ihrer Bestürzung die Identität der Verbrecher nicht feststellen konnten. Sie erklärten sich außerstande zu beschwören, daß sich die Beschuldigten unter den Angreifern befunden hatten, obwohl sie dies glaubten. Als sie der gewandte Rechtsanwalt, den McGinty für die Verteidigung bestellt hatte, einem Kreuzverhör unterzog, wurden ihre Aussagen noch unbestimmter. Das Opfer der Tat hatte bei seiner kommissarischen Vernehmung bereits zu Protokoll gegeben, daß er durch die Plötzlichkeit des Überfalles so überrascht worden war, daß er nichts anderes aussagen könne, als daß der erste Mann, der ihn schlug, einen Schnurrbart trug. Er fügte hinzu, daß die Angreifer unzweifelhaft zu der Gesellschaft der Rächer gehören müßten, da niemand anderer in der ganzen Stadt einen Groll gegen ihn haben könne, und weil er von deren Seite wegen seiner freimütigen Leitartikel schon verschiedene Drohbriefe empfangen habe. Außerdem ergab sich aus der übereinstimmenden und im bestimmtesten Ton vorgebrachten Aussage von sechs Bürgern, einschließlich jenes hohen städtischen Würdenträgers, des Rates McGinty, ganz einwandfrei, daß die Beschuldigten zur Zeit der Tat und weit darüber hinaus im Unionhaus Karten gespielt hatten. Es erübrigt sich, zu sagen, daß sie alle vom Gericht mit einer Begründung freigelassen wurden, die fast einer Entschuldigung für die ihnen auferlegten Unannehmlichkeiten gleichkam. Daran schloß sich eine ziemlich unverblümte Verwarnung Kapitän Marvins wegen Übereifer in der Ausübung seiner Pflicht.
Die Entscheidung des Gerichtes wurde von den Zuhörern der Verhandlung, unter denen McMurdo viele bekannte Gesichter wahrzunehmen glaubte, mit lautem Beifall aufgenommen. Die Logenbrüder lachten und schwenkten die Hüte, andere dagegen saßen mit zusammengekniffenen