»Überlaßt ihn mir,« sagte McMurdo, »der Mann gehört mir, und ich werde ihn kriegen, und wenn ich ein ganzes Jahr darauf warten müßte.«
Die Logenversammlung votierte ihm ihren Dank und den Ausdruck ihres Vertrauens, womit die Sache vorläufig erledigt war. Als man einige Wochen später in den Zeitungen las, daß man auf Wilcox aus einem Hinterhalt geschossen hatte, war es ein offenes Geheimnis, daß es McMurdo war, der sich bemühte, seine unfertige Aufgabe zum Abschluß zu bringen.
Derartig waren die Methoden der Gesellschaft der freien Männer und derartig die Taten der Rächer, mit denen sie ihre Herrschaft des Schreckens über einen großen und reichen Distrikt aufrechterhielten. Warum sollen diese Zeilen noch durch weitere Verbrechen befleckt werden? Habe ich nicht schon genug über diese Leute und ihr Vorgehen gesagt? Ihre Taten sind bereits Geschichte geworden, und es gibt Aufzeichnungen, die sie ausführlich wiedergeben. Aus diesen erfährt man von der Ermordung der beiden Polizeileute Hunt und Evans, die es gewagt hatten, zwei Mitglieder des Bundes zu verhaften; eine doppelte Schandtat, die von der Vermissaloge geplant und kaltblütig an zwei hilflosen und unbewaffneten Männern ausgeführt wurde. Darin kann man auch die Tötung der Frau Larby nachlesen, die niedergeschossen wurde, während sie ihren Mann pflegte, den man auf Befehl Meister McGintys fast zu Tode geprügelt hatte; ferner die Ermordung des älteren Jenkins, der bald darauf die seines Bruders folgte; die Verstümmelung von James Murdoch; die Vernichtung der Familie Staphouse durch Sprengmittel; die Ermordung der Familie Stendal und andere Untaten, die in jenem schrecklichen Winter in kurzer Folge verübt wurden. Der Frühling war wiedergekommen, die Bäche plätscherten, und die Bäume grünten. Die Natur, solange vom Winter in eisiger Umklammerung gehalten, war wieder erwacht. Aber in den Herzen der Männer und Frauen, die im Vermissatal unter dem Joch des Schreckens leben mußten, war keine Hoffnung eingezogen. Niemals zuvor hingen die Wolken über ihnen so düster, und noch niemals war ihre Lage so hoffnungslos wie im Frühsommer des Jahres 18…
6. Gefahr
Die Herrschaft des Schreckens war auf ihrem Höhepunkt angelangt. McMurdo, der bereits zum Dekan der Loge ernannt worden war und alle Aussicht hatte, eines Tages McGinty als Logenmeister abzulösen, hatte sich im Rate seiner Kameraden so unentbehrlich gemacht, daß nichts mehr ohne seine Hilfe und seinen Rat geschah. Je beliebter er indessen bei den Freimännern wurde, desto finsterer wurden die Blicke, die ihn in den Straßen von Vermissa trafen. Im Angesicht der Schreckensherrschaft, die immer drückender geworden war, faßten sich die Bürger der Stadt ein Herz und schlossen sich gegen ihre Bedrücker eng zusammen. Berichte über geheime Versammlungen in den Geschäftsräumen des »Herald« und über die Verteilung von Feuerwaffen an die gesetzesfürchtigen Bürger waren in die Loge gedrungen. Aber McGinty und seine Leute ließen sich dadurch nicht beirren. Sie waren zahlreich, entschlossen und gut bewaffnet. Ihre Gegner waren unorganisiert und daher machtlos. Es würde alles in zwecklosen Redereien endigen, wie schon einige Male früher. Vielleicht auch würden einige wirkungslose Verhaftungen erfolgen. So sagten McGinty, McMurdo und all die anderen führenden Köpfe des Bundes.
Es war eines Sonnabendabends im Mai – an welchem Tage sich die Loge regelmäßig versammelte – McMurdo kam eben aus seinem Haus heraus, um sich zur Loge zu begeben, als Morris, der zaghafteste unter den Mitgliedern, auf ihn zutrat. Auf seiner Stirne lagen Sorgenfalten, und sein gutmütiges Gesicht war abgehärmt und verstört.
»Kann ich mit Ihnen offen sprechen, McMurdo?«
»Selbstverständlich.«
»Ich kann es nicht vergessen, daß ich Ihnen schon einmal mein Herz ausschütten durfte und daß Sie, was ich Ihnen sagte, für sich behielten, obwohl der Meister selbst zu Ihnen gekommen ist, um Sie auszufragen.«
»Was hätte ich sonst tun können? Was Sie mir sagten, geschah im strengsten Vertrauen; allerdings habe ich Ihre Meinung nicht geteilt.«
»Das weiß ich sehr wohl, aber sie sind der einzige, zu dem ich mit Sicherheit offen sprechen kann. Ich habe hier ein Geheimnis,« – er legte die Hand auf seine Brust – »das mir auf der Seele brennt. Ich wünschte, es wäre irgend jemand anderem zugetragen worden. Wenn ich es preisgebe, so geschieht ein Mord, das ist mir klar. Wenn nicht, kann es unser aller Ende bedeuten; Gott sei mir gnädig, aber ich bin am Ende meiner Kräfte.«
McMurdos scharfe Augen unterzogen den Mann einer eingehenden Musterung. Morris zitterte an allen Gliedern. Die Beiden traten in das Haus zurück, wo McMurdo seinem Gefährten ein Glas Whisky einschenkte.
»Das ist die richtige Medizin für Leute wie Sie,« sagte er. »Nun, lassen Sie mich hören, was Sie auf dem Herzen haben.«
Morris leerte das Glas, worauf etwas Farbe in seine Wangen zurückkehrte.
»Was ich zu sagen habe, kann ich in einen Satz fassen,« sagte er. »Ein Detektiv ist auf unserer Fährte.«
McMurdo starrte den Mann verblüfft an.
»Mensch,« sagte er, »Sie sind verrückt. Ist nicht die Stadt hier voll von Polizeidetektiven, und ist uns jemals etwas geschehen?«
»Nein, nein, McMurdo, es ist kein hiesiger. Die kennen wir, und von denen haben wir nichts zu fürchten. Aber haben Sie jemals von den Pinkertons gehört?«
»Ich habe von Leuten dieses Namens gelesen.«
»Nun, Sie können mir glauben, wenn die Pinkerton-Agentur auf unserer Spur ist, wird es uns schlecht ergehen. Das ist keine Regierungseinrichtung wie die Staatspolizei, der es gleichgültig ist, ob sie einen erwischt oder nicht. Es ist ein todernstes Geschäft, das nach Erfolgen bezahlt wird, und das sich in eine Sache verbeißt, bis die Erfolge da sind, koste es, was es wolle. Wenn ein Pinkertonmann hinter uns her ist, sind wir alle erledigt.«
»Wir müssen ihn um die Ecke bringen.«
»Das war auch mein erster Gedanke, und die Loge wird genau dasselbe denken. Habe ich Ihnen nicht schon gesagt, daß es auf einen Mord hinaufläuft?«
»Und wenn schon! Ein Mord weniger oder mehr in dieser Gegend will nichts bedeuten.«
»So ist es, nur ich kann es nicht über mich bringen,