»Es ist die höchste Zeit,« rief Ted Baldwin. »Die Leute werden hier schon wieder übermütig. Erst vorige Woche sind drei unserer Leute von Werkmeister Blaker entlassen worden. Der Mann hat schon längst einiges verdient, und wir müssen sehen, daß er es bekommt.«
»Was bekommt?« flüsterte McMurdo seinem Nachbar zu.
»Die Ladung einer Rehpostenpatrone«, rief der Mann, laut auflachend. »Was hatten Sie denn sonst erwartet, Bender?«
McMurdos verbrecherische Seele schien bereits den Geist seiner schändlichen Umgebung in sich aufgenommen zu haben.
»Es gefällt mir gut hier,« sagte er. »Die richtige Gesellschaft für einen ganzen Mann.«
Einige in seiner Umgebung hatten diese Bemerkung gehört und kargten nicht mit Beifall.
»Was ist los dort unten?« rief der schwarzhaarige Logenmeister vom Ende des Tisches herüber.
»Unser neuer Bruder hat eben gesagt, daß es ihm bei uns gefalle.«
McMurdo erhob sich augenblicklich von seinem Stuhl.
»Und ich möchte noch hinzufügen, verehrungswürdiger Meister, daß ich es mir zur Ehre anrechnen würde, wenn ein Mann gebraucht wird, ausgewählt zu werden.«
Diese Bemerkung wurde mit Applaus begrüßt. Einigen der älteren Mitglieder erschien sie jedoch etwas voreilig.
»Ich würde vorschlagen,« sägte der Sekretär Harraway, ein geierartig aussehender alter Graubart, der neben dem Vorsitzenden saß, »daß Bruder McMurdo wartet, bis es der Loge beliebt, ihn zu bestimmen.«
»Ich wollte nichts anderes. Es liegt ganz in Ihren Händen«, sagte McMurdo.
»Auch Ihre Zeit wird kommen, Bruder,« bemerkte der Vorsitzende. »Ich habe Sie bereits als geeignete Kraft vorgemerkt und bin der Ansicht, daß unsere Loge mit Ihnen Ehre einlegen wird. Wir haben heute eine kleine Sache zu erledigen, bei der Sie mitwirken können, wenn Sie wollen.«
»Ich möchte lieber warten, bis etwas vorkommt, das sich der Mühe lohnt.«
»Trotzdem können Sie heute mittun, damit Sie den Boden kennen lernen, auf dem wir hier stehen. Ich komme später noch darauf zurück. Inzwischen habe ich –« dies mit einem Blick auf seine Tagesordnung – »noch einige Punkte vorzubringen. Zunächst möchte ich unseren Schatzmeister fragen, wie wir in bezug auf unsere Geldmittel stehen. Wir haben Jim Carnaways Witwe eine Pension zu zahlen. Er wurde im Dienste der Loge getötet, und es ist unsere Pflicht, danach zu sehen, daß sie keine Not leidet.«
»Jim wurde im vorigen Monat erschossen, als versucht wurde, Chester Wilcox in Marley Creek zu töten,« wurde McMurdo von seinem Nachbar belehrt.
»Gegenwärtig stehen wir uns recht gut,« sagte der Schatzmeister mit dem Kontobuch vor sich. »Die Firmen haben sich in der letzten Zeit freigebig gezeigt. Gebrüder Walker schickten uns hundert, die ich aber zurückgeschickt habe, wobei ich fünfhundert verlangte. Wenn der Betrag am nächsten Mittwoch nicht eingegangen ist, wird dem Aufzug in ihrem Werk etwas zustoßen. Im vorigen Jahr mußte erst die Erzbrecheranlage in Brand geraten, bevor die Leute vernünftig wurden. Dann hat uns die Westsektion Kohlengesellschaft ihren Jahresbeitrag gezahlt. Wir haben genug in der Hand, um unsere Verbindlichkeiten zu decken.«
»Und wie ist es mit Archie Swindon?« fragte einer der Brüder.
»Er hat alles verkauft und ist fortgezogen. Der alte Halunke hat uns einen Brief hinterlassen, worin er sagt, daß er lieber ein freier Straßenkehrer in New York, als ein großer Bergwerksbesitzer in den Händen einer Erpresserbande sein wolle. Er kann froh sein, daß er weg war, bevor uns der Brief erreichte. Jedenfalls darf er sich hier nicht mehr blicken lassen.«
Ein ältlicher, glattrasierter Mann mit gutmütigem Gesicht und klarer Stirn erhob sich von dem Ende des Tisches, das dem Vorsitzenden gegenüberlag.
»Herr Schatzmeister,« sagte er, »darf ich fragen, wer den Besitz des Mannes gekauft hat, den wir aus unserer Gegend vertrieben haben?«
»Jawohl, Bruder Morris, es war die State & Merton County Eisenbahngesellschaft.«
»Und wer kaufte das Bergwerk von Todman und das von Lee, die im vorigen Jahr aus ähnlichen Gründen auf den Markt kamen?«
»Dieselbe Gesellschaft, Bruder Morris.«
»Und wer kaufte die Eisenwerke von Manson und von Shuman und die von van Dehor und von Atwood, die alle in der letzten Zeit veräußert wurden?«
»Der Käufer war die West Gilmerton Allgemeine Bergwerksgesellschaft.«
»Nach meiner Ansicht kann es uns völlig gleichgültig sein, Bruder Morris, wer sie kauft, da der Betreffende sie doch nicht aufpacken und davontragen kann.«
»In aller Ehrerbietung möchte ich dem erwidern, daß es für uns nicht gleichgültig sein kann. Dieser Eigentumswechsel dauert nun schon an die zehn Jahre. Wir haben allmählich fast alle kleinen Besitzer vertrieben mit dem Ergebnis, daß wir an ihrer Stelle heute die großen Gesellschaften, wie die Eisenbahngesellschaft, die Allgemeine Bergwerksgesellschaft usw., finden, die ihren Sitz in New York oder Philadelphia haben und sich aus unseren Drohungen nicht das geringste machen. Wir können uns zwar an die ortsansässigen Betriebsleiter halten, aber was dann geschieht, ist, daß man einfach andere senden wird. Wir beschwören dadurch für uns eine sehr gefährliche Lage herauf. Die kleinen Leute konnten uns nichts anhaben. Sie hatten weder das Geld noch die Macht dazu. Solange wir sie nicht bis auf den letzten Blutstropfen ausgepreßt hatten, blieben sie hier unter unserer Macht. Aber wenn diese großen Gesellschaften einmal entdecken, daß wir zwischen ihnen und ihren Dividenden stehen, werden sie keine Mühe und keine Ausgaben scheuen, uns nachzuspüren und vor die Gerichte zu bringen.«
Ein vielsagendes Schweigen senkte sich bei diesen Worten auf die Versammlung, und die Gesichter verdüsterten sich im Austausch finsterer Blicke. So allmächtig und sicher hatten sie sich gefühlt, daß ihnen niemals auch nur der Gedanke einer möglichen Vergeltung zu Bewußtsein gekommen war. Selbst die Verwegensten unter ihnen durchfuhr bei den Worten ein eisiger Schreck.
»Ich möchte raten,« fuhr der Sprecher fort, »daß wir die kleinen Leute nicht allzu derb anfassen. Wenn sie eines Tages samt und sonders vertrieben sind, wird die Macht unseres Bundes gebrochen sein.«
Unangenehme Wahrheiten sind nicht beliebt. Ärgerliche Ausrufe wurden hörbar, als der Sprecher wieder seinen Sitz einnahm.
McGinty erhob sich mit finster gekräuselter Stirn.
»Bruder Morris,« sagte er, »Sie waren immer ein Flaumacher. Solange die Mitglieder dieser Loge zusammenstehen, gibt es keine Macht in den Vereinigten Staaten, die uns etwas anhaben kann. Haben wir nicht schon oft genug vor Gericht gestanden? Nach meiner Ansicht werden es die großen Gesellschaften bequemer finden zu zahlen, als zu kämpfen, genau so wie es die Kleinen getan haben. Und nun« – McGinty nahm bei diesen Worten seine schwarze Sammetkappe und seine Stola ab – »komme ich zum Schluß der Tagesordnung, auf der nur noch eine kleine Sache steht, die ich vorhin schon erwähnt habe, und die wir, bevor wir auseinandergehen, erledigen können. Wir wollen jetzt zu brüderlichen Erfrischungen und geselliger Unterhaltung schreiten.«
Wahrlich, sonderbar ist das Wesen des Menschen. Hier waren Männer, denen Mord wohl vertraut war, die oftmals den Vater einer Familie niederschlagen, einen Mann, gegen den sie persönlich nicht das geringste hatten, – ohne auch nur einen Funken Reue oder Mitleid, selbst angesichts seiner jammernden Frau und hilflosen Kinder, zu fühlen; und doch konnte sie das Zarte und Traurige in der Musik zu Tränen rühren. McMurdo hatte eine schöne Tenorstimme, und wenn er sich noch nicht die Gunst der Loge errungen hätte, so würde er dies jetzt durch den Vortrag einiger volkstümlicher, sentimentaler Gesänge getan haben. Schon am ersten Abend machte sich der junge Rekrut zu einem der beliebtesten Mitglieder, zu baldiger Beförderung und höheren Würden vorbestimmt. Es bedurfte indessen noch anderer Eigenschaften, als die des guten Gesellschafters, um einen würdigen