»Beim Himmel! Ich werde ihm bessere Manieren beibringen, wenn ich ihn dabei erwische. Nun also, Liebste, ich kann von hier nicht weg. Ich kann einfach nicht. Damit mußt du dich abfinden. Aber wenn du es mir überlassen willst, einen anderen Ausweg zu suchen, wodurch ich mich mit Anstand aus der Affäre ziehen kann, so verspreche ich dir, mein Bestes zu tun.«
»Für Anstand ist in dieser Sache kein Platz.«
»So denkst du. Ich habe andere Ansichten. Gib mir noch sechs Monate Zeit, und ich werde die Dinge so drehen, daß ich von hier fort kann, ohne mich schämen zu müssen, den Leuten ins Gesicht zu sehen.«
Das Mädchen schrie vor Freude auf.
»Sechs Monate?« rief sie. »Ist das ein Versprechen?«
»Vielleicht werden es sieben oder acht werden, aber längstens innerhalb eines Jahres, das verspreche ich dir, werden wir von hier fort sein.«
Dies war das äußerste Zugeständnis, das Ettie erlangen konnte. Es war enttäuschend, aber immerhin etwas Positives; ein Lichtpunkt in weiter Ferne, dem man zustreben konnte und der die Dunkelheit der unmittelbaren Zukunft erhellen würde. Als sie in das Haus ihres Vaters zurückkehrte, war ihr Herz leichter als zu irgendeiner Zeit, seit Jack McMurdo in ihr Leben trat.
McMurdo hatte angenommen, daß ihm als Mitglied von den Taten und inneren Verhältnissen der Loge nichts verborgen bleiben würde, aber er sollte bald entdecken, daß ihre Organisation umfangreicher und komplizierter war, als es den Anschein hatte. Selbst Meister McGinty blieben viele Dinge unbekannt, denn über ihm stand noch ein höherer Funktionär, der Grafschaftsdelegierte, der weiter unten in Hobsons Patch wohnte und seine Macht über eine Anzahl von Logen ausübte, und zwar in der willkürlichsten Weise von der Welt. Diesen sah McMurdo nur einmal. Es war ein schlaues, grauhaariges Männchen mit einem schlürfenden Gang und scheuen Blicken, aus denen Tücke und Bosheit sprach. Sein Name war Evan Scott. Selbst der große Meister von Vermissa fühlte anscheinend Widerwillen vor ihm und jene Furcht, die der riesenhafte Danton vor dem schwächlichen, aber gefährlichen Robespierre gefühlt haben mag. Eines Tages erhielt Scanlan, der mit McMurdo zusammen wohnte, von McGinty einen Brief, der eine Mitteilung von Evan Scott enthielt, gemäß der zwei zuverlässige Leute, Lawler und Andrews, abgesandt werden würden, um in der Gegend von Vermissa eine Arbeit zu verrichten. Die Mitteilung besagte weiter, daß es im Interesse der Sache besser sei, den Gegenstand dieser Arbeit geheimzuhalten. Würde der Logenmeister so freundlich sein, für das Unterkommen und die Bequemlichkeit der Leute Vorkehrungen zu treffen, bis die Zeit zum Handeln gekommen sei? McGinty fügte dem hinzu, daß es im Unionhaus unmöglich sei, die Anwesenheit von Fremden geheimzuhalten, und daß er sich deshalb McMurdo und Scanlan verpflichtet fühlen würde, wenn sie die beiden Abgesandten in ihr Haus aufnähmen.
Diese kamen noch am selben Abend an, jeder mit seiner Handtasche. Lawler war ein ältlicher Mann, schlau, schweigsam und selbstbewußt, gekleidet in einen alten schwarzen Gehrock, der ihm, in Verbindung mit einem weichen Filzhut und seinem schäbigen, graumelierten Bart, das Aussehen eines Wanderpredigers verlieh. Sein Gefährte, Andrews, dagegen war kaum mehr als ein Knabe, hatte ein offenes, fröhliches Gesicht und das Benehmen eines, der sich auf einer Ferienreise befindet, von der er jede Stunde auskosten will. Beide waren Vollabstinenzler und benahmen sich in jeder Hinsicht mustergültig. Nur einen dunklen Fleck gab es in ihrer Lebensführung, nämlich den, daß sie beide Mörder waren, die sich oftmals als fähige Werkzeuge ihrer verbrecherischen Genossenschaft erwiesen hatten. Lawler hatte bereits vierzehn derartige Aufträge ausgeführt und Andrews drei.
McMurdo fand sie jederzeit bereit, über ihre früheren Taten zu sprechen; sie taten es mit dem scheuen Stolz von Männern, die sich bewußt waren, einer großen Sache gute und selbstlose Dienste erwiesen zu haben. Über ihre bevorstehende Arbeit zeigten sie sich indessen völlig zugeknöpft.
»Man hat uns dazu bestimmt, weil weder ich noch der Junge hier trinken,« erklärte Lawler. »Man kann sich bei uns verlassen, daß wir unsere Zungen im Zaum halten. Nehmen Sie es uns nicht übel, aber wir haben dem Befehl des Grafschaftsdelegierten zu gehorchen.«
»Wir sind doch Brüder gleicher Kappen,« sagte Scanlan, als die vier sich zum Abendessen vereinigten.
»Das ist richtig, und Sie können von uns stundenlang über die Ermordung von Charlie Williams oder Simon Bird oder irgendeine andere unserer früheren Arbeiten hören. Bis wir jedoch unsere nächste Arbeit verrichtet haben, können wir darüber nichts sagen.«
»Es gibt hier ein halbes Dutzend, mit denen wir noch ein Wort zu reden haben werden,« sagte McMurdo mit einem Fluch. »Ist’s vielleicht Jack Knox von Iron Hill, hinter dem Sie her sind? Sollte er es sein, so würde ich stundenlang wandern, um dabei zu sein, wenn er seinen Lohn erhält.«
»Nein, er ist es nicht.«
»Oder Hermann Straus?«
»Auch dieser nicht.«
»Nun gut, Sie wollen es uns nicht sagen, und wir können Sie nicht dazu zwingen, aber ich hätte es gern gewußt.«
Lawler lächelte kopfschüttelnd. Aus ihm war nichts herauszubringen.
Trotz der Verschwiegenheit ihrer Gäste waren Scanlan und McMurdo entschlossen, bei dem, was die ersteren »Spaß« nannten, dabei zu sein. Als daher zu einer frühen Morgenstunde McMurdo die beiden Fremden die Treppen hinunterschleichen hörte, weckte er Scanlan, und sie schlüpften eiligst in ihre Kleider. Als sie angekleidet waren, fanden sie, daß ihre Gäste das Haus bereits verlassen hatten, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Die Dämmerung war noch nicht angebrochen, aber im Lichte der Straßenlampen konnten sie in einiger Entfernung noch die beiden Männer sehen. Vorsichtig und behutsam folgten sie ihnen durch den tiefen Schnee.
Ihr Haus lag am Rande der Stadt, und bald war daher die Wegkreuzung jenseits der Stadtgrenze erreicht. Dort warteten drei Männer, mit denen Lawler und Andrews eine kurze und eifrige Unterredung hatten, bevor sie gemeinsam ihren Weg fortsetzten. Aus der Anzahl der Beteiligten schloß McMurdo, daß es sich um eine größere Arbeit handle. Von der Wegkreuzung zweigten verschiedene Wege nach einer Anzahl von Bergwerken ab. Die Fremden schlugen den in der Richtung auf Crow Hill ein, einem großen Werk, in dem der tüchtige, energische und furchtlose Betriebsleiter Josia H. Dunn, der aus Neuengland gekommen war, während der ganzen, langen Jahre der Herrschaft des Schreckens Ordnung und Disziplin aufrechterhalten hatte. Die Nacht wich allmählich der Dämmerung, und man sah bereits eine Kette von Arbeitern, die einzeln oder in Gruppen, das rußgeschwärzte Tal entlang, langsam ihren Arbeitsstätten zustrebten. McMurdo und Scanlan schlenderten mit diesen dahin, indem sie die vor ihnen gehenden Fremden sorgsam im Auge behielten. Die Landschaft war in dichten Nebel gehüllt. Plötzlich ertönte das Gekreische einer Dampfpfeife. Es war das Zehnminutensignal vor dem Beginn der Einfahrt.
Als sie den offenen Raum um den Schacht erreichten, fanden sie dort etwa hundert Bergleute wartend, die sich durch Herumstapfen und das Anhauchen ihrer Hände vor der bitteren Kälte zu schützen suchten. Die Fremden standen, zu einer kleinen Gruppe vereint, unter dem Dach des Maschinenhauses. Scanlan und McMurdo erklommen einen Schlackenhaufen, von dem aus sie das ganze Bild vor sich überblicken konnten. Sie sahen den Bergingenieur, einen großen, bärtigen Schotten, namens Menzies, aus dem Maschinenhaus treten und das Zeichen zum Herablassen der Förderkörbe geben. In diesem Moment näherte sich ein hochgewachsener, gelenkiger junger Mann mit glattrasiertem, ernstem Gesicht dem Schachtturm. Die Fremden hatten ihre Hüte tief ins Gesicht gezogen und ihre Rockkragen aufgeklappt. Einen Augenblick lang schien das Vorgefühl des Todes das Herz des Betriebsleiters mit eisiger Hand zu berühren. Im nächsten Moment hatte er es abgeschüttelt und sah nur noch seine Pflicht gegenüber den unbefugten Fremden.
»Wer seid ihr?« rief er, als er auf sie zuging. »Was lungert ihr hier herum?«
Es erfolgte keine Antwort, aber der junge Andrews schritt auf ihn zu und schoß ihm in den Leib. Die hundert wartenden Bergleute verharrten regungslos und hilflos, wie vor Schreck gelähmt. Der Betriebsleiter bedeckte seine Wunde mit den Händen und knickte in sich zusammen. Als er davonwankte, ertönte