»Für Kulturfilme? Entschuldigen Sie meine Frage, die sicher sehr dumm in Ihren Ohren klingen wird.«
»Ach was, woher sollten Sie’s wissen.« Orwell lächelte und winkte beruhigend ab. »Sie wissen, daß Abenteuerfilme seit Jahren groß geschrieben werden. Für die kitzeligen Situationen braucht man dieses Tierzeug, um die Spannung aufzupeitschen, verstehen Sie? Also, passen Sie auf. Nehmen wir die attraktive Heldin irgendeiner Schauergeschichte. Die wird also von den Schurken eingesperrt und soll ihren Liebhaber verraten. Sie tut’s aber nicht und wird nun unter Druck gesetzt. Dazu läßt man dann eben ’ne »Schwarze Witwe‹ auf sie los. Haben Sie’s jetzt verstanden?«
»Erstaunlich. Und dazu verwendet man lebende Spinnen?«
»Selbstverständlich, Parker, natürlich nur für die Großaufnahmen, aber da müssen sie dann wirklich krabbeln!«
»Ist Ihnen bekannt, Mr. Orwell, daß innerhalb von zwei Monaten vier junge Damen des Films am Biß diverser »Schwarze Witwern verstarben?«
»Natürlich, die Zeitungen berichteten davon, wenn auch spärlich!«
»Darf ich mir die unbescheidene Frage erlauben, ob Sie nach den jeweiligen Mordfällen den Bestand an Ihren Vogelspinnen prüfen ließen?«
»Dafür sorgte schon Leutnant Hastings«, antwortete Orwell grimmig. »Er ist-ja fast Stammgast hier bei mir. Als ob es nicht noch andere Tierhändler gäbe. Von den Schlangenfarmen ganz zu schweigen. Dort werden nämlich auch Vogelspinnen gehalten, ja, sogar gezüchtet.«
»Stimmt Ihr jeweiliger Spinnenbestand?«
»Immer. Und wir führen genau Buch darüber.«
»Kontrollierten Sie die Zahl der Tiere allein oder verließen Sie sich dabei möglicherweise auf die Angaben des Mr. Fortner?«
»Die Spinnen wurden in meiner und Hastings Gegenwart durchgezählt und kontrolliert.«
»Und jetzt fehlt ein gutes Dutzend dieser an sich wohl unschuldigen Tiere, nicht wahr?«
»Eben. Und das stellten Leutnant Hastings und ich erst vor einer knappen Stunde fest.«
»Noch eine letzte Frage, Mr. Orwell, dann können Sie wieder zu Ihren Großkatzen zurückgehen. Könnte ich in Ihrem Personalbüro einige private Angaben über die beiden Tierpfleger Mulligan und Fortner bekommen?«
»Wollen Sie sich als Privatdetektiv betätigen?«
»Nur zur Ausfüllung meiner reichlich bemessenen Freizeit.«
»Dann passen Sie aber auf Hastings auf, der reagiert schnell sauer, wenn man ihm ins Handwerk pfuscht.«
»Was ich durchaus verstehen kann. Man muß eben dafür sorgen, daß man nicht die Arbeit eines Pfuschers tut«, erwiderte Parker gemessen. »Und ich werde mich bemühen, so etwas zu vermeiden, sofern meine bescheidenen Kräfte und Möglichkeiten dies zulassen!«
*
Parker fuhr zurück nach Beverly Hills.
Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit bummelte er über die breite, gepflegte Straße mit den vier Fahrbahnen. Er dachte über sein Gespräch mit Randy Orwell nach und versuchte sich ein genaueres Bild von diesem Tiergroßhändler zu machen.
Randy Orwell hatte, das räumte er ohne weiteres ein, einen ausgezeichneten Eindruck auf ihn gemacht. Von den Spielereien seiner beiden Tierpfleger Mulligan und Fortner schien er tatsächlich nichts gewußt zu haben. Und das Verschwinden seiner Vogelspinnen hatte ihn nicht nur überrascht, sondern auch erschreckt. Gerade als Fachmann wußte er ja, wie gefährlich diese ›Schwarze Witwern sein konnten.
Parker fragte sich, ob ein Mann wie Randy Orwell ein Motiv haben könnte, junge Schauspielerinnen umbringen zu lassen? Diese Frage war vorerst einmal eindeutig zu verneinen. Konnte er sich aber möglicherweise als Erpresser betätigen? Auch das war wenig wahrscheinlich. Randy Orwell hatte ja nach den Worten von Sergeant McCullers ein Vermögen gemacht. Geld konnte ihn also kaum reizen.
Blieb vorerst einmal die Adresse, die Sergeant McCullers ihm praktisch zugespielt hatte. Es handelte sich um den Stadtteil Venice, wo ein gewisser Lester Nellen wohnen sollte. Die Straße samt Hausnummern hatte Parker noch im Gebäude der Tierhandlung aus dem Telefonbuch herausgesucht.
Der Butler kannte Venice von früheren Besuchen her. Dieser Stadtteil, früher einmal ein riesiger Rummelplatz im Stil Venedigs erbaut, mit Kanälen, venezianischen Palästen und Kirchen, war nach langen Jahren der Bedeutungslosigkeit wieder interessant geworden. Hier wucherten die Nachtlokale und Privatclubs, hier trafen sich vergnügungssüchtige Bummler, Beatniks und kleine und große Gangster aller Art. Hier konnte der Besucher im wahrsten Sinne des Wortes noch sein blaues Wunder erleben.
Wer mochte dieser Lester Nellen sein? Sergeant McCuller hatte sich darüber leider nicht ausgelassen. Nun, Parker hoffte sehr, diesen Mann recht bald sprechen zu können.
Was er eine knappe halbe Stunde später dann auch schaffte.
Parker erreichte einen palastartigen Bau, dessen rechte Flanke bereits von einem Abbruchunternehmen erfolgreich angeknabbert worden war. Dieser düstete Bau, dessen Fassade abgeblättert war und tiefe, häßliche Wunden zeigte, hatte höchstens noch eine gute Woche vor sich, dann war er sicher dem Erdboden gleichgemacht worden.
In der Halle, die noch mit abgeschabten Rundsofas um die Säulen ausgestattet war, saßen alte, abgerissen und müde aussehende Männer, die sich langweilten und kaum miteinander redeten. Parker erkundigte sich nach Lester Nellen und wurde in die zweite Etage verwiesen. Da der Lift nicht funktionierte, mußte Parker die breite Treppe benutzen, deren Stufen ausgetreten waren.
Vor einer Tür blieb er stehen. Eine Visitenkarte mit dem Namen Lester Nellen war angeheftet.
Parker klopfte und hörte kurz darauf so etwas wie das heisere Bellen eines erkälteten Seehundes. Der Butler trat ein und lüftete gleichzeitig höflich seine schwarze Melone.
Am Fenster stand ein magerer, mittelgroßer Mann, dessen Haar eisgrau und kurz geschoren war. Er goß sich gerade eine Tasse Kaffee ein und wandte der Tür den Rücken zu.
»Mr. Lester Nellen?« erkundigte sich Parker.
Der Mann am Fenster drehte sich langsam und ohne Hast um. Er mochte fünfundfünfzig Jahre alt sein. Sein Gesicht zeigte tiefe Falten, war aber sonnengebräunt. Kühle graue Augen sahen den Butler an.
»Was wollen Sie?« fragte Nellen. »Wer sind Sie? Hab’ Sie hier noch nie gesehen.«
»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, antwortete der Butler. »Darf ich Sie um eine kurze Unterredung bitten?«
»Wenn Sie mir was verkaufen wollen, sind Sie auf dem falschen Dampfer«, meinte Nellen und lächelte. Dabei zeigte er ein noch tadellos erhaltenes Gebiß. »Aber wie’n Vertreter sehen Sie eigentlich nicht aus.«
»Ich bin Privatdetektiv aus Leidenschaft«, erklärte der Butler. »Und ich komme im Zusammenhang mit einem Fall, in den Mr. Art Stonewell verwickelt ist.«
»Stonewell?« Die Stimme klang noch heiserer. Sie ließ nicht erkennen, ob er Art Stonewell schätzte oder nicht.
»Stonewell«, wiederholte Parker freundlich. »Sie stehen oder standen einmal mit ihm in näherer Verbindung?«
»Sagen Sid deutlich, was Sie wollen! Hat Stonewell Sie gekauft?«
»Ich möchte betonen, daß ich nicht zu kaufen bin«, erklärte der Butler höflich, aber sehr nachdrücklich. »Ich glaube nur, daß ein Geheimnis um Mr. Stonewell existiert.«
»Geheimnis? Das ist gut!« Lester Nellen lachte bellend. »Was dieser Gangster tut, weiß doch alle Welt!«
»Gangster?«
»Ich könnte mich noch deutlicher ausdrücken, aber ich will nicht beleidigend wirken!« Nellen lachte erneut, kam mit der gefüllten Kaffeetasse zum Tisch und setzte sich auf einen Stuhl. »Wenn Sie mich fragen, dann ist mein früherer Kompagnon der größte Gangster der ganzen