1968 proklamierte Koehl: »Adolf Hitler ist der Nationalsozialismus, und der Nationalsozialismus ist Adolf Hitler« und beschrieb die Nazi-Ideologie als einen neuen Glauben, als eine neue Konfession. Harsch trat er Kritikern entgegen, die sich befremdet zeigten, dass sich Amerikaner für ein obsoletes Phänomen der deutschen Geschichte engagierten. Wer so denke, der verfehle »die erhabene Wahrheit, die Adolf Hitler der Welt vor bald 50 Jahren enthüllt hat. […] Es geht uns nicht um irgendwelche oberflächliche Veränderungen im Politischen oder Sozialen. Was wir anstreben, ist eine universale Transformation aller Dinge und Begriffe, eine Umwälzung nie dagewesenen Ausmaßes«. Nur hohe Ideale geben dem Leben des Menschen einen Sinn, die Vervollkommnung der Welt sei so eines; die aber könne nur gelingen, wenn man jene Elite gewähren lasse, welche die Natur dazu ausersehen habe – Gedanken, die Matt Koehl unmittelbar von Hitler übernahm; er zitierte in diesem Zusammenhang eine Passage aus Mein Kampf, wo Hitler darlegt, »die völkische Weltanschauung« entspreche »dem inneren Wollen der Natur, da sie jenes freie Spiel der Kräfte wiederherstellt, das zu einer dauernden gegenseitigen Höherzüchtung führen muss, bis endlich dem besten Menschentum, durch den erworbenen Besitz dieser Erde, freie Bahn gegeben wird zur Betätigung auf Gebieten, die teils über, teils außer ihr liegen werden«27.
Zu Beginn der 80er-Jahre unterzog Matt Koehl die Nazi-Partei einer gründlichen Umstrukturierung – und einer Umbenennung: Seit 1983 heißt sie New Order. Eine raffiniert doppelsinnige Namensgebung: New Order bedeutet einmal natürlich »Neue Ordnung«, dann aber auch »Neuer Orden«. Letzteres hat der Parteireformer Koehl jedenfalls mit gemeint, denn er begreift New Order als quasi-religiöse Gemeinschaft, die den Ideen des Führers aus Braunau huldigt. Tatsächlich tritt in dieser Formation der rückhaltlose Hitler-Kult noch deutlicher zutage als je zuvor. Glaubt man den Verlautbarungen ihrer Organe, hat New Order etwa zweihundert Vollmitglieder und circa vierhundert aktive Sympathisanten. Amerikaweit gibt es vierzig regionale Untergliederungen, verteilt über achtzehn Staaten von Kalifornien bis zur Westküste. Zu den regulären Aktivitäten gehören das feierliche Begehen von Hitlers Geburtstag und das Veranstalten von Vorträgen und Seminaren, auf dass die Frohe Botschaft des Nationalsozialismus unters Volk getragen werde. Die Richtung weist dabei »Commander« Matt Koehl höchstselbst, mit Programmreden überwiegend vor der einheimischen Anhängerschaft, gelegentlich auch auf europäischen Nazi-Tagungen. Dazu kommen Grundsatzartikel in der Parteipresse; Bücher hat Koehl auch schon veröffentlicht, so 1972 The Future Calls (»Die Zukunft ruft«) und 1995 Faith of the Future (»Der Glaube der Zukunft«). Ein gewaltiger publizistischer Ausstoß in markiger, geradezu evangelikaler Prosa soll der Bewegung Orientierung geben, dem Novizen wie dem bewährten Kämpfer.
Was die Parteizentrale in Milwaukee feilbietet, erinnert nicht von ungefähr an Devotionalien. Da gibt es etwa kleine Votivbilder mit dem Porträt Hitlers und der Zeile: »Er lebt!« Ein anderes Kärtchen enthält – in zwei Sprachen, Vorderseite englisch, Rückseite deutsch – ein feierliches Wortgebilde, »Unser Credo« betitelt. Es imitiert gezielt das Glaubensbekenntnis aus der christlichen Liturgie, wobei es, bewusst blasphemisch, Jesus Christus durch Hitler ersetzt; der pathetische Überschwang lässt das pseudoreligiöse Machwerk freilich wie eine Parodie wirken:
»Wir glauben an Adolf Hitler,
den unsterblichen Führer unsere Rasse,
wunderbares Geschenk der Vorsehung,
Größter der Großen aller Zeiten,
lebendig in unseren Herzen heute und immerdar.
Wir glauben an sein heiliges Ziel,
welches da ist die Neue Ordnung,
die Erfüllung der arischen Bestimmung
gemäß den ewigen Gesetzen des Lebens,
Hoffnung und Zukunft unserer Art auf Erden.
Wir glauben an seine Bewegung,
an seine treue und einige Nachfolgerschaft,
die den Namen seines hehren Zieles trägt
und das Werkzeug seines Willens ist,
geweiht durch das Blut der Helden und Märtyrer –
der einzige Weg zur Erlösung der Welt.
HEIL HITLER!«
In seinen Artikeln, seinen Büchern und seinen Reden vor New-Order-Publikum nimmt Matt Koehl regelmäßig Bezug auf religiöse Mythen und Symbole. Koehls Ergüsse sind stark beeinflusst von der Kosmologie und Naturphilosophie der »Hindu-Arierin« Savitri Devi. Im April 1987 schreibt er zu Hitlers Geburtstag ein Editorial, betitelt »Resurrection« (»Auferstehung«), in dem er aus einem der wichtigsten heiligen Bücher der Hindus zitierte, der Bhagavad Gita, laut Savitri Devi das »alte Buch arischer Weisheit und Welterschließung«. Koehl führt die Stelle an, wo Gott Krishna (eine Verkörperung Vishnus) den Menschen verspricht, sich immer wieder zu inkarnieren: »Wenn Tugend und Rechtschaffenheit am Boden liegen und das Böse und das Laster triumphieren, werde ich der Erde wiedergeboren, um sie zu retten. So erschaffe ich mich neu von einem Zeitalter zum anderen.« Großes gehe unter, um neu zu erstehen, wie es dem ewigen Willen der Natur entspreche, und nicht anders laufe auch die Weltgeschichte: ein Gedanke, den Koehl – Hinduistisches, Heidnisches und Christliches vermengend – gern und häufig bemüht, selbstverständlich nicht ohne eine Beziehung zu seinem historischen Idol herzustellen: »Adolf Hitler kam zur Welt auf unserer Erde. Er wurde Fleisch und Blut. Er kämpfte, und er starb«. Dass Hitler scheiterte und sich opferte, war Koehl zufolge eine außenbestimmte Notwendigkeit. Die Katastrophe von 1945 bildet die unerlässliche Vorbedingung für die spätere Wiederkunft des einstweilen Vernichteten als Schöpfer einer neuen Welt. »Hitler lebt in unseren Herzen und in unseren Gedanken«, behauptet Koehl und fügt, die bekannten Worte des Lukasevangeliums abwandelnd, hinzu: »Unser Führer ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!«28
In einer Rede vor niederländischen, flämischen und deutschen New-Order-Mitgliedern, 1991 irgendwo in Europa gehalten, deutet Koehl das Ende des Zweiten Weltkriegs als schmerzhafte, aber unverzichtbare Station auf dem Weg zum Heil, wie sie ähnlich auch die Jünger Christi hatten durchschreiten müssen. Die Situation des Nationalsozialismus nach dem Sturz Hitlers 1945 verglich Koehl mit der Situation der frühen Christen nach der Kreuzigung Jesu im Jahre 33. Damals schien die neue Religion geschlagen, ihre Anhänger waren verstreut in alle Winde und litten Verfolgung. Doch sie resignierten nicht; sie wussten ja, dass Christus in Golgatha über Tod und Hölle triumphiert hatte. Sie glaubten fest an seine Auferstehung und an sein bald kommendes Reich. Und tatsächlich, im 4. Jahrhundert war es so weit: Ihre Religion wurde Staatsreligion. Diese Wende nennt Koehl in einer recht geschmacklosen Metapher den »Endsieg« des Christentums und stellt die rhetorische Frage, ob die neuen Nationalsozialisten wohl den gleichen Siegeswillen aufbrächten wie die Christen der Antike. Grund genug hätten sie, meint Koehl. Wie lange der Kampf sich hinziehe, sei unwichtig, aber es bedürfe eines unerschütterlichen Glaubens, um ihn durchzustehen: »Wir können den Anfang machen. […] Ob es nun 50 Jahre, 100 Jahre, 500 Jahre oder 1000 Jahre dauert – entscheidend ist allein die Gewissheit, dass eines Tages – liege er fern oder nah – die Sache, für die Adolf Hitler stritt, auf Erden triumphieren