Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Werfel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075835550
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eure Leute von Suedja und Antakje sammeln und nach Osten führen. Doch in Aleppo, das kann ich dir auch sagen, werdet ihr nicht lagern dürfen. Wegen der Konsuln geschieht das.«

      »Und du, wirst du unter diesen Saptiehs sein, Ali Nassif?«

      Der Pockennarbige entsetzte sich mit großem Aufwand:

      »Inschallah! Ich danke Gott. Nein! Habe ich nicht zwölf Jahre unter euch gelebt? Als Kommandant des ganzen Bezirks? Und es hat keinen Anstand gegeben. Denn ich habe Ordnung gehalten Tag und Nacht. Und nun verliere ich euretwegen meine schöne Stellung. O Undank! Unser Posten wird ganz und gar abgelöst.«

      Um den Ärmsten in seinem Schmerze zu trösten, drückte ihm Bagradian ein paar Zigaretten in die Hand:

      »Nun sage mir, Ali Nassif, wann wird man deinen Posten ablösen?«

      »Ich habe den Befehl, noch heute nach Antakje abzumarschieren. Der Müdir kommt dann mit einer ganzen Kompanie hierher.«

      Indessen waren Juliette, Iskuhi und Stephan ins Haus getreten. Der Anblick Ali Nassifs erregte in ihnen keinen Verdacht. Gabriel schob den Saptieh aus dem Torgang auf den kiesbestreuten Vorplatz des Hauses:

      »Nach dem, was du mir berichtest, Ali Nassif, werden die Dörfer drei Tage lang ohne Bewachung sein.«

      Gabriel schien das bedenklich zu finden. Der Gendarm senkte angstvoll seine Stimme:

      »O Effendi, wenn du mich anzeigst, werde ich gehenkt und bekomme dazu noch eine Tafel mit der Aufschrift ›Hochverräter‹ über die Brust. Dennoch sage ich dir alles. Drei Tage lang wird kein Saptieh in den Dörfern sein, weil die Posten in Antakje neu eingeteilt werden. Dann aber wird man euch noch einige Tage Zeit geben, um eure Sachen in Ordnung zu bringen.«

      Gabriel Bagradian sah aufmerksam zu den Fenstern seines Hauses hinauf. Als habe er Angst, daß Juliette ihn beobachten könnte:

      »Habt ihr Listen der Einwohner abliefern müssen, Ali Nassif?«

      Der Pockennarbige blinzelte Gabriel mit treuherziger Tücke ins Gesicht:

      »Hoffe nichts für dich, Effendi! Auf die Reichen und Gebildeten haben sie es besonders scharf. Sie sagen, was nützt es uns, wenn die armen und fleißigen Armenier krepieren, die Effendis aber, die Geldsäcke und Advokaten, bleiben weiter im Land? Du bist besonders schlecht angeschrieben. Dein Name steht obenan, Effendi. Sie haben immer wieder von dir gesprochen. Denke auch ja nicht, daß sie deine Familie schonen werden. Das haben sie sehr genau verabredet. Bis Antakje bleibt ihr zusammen. Dann aber wird man euch trennen.«

      Bagradian musterte den Saptieh beinahe vergnügt:

      »Du scheinst ja zu den Großen und Eingeweihten zu gehören. Hat dir der Müdir sein Herz geöffnet, Ali Nassif?«

      Dieser nickte feierlich:

      »Nur für dich, Herr, habe ich die viele Mühe gehabt. In den Kanzleien des Hükümets bin ich gestanden und habe um deinetwillen meine Ohren angestrengt. O Effendi, ich verdiene mir trotz deines armen Papierpfunds einen Lohn in der jenseitigen Welt. Was ist heute ein Papierpfund? Wenn sie es dir im Bazar überhaupt wechseln, so betrügen sie dich. Siehe aber, meinen Nachfolgern wird mehr gehören als hundert Goldpfund und alle Medjidjehs, die in den Dörfern zu finden sind. Dein Haus wird ihnen gehören mit allem, was darin ist. Denn du kannst nichts mitnehmen. Und deine Pferde werden ihnen gehören. Und dein Garten mit all seinen Früchten ...«

      Bagradian schnitt diese blumige Aufzählung entzwei:

      »Es möge ihnen wohl bekommen!«

      Er reckte seine Gestalt hoch. Ali Nassif aber rührte sich wehmütig nicht von seinem Platz:

      »Jetzt habe ich dies alles für ein Stück Papier verkauft.«

      Um ihn loszuwerden, holte Gabriel all seine Piasterstücke aus der Tasche.

      Als Gabriel Bagradian ins Pfarrhaus trat, erkannte er zu seiner großen Verwunderung, daß Ter Haigasun die Katastrophe schon mehrere Stunden vor Ali Nassifs Bericht in Erfahrung gebracht hatte. In dem engen Zimmer waren auch bereits Thomas Kebussjan, die sechs anderen Muchtars, zwei verehelichte Volkspriester aus den Dörfern und Pastor Nokhudian aus Bitias versammelt. Graue und wächserne Gesichter. Der Donnerschlag hatte das Gewölk des krankhaften Halbschlafes, in dem diese Leute seit Wochen herumliefen, nicht zerrissen, sondern nur noch verdichtet. Sie standen rings an die Wände gedrückt und schienen leblos aus der Mauer herauszuwachsen. Nur Ter Haigasun saß. Das zurückgelehnte Gesicht war ganz dunkel. Seine Hände aber, die ruhig vor ihm auf dem Schreibtisch lagen, flammten in einem starren Sonnenstrahl. Wenn einer etwas sagte, so flüsterte er kaum hörbar und bewegte die Lippen nicht. Auch Ter Haigasun murmelte nur, als er sich jetzt an Bagradian wandte:

      »Ich habe von diesen Muchtars hier gefordert, daß sie gleich nach ihrer Rückkehr in die Dörfer die Gemeinden zusammenrufen. Noch heute, und zwar so schnell wie möglich, soll alles, was erwachsen ist, von Wakef bis Kebussije, hier in Yoghonoluk zusammenkommen. Wir werden eine große Versammlung abhalten, in der über alle Mittel beschlossen werden soll, die zu ergreifen sind ...«

      Pastor Nokhudians zittrige Stimme kam aus einem Winkel:

      »Es gibt keine Mittel, die zu ergreifen sind ...«

      Der Muchtar von Bitias trat ein wenig in den Raum:

      »Ob es einen Zweck hat oder nicht, das Volk muß zusammenkommen, muß Reden hören und selbst reden. Es wird dann alles leichter.«

      Ter Haigasun hatte die Unterbrechung mit gerunzelten Brauen über sich ergehen lassen. Dann setzte er Gabriel seinen Willen weiter auseinander:

      »In dieser Versammlung sollen die Gemeinden Leute wählen, zu denen sie Vertrauen haben und welche die Führung übernehmen. Die Ordnung ist die einzige Waffe, die uns bleibt. Wenn wir auch draußen Führung und Ordnung behalten, dann werden wir vielleicht nicht sterben ...«

      Bei dem Worte »draußen« hob Ter Haigasun die halbgeschlossenen Lider und sah Gabriel forschend an. Thomas Kebussjan wackelte mit dem Glatzkopf:

      »Auf dem Kirchplatz kann die Versammlung nicht gehalten werden. In der Kirche auch nicht. Da sind die Saptiehs! Da sind noch andere. Gott weiß, wer sich einschleicht, wer zuhört und uns verrät! Auch ist die Kirche für alle zu klein. Aber wo?«

      »Wo? Das ist sehr einfach!« Bagradian nahm zum erstenmal das Wort:

      »Mein Garten ist durch eine hohe Umfassungsmauer abgeschlossen. Diese Mauer hat nur drei versperrbare Türen. Platz gibt es für zehntausend Menschen. Wir sind wie in einer starken Festung.«

      Dieser Vorschlag Gabriels brachte die Entscheidung. Diejenigen, die aus Verzweiflung oder tatloser Mattigkeit die Vernichtung ohne mühsame Umstände hinnehmen wollten, und diejenigen, die bei allen Dingen Schwierigkeiten machten, konnten nichts mehr einwenden. Was ließen sich schließlich auch für ernste Einwendungen dagegen erheben, daß sich die Menschen des armenischen Tales in der Todesstunde ihres Volkes zusammentaten und Führer wählten, wenn diese auch so hilflos sein mochten wie die Geführten? Der Ort der Zusammenkunft war sicher und man mußte keine Angst vor Strafverschärfungen haben. Vielleicht spielte auch der Aberglaube mit, daß die Familie Bagradian Beziehungen zu den Machthabern unterhalte, die zugunsten der sieben Dörfer wirksam gemacht werden könnten. In abgestorbener Haltung, schleppenden Schrittes verließen die Männer den Raum, nachdem sie versprochen hatten, ihre Gemeinden unverzüglich auf die Beine zu bringen. Da Yoghonoluk ja in der Mitte der Ortschaften lag, würden in der vierten Nachmittagsstunde die letzten Nachzügler im Garten Gabriel Bagradian Effendis eintreffen. Die Muchtars wollten die Wache bei den Gartentoren selbst übernehmen, damit kein fremder Eindringling durchschlüpfe. Ter Haigasun erhob sich. Die Glocken riefen schon. Er mußte sich für den Gottesdienst bereit machen.

      Von allen Messen der christlichen Bekenntnisse dauert die armenische am längsten. Die Spanne vom Introitus bis zum letzten Kreuzeszeichen des Priesters mag gut ein und eine halbe Stunde währen. Kein Instrument, nur Schellen und Beckenschläge begleiten die Gesänge des Chors, der an ungeduldigen Sonntagen die Zeitmaße beschleunigt, um den Priester vorwärtszutreiben und das Hochamt