Freilich waren alle jene Philosophen alte Philosophen, und die Methode ihrer Lehrerin, ihre ganze Person hat in den vielen hundert Jahren den Mutwillen der Mode erfahren müssen. – Sonst waren die Mütter selbst oder gesetzte, vierzigjährige deutsche Anverwandtinnen die Erzieherinnen der Töchter; itzt sind es flüchtige, fünfzehnjährige Französinnen – und ebenso ist auch die Philosophie ihrer ehmaligen Bestimmung entsetzt worden.
Itzt ist sie einem Minister gleich, der von den Geschäften entfernt worden ist und auf seinem Landgute zum Zeitvertreibe die Chymie studiert. Hat er gleich keinen Einfluß mehr in die Angelegenheiten, so lacht oder schmält er doch, nach Maßgebung seiner Laune, trefflich über jeden Fehler, der in der Regierung begangen wird; doch ohne daß es jemand hört oder hören will. – Welchen Geist hat doch das Schicksal bestimmt, sie aus ihrer Einsamkeit herauszureißen und wieder in Geschäftigkeit zu setzen?
Bei diesen Umständen muß die Natur, da sie ihre Gehülfin verloren hat, die ganze Sache allein bestreiten, und für wen sie nicht so mütterlich gesorgt hat wie für meinen Tobias, der wird sich, in einem schlammichten Teiche, ohne Kleidung, ohne Bekannte, ohne Menschen, in dem natürlichen Zustande, in welchem ihn die Wehmutter an das Licht der Welt zog, betrogen von einer Undankbaren, hungrig – in diesen höchst traurigen Umständen wird er sich nicht um den tausenden Teil so gut betragen als Tobias.
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Ohne das Beißende in dem frechen Abschiede seiner undankbaren Gesellschafterin zu empfinden; ohne sich die erstaunliche Unverschämtheit ihrer Betrügerei in ihrer ganzen Größe vorzustellen; ohne an den verhaßten Kontrast zu denken, der zwischen einem gutherzigen Wohltäter und einem unempfindlichen Unmenschen sich befindet, welcher seinen Guttäter in den trostlosesten Zustand versetzen und noch dazu dreist seiner spotten kann; ohne – tausenderlei andre Sachen zu denken und zu empfinden, die in einer müßigen Einbildungskraft, auf den Druck einer einzigen Feder, im Augenblicke alle zugleich aufgesprungen wären; mit einem Worte, nach einem flüchtigen Erstaunen über die Abwesenheit seiner Kleider, nach einer ebenso kurzen Verwundrung über die plötzliche Gegenwart der diebischen Zigeunerin stieg in seinem Kopfe bei ihrem Glückwunsche zum Flügelmanne und zur Montur ein verwirrter Haufen von Ideen auf, die alle Flügelmann und Montur auf ihn losschrien. Sobald dies Geschrei sich in ihm erhub – husch! fuhr er bis an den Hals in das Wasser, indem die Scham ihm noch den letzten Druck gab.
Aber gezürnt hat er nicht einen Augenblick! Mit den Ideen Flügelmann und Montur, aus welchen seine Einbildungskraft ein Mosaik von einer unendlichen Mannigfaltigkeit zusammensetzte, wanderte er den ganzen Teich hinunter, und nur mannichmal, wenn jene eine kleine Pause machte, wischte die Überlegung dazwischen hervor, und zwar mit dem unmaßgeblichen Rate, so lange im Teiche zu warten, bis jemand dahin kommen oder bis es Nacht sein würde, und alsdann herauszugehen und an das erste beste Bauerhaus anzuklopfen, das sich zeigte. Der Magen machte zwar eine demütige Gegenvorstellung, aber er wurde von der Einbildungskraft überstimmt.
O Einbildungskraft! du bist das göttlichste Geschenk der Natur! Zwar bist du so launisch wie ein Frauenzimmer; hängst oft, wenn dir's einfällt, hinter deine mikroskopischen Gläser düstre, melancholische Bilder oder gar ein schwarzes Tuch über die wahren Gegenstände weg; aber mag es doch! wenn dich diese tückische Laune in einem Menschenleben wöchentlich einmal überfällt – gewiß der höchste Anschlag! –, so verwette ich doch ein Königreich gegen eine Stecknadel, daß du uns stündlich, ja minutlich für diese kleine Bosheit durch nützliche Dienste so reichlich entschädigst, daß man wahrhaftig ein Türke sein müßte, wenn man noch über deine Unart mit dir zanken wollte. Du tröpfelst freilich oft auf den Pfeil einer Beleidigung, eines widrigen Zufalls ein Gift, das schärfer brennt als der giftige Pfeil des Amors; aber noch öftrer machst du uns soviel possierliche, kurzweilige Sprünge vor, daß man die Wunde schon vergißt, wenn sie kaum geschlagen ist, oder fängst wohl gar den Pfeil mit der Hand auf, daß er schadlos von uns abprallt. Du – ja, wenn ich in meinem Leben noch ein Buch schreibe, so ist es eine Lobschrift auf die Einbildungskraft.
Meinem Tobias erzeigte sie so ausnehmende Vorteile, daß er von ihr allein in den Stand gesetzt wurde, durch seine erhabne Gleichmütigkeit in solchen Umständen – constantia et gravitate würde ein Lateiner gesagt haben – sich über die moralischen Helden aller Zeiten und Länder zu erheben. Unter ihrem Schutze, wie unter dem Schirme einer Schutzgöttin, wandelte er itzt in dem seichtesten Teile des Teiches und folglich mit der Hälfte seines entblößten Leibes außer dem Wasser mutig fort, als plötzlich ein lautes Schreien vom Damme her ihn in ein solches Schrecken versetzte, daß er wie eine badende Nymphe, wenn sie ein schäkernder Satyr erschreckt, bis an den Kopf unter dem Wasser sich hurtig versteckte.
Mag er indessen ruhig versteckt bleiben, bis wir den Damm durchsucht und ausfündig gemacht haben, aus was für einem Munde dieses fürchterliche Geschrei entstund. Daß es eine weibliche Stimme war, das konnte er mitten in seinem Schrecken genau unterscheiden, und auch soviel konnte er in der Geschwindigkeit beurteilen, daß es der Ausdruck eines ebenso großen Schreckens sein mußte, als das seinige war.
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Rund herausgesagt, es war Fräulein Kunigunde und Fräulein Adelheid, zwo Cousinen, die bei dem Vater der erstern, dem Herrn Hauptmann von V++, auf dem nächstgelegnen Rittersitze lebten, zu welchem auch der Teich gehörte, der itzo ihre und Tobias' Schamhaftigkeit in Sicherheit setzte.
Nur eben ein paar Pinselstriche will ich an ihrem Charakter tun, gerade so viele, als nötig sind, um sie meinen Lesern von andern weiblichen Geschöpfen unterscheiden zu helfen. Es waren ein Paar allerliebste, zuckersüße, ätherische Seelchen, so fein wie der Hauch eines Zephirs, so schmachtend sanft, so ganz Geist, daß wir übrige Sterbliche nur ein Klumpen unbeseelter Materie gegen sie scheinen müssen, und so empfindlich wie ein Espenblatt. Sie hatten aus dem Kerne aller ältern und neuern Romane und aus den zierlichen französischen und deutschen Kinderliederchen auf den Amor, auf alle Rosen in und außer Deutschland und andre dergleichen empfindungsreiche Gegenstände, zur Nahrung ihres Geistes die Essenz herausgezogen und diese Nahrung so sehr in ihre Substanz verwandelt, daß ihr ganzer Geist nichts als ein anakreontisches Liedchen und ihr ganzes Leben ein Roman war. Wäre ihr Körper von einem so überirdisch subtilisierten Stoffe gewesen wie ihre Seelen, so hätten sie auf einem Sonnenstrahle so gut wie Miltons Engel tanzen können; aber so hatte entweder die Natur in die unrechte Büchse gegriffen, als sie für diese zween Körper Seelen suchen wollte, oder es war wirklich eine weise Vorsicht, daß sie zwo so volatile Geister in die standhaftesten Leiber steckte – vermutlich, damit sie nicht ganz verdunsten sollten –, oder sie hatte endlich beide Seelen aus der nämlichen Masse zubereitet, aus welcher sie die übrigen alle gebildet hat, ohne bei ihrer Zubereitung weiter eine Absicht zu haben, als daß es gute ehrliche Menschenseelen werden sollten, und nachmals waren sie durch Romanenluft und die anakreontischen säuselnden Weste in einem so hohen Grade verfeinert worden, wie die Geister, die Virgil im Tartarus an der Sonne distillieren läßt; genug, was für eine Ursache es auch unter diesen und den übrigen möglichen sein mochte, ihre Körper waren so materiell, als ihre Seelen geistig waren; denn die eine hielt in der Länge siebzig völlige Zoll rheinländisches Maß, und die andre war nur um neun Linien unter ihr, und die größte Breite – die hat noch niemand aufgenommen.
An dem Tage, da sie zuerst durch ihr Geschrei in Tobias' und meiner Leser Bekanntschaft gerieten und der, wie hoffentlich jedermann noch wissen wird, ein Festtag war, hatten sie sich des Morgens vom Hause aufgemacht, um dem Herkommen gemäß sich zwei Stunden lang in die Kirche zu setzen. Allein die Begriffe des Herrn Seelsorgers waren für diese empfindsamen Seelen viel zu theologisch kraß und sein Vortrag viel zu kanzelmäßig trocken, als daß der Aufenthalt in der Kirche für sie unter den unvermeidlichen Übeln nicht den ersten Platz und jede Unterhaltung mit sich selbst nicht einen ungleich