Welcher Sittenmaler kann mir diese so entgegengesetzten Farben gehörig ineinander vertreiben, daß ein natürlicher wohlschattierter Charakter auf der Leinwand steht! – Ich denke, keiner; er müßte denn die große bewegende Kraft ihrer Handlungen, Gedanken, Urteile, Empfindungen, ihres Gefallens und Mißfallens, ihrer Liebe und ihres Hasses wissen, und diese – war – die Eigenliebe. Damit habe ich Lesern, die sich auf den Menschen verstehn, freilich nichts Neues gesagt; aber, wird man fragen, was für eine Larve trug sie? – Man könnte wohl raten – die Eitelkeit! – Je, was ist denn dabei zu verwundern oder den Kopf zu schütteln? – Wer so große Eigenschaften besitzt als die Gräfin Xr., dem sei die Eitelkeit im Himmel und auf der Erde vergeben! Ja, was noch mehr ist, sie könnte alle ihre Tugenden nicht besitzen, wenn sie nicht eitel wäre. Jedes Frauenzimmer muß eine Empfindung für Schönheit, Ordnung und Regelmäßigkeit unter ihrem Marmorbusen liegen haben, oder weder ihr Marmorbusen, noch ihre alabasternen Hände, ihre Korallenlippen, ihre Taubenaugen, ihre Venuswangen sind des Anblicks wert. Auch hat die Natur allen, selbst den geringsten, ein kleineres oder größeres Maß von jenem Gefühle zugeteilt, welches bei ihnen sichere und allgemeinere Dienste tut als bei Mannspersonen der gebildete und mit sogenannten Grundsätzen vollgestopfte Verstand. Dieses ihrer Eigenliebe zur Begleiterin gegebne Gefühl für Schönheit und Ordnung muß natürlich der Richtung ihrer Gefährtin folgen; und da diese bei allen Menschenkindern vom chinesischen Thronfolger bis zum Erben eines vogtländischen Landmanns, von der Prinzessin bis zur Viehhirtin, sobald sie den Kopf an das Tageslicht bringen, auf ihr liebes Ich zurennt, so muß jenes Gefühl unausbleiblich hinterdrein. Kein Wunder demnach, daß die Engel dieses Planetens die erste Anwendung ihres natürlichen Gefühls auf ihre werte Person machen; wo also diese Anwendung nicht geschieht – was schließt man da? – daß jenes Gefühl fehlt, jene Quelle aller weiblichen guten und schlimmen Eigenschaften – nein doch! daß ich mich doch beständig falsch ausdrücke! – weniger guten Eigenschaften, wollte ich sagen. Eigentlich sollte man es nur mit dem verächtlichen Namen Eitelkeit brandmarken, wo jene Anwendung der empfangnen Portion von Gefühl für Schönheit und Ordnung allein auf den äußerlichen Anstrich der lieben Figur geschieht – denn man muß
das Privilegium der Eitelkeit
Durch Millionen Reiz erkaufen,
also um einen hohen Preis! – Und obgleich die Eitelkeit der Gräfin Xr. mehr als gewöhnlich mit vernünftiger Ehrliebe und Begierde nach Achtung verwandt war, so mag sie doch Eitelkeit heißen, weil es der hergebrachte Ausdruck ist; wir wollen einander schon verständlich machen, wie es eigentlich gemeint ist.
Voltaire, deucht mich, glaubte dem schönen Geschlechte eine vortreffliche Süßigkeit zu sagen, als er sie belehrte, daß der einzige Unterschied zwischen Frauenzimmern und Mannspersonen darinne bestehe, daß jene liebenswürdiger wären als diese; und der Madam Pompadour schmeckte das Kompliment so herrlich, daß sie meinte, der Mann habe nicht Unrecht; – aber, mit Gunst des H. Voltaire und der Madam Pompadour, er hat offenbar Unrecht, er sagte eine derbe Unwahrheit; – die Frauenzimmer sind allein liebenswürdig, und wir Mannspersonen sind es nicht eher, als wenn wir es von ihnen lernen. – Niemand gehörte zur Bekanntschaft der Gräfin Xr., der nicht einen unauslöschlichen Charakter an sich trug, woran man seinen Umgang mit ihr erkennen konnte. Alle hatten von ihr einen Zusatz von Liebenswürdigkeit bekommen, der sie auf die vorteilhafteste Weise von andern ihres Geschlechtes unterschied; man konnte gelehrt, weise, vernünftig, mit einem Worte, alles sein, durch ihren Umgang wurde man allzeit etwas mehr, als man war – liebenswürdig.
Ernste Moralisten werden vermutlich meinen Panegyrikus sehr verdächtig finden und es sich kaum vorzustellen vermögen, wie die Gräfin Xr. so liebenswürdig, so lehrreich sein und doch so ganz entgegengesetzte streitende Elemente in ihrem Charakter vereinigen konnte; ob es nach dem System so ganz wahrscheinlich ist, weiß ich nicht, aber in der Natur ist es wirklich, so viel weiß ich. Auch ist die Bewandtnis nicht schwer zu entdecken: Wer ihrer Eitelkeit, ihrer Eigenliebe und jedem Dinge, das diese beiden in ihren Schutz genommen hatten, die Aufwartung machte, gab ihr alle Liebenswürdigkeiten, und wer einen von jenen Favoriten im mindesten beleidigte, der gab ihr alle Fehler, deren sie nur fähig war. Sie war die Marionette, die ihre Gesellschafter an den Faden der Eigenliebe regierten; wie die Götter lächelte sie gnädig, wenn man ihr opferte, und zog ihr Antlitz in zornige Runzeln, wenn man mit leeren Händen erschien. Wer Menschen kennt, dem ist dieser Charakter keiner von den außerordentlichen; es ist in gewissem Grade der gewöhnliche: Menschen sind gütig oder mürrisch, gefällig oder hart gegen andre in dem Verhältnisse, wie diese den Zug ihrer Eigenliebe zu treffen wissen; aber nicht alle sind gleich stark und bei gleich vielen Gelegenheiten auf diesen Zug empfindlich als die Gräfin Xr., und hierinne, in dem Grade der Stärke, bestund ihr Außerordentliches. Von ihrer Eigenliebe gingen unsichtbare Fädchen, dünne wie Menschenhaar, aus und waren an alles geknüpft, was sie liebte; die feinste Berührung! und sie fühlte es so gut als die Spinne im Mittelpunkte ihres Gewebes, wenn ein Stäubchen an die äußersten Enden desselben stößt.
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