Mag doch also Eupator immerhin durch die Illusion seiner Eigenliebe verführt werden, meinen Helden zu lieben und ihn sogar hochzuschätzen; ich lobe ihn darum nicht weniger und ehre den Mann, dessen Eigenliebe eine so wohltätige menschenfreundliche Richtung bekommen hat.
Hier ist es, wo ich zu denen zurückzukommen versprach, die den Eigennutz als das einzige Schwungrad des menschlichen Herzens ansehn. Wir wollten uns miteinander vergleichen, und es soll auch geschehen. Ohne Zweifel haben wir einerlei Idee im Kopfe und nur zweierlei Worte. – Helvetius tat vielen Leuten einen großen Gefallen, daß er das Interesse zur allgemeinen bewegenden Kraft bei der Freundschaft, dem Patriotismus und jeder tugendhaften Handlung erhub; man verstund das Wort in der eingeschränkten Bedeutung, in welcher es seine Feinde, die Jesuiten, nahmen; ein jeder fand die Behauptung des Philosophen in diesem Sinne durch seine eigne Denkungsart bestätigt und freute sich, den niedrigen gewinnsüchtigen Eigennutz, den alle Philosophen tadelten, durch einen Philosophen so geadelt zu sehn; Helvetius wurde ihr Mann, ihr Kabinettsphilosoph, weil er nach ihrer falschen Einbildung ihre Denkungsart predigte. Darum ist er, deucht mich, der Busenfreund einiger Weltleute geworden, die keinem Weltweisen außer ihm die Ehre ihrer Freundschaft gönnen; die Gunst verschiedener Philosophen war er gewiß den vielen Wahrheiten schuldig, die er – freilich unter einer Menge Sophistereien – mit einem Feuer sagt, das allein schon einsichtsvolle empfindende Leser hinreißen muß.
17
Die Versöhnung war zustande, und – was mich noch mehr freut – mein Held auf das beste wieder versorgt, der Liebling eines wahrhaftig guten und großen Mannes, der Mitbürger einer Monarchie, wo das oberste Gesetz befiehlt, sich glücklich zu dünken, und zwar beständig.
Eupator wünschte wohl keine großen Gesellschaften und bedurfte sie auch nicht, weil ihn die Einrichtung, Verbesserung und Regierung seines kleinen Staates genugsam beschäftigte, um der Langeweile keinen Platz zu lassen; allein welcher Mensch kann nachdenken und kein Vergnügen daran finden, die Resultate seines Nachsinnens andern mitzuteilen? Deswegen war ihm unser Philosoph doppelt wert: Er hörte gelassen seine Spekulationen an, billigte sie oder schwieg und – widersprach nie. In diesen Unterhaltungen predigte ihm Eupator unaufhörlich von den großen Leidenschaften, dem Bestreben nach Ruhm und Ehre; bewies ihm aus Geschichte und Erfahrung, daß Staaten nur alsdann groß und glücklich gewesen wären, wenn diese beiden Flammen in der Brust ihrer Bürger gebrannt hätten; daß durch ihre Wärme jede politische Tugend erweckt und zur Reife gebracht werde; daß ein Mensch durch sie über die Menschheit sich erhebe und ohne sie unter dem Haufen alltäglicher Menschen verliere – und eine Menge ähnlicher Phrasen des politischen und philosophischen Rednerstils; alles war in seinen Reden, beides Ideen und Ausdruck, mit der wärmsten Begeisterung befeuert.
Es gibt Mystiker, nicht bloß in der hochheiligen Theologie, sondern in allen Künsten und Wissenschaften; besonders sind die politischen und philosophischen die häufigsten – Männer, die aus ihrer bilderreichen Phantasie ein System von hochtönenden betäubenden Redensarten zusammengesetzt haben, die Kopf und Herz so begeistern wie der Dampf, den die Priesterin auf dem Dreifuße des Apolls durch einen bekannten Kanal in sich anlangen ließ. Eupator war ein Muster eines solchen politischen Mystikers; er überschüttete seinen Liebling mit einer solchen Menge rauschender Deklamationen, daß er so sinnlos dastund, als wenn er durch alle Öffnungen des Körpers unterirdischen Dampf eingesogen hätte. Ruhm war ihm eine Idee, die er zwar ehemals gedacht hatte, aber doch nur dem Worte nach, ohne daß eine Empfindung damit vergesellschaftet war; doch itzt wurde sie mit einer pompösen Begleitung in seiner Phantasie eingeführt; und ein solcher feierlicher prächtiger Einzug geschieht nie, ohne daß die Empfindung mit dazu gezogen wird. Er mußte seinem Patrone täglich in den Abendstunden auf dem Spaziergange Geschichten großer Patrioten, der alten Republiken, begeisternder Taten, großer Weltweisen und Staatsmänner vorlesen, worinne der enthusiastische Geist der Ruhmbegierde gleichsam atmete und, wo er fehlte, ersetzte ihn Eupator, der wirklich, wie man hieraus abnehmen kann, für jedes Große und Erhabne auf das lebhafteste empfand und in einer griechischen Republik ein Themistokles oder vielmehr ein Solon geworden wäre, und dieses umso viel gewisser, da der Geist der Monarchie, unter welcher er beständig vor seiner Entfliehung aus der Welt lebte und die nur durch den Namen sich vom Despotismus in den letzten Jahren seiner öffentlichen Geschäftigkeit unterschied, sein republikanisches Gefühl nicht niedergedrückt hatte. – »Der Mensch muß sich aus dem Staube emporarbeiten«, sagte er oft, » es sei, wie es wolle; hat uns die Natur keine Flügel gegeben, so müssen wir, wie Dädalus, sie selbst uns zubereiten; fällt man mit ihnen – on tombe noblement. Nicht schimmernder Tand, nicht die Werkzeuge des Luxus und der kindischen Eitelkeit, nicht Kleider, Möbeln, Bedienung muß den Geist etliche Stufen über seine Sphäre erheben: Ehre, Ruhm muß ihn mit Adlerflügeln zur Unsterblichkeit