Ein Glück für alle Leidende .ist es, daß schnell angeschwollne Wasser und ein plötzlich angewachsner Schmerz gleich schnell sich wieder setzen. Knauts Philosophie kroch zwar aus ihrem Winkel allmählich wieder hervor; aber während ihrer Abwesenheit war doch die Nacht herangekommen und keine andre Wahl übrig, als daß er ungegessen mit einem Lager auf der Erde unter Hirschen und wilden Schweinen vorliebnahm. Die Müdigkeit drückte ihm endlich die Augenlider zu, so sehr sie auch die Furcht offen erhalten wollte.
Er setzte den folgenden Tag mit einem kleinen Reste von Unruhe seinen Weg weiter fort, in der Hoffnung, einen Ausweg zu finden; er fand ihn nicht. Seine Mattigkeit nahm mit der Länge seines Marsches und seines Fastens zu; auch nicht eine einzige Frucht, die einen menschlichen Hunger leidlich hätte stillen können, zeigte sich ihm, und Tannzapfen – das einzige, was er um sich sah – zu versuchen, waren seine Leiden noch nicht dringend genug. Den dritten Tag traf er erst Eichenbäume mit reichlichen, beinahe reifen Früchten an; das war doch etwas Trost; hatte er seinem philosophischen Stolze zu Gefallen Eicheln mit der Sauce pitoyable in Amandens Hause ohne saure Miene verschlucken können, warum sollten sie ihm dem Hunger zu Gefallen nicht itzo eine willkommne Kost sein? – dächte man; aber weit gefehlt! – Der Druck, der Antrieb des Stolzes mangelte; seine Gesellschafter, die Bäume, waren fühllose Augenzeugen, denen nicht ein Haarbreit Erstaunen und Bewunderung abzugewinnen war; deswegen versuchte er eine, die andre und mehrere, sprudelte bei jeder, verzog das Gesicht und warf sie unwillig weg. Den vierten Tag wurde die Sache ernstlicher, der Wald immer dichter, und keine Eichel ließ sich im ganzen Umkreise erblicken. Den folgenden geriet er wieder zu den Eichen, die er vor zween Tagen verlassen hatte, kostete, was sie ihm darboten, und Glück zu! – es schmeckte – freilich nicht so herrlich als der Maréchal de Belleisle oder la Reine de l'orient und andre Süßigkeiten, an welche ihn bisweilen sein Gaum mit einem tiefen Seufzer erinnerte, aber er nahm seine Philosophie zusammen, und es glückte ihm, die Bitterkeit seiner Kost zu überwinden.
Sobald auf diese Weise die Angelegenheiten in seinem körperlichen Systeme wieder auf bessern Fuß gestellt waren, so wagte es seine Eigenliebe wieder, seine sogenannten Grundsätze auf den Schauplatz zu bringen, um zu versuchen, ob sich zwischen ihnen und der gegenwärtigen Situation nicht wenigstens ein Vertrag errichten ließ. – Die Eigenliebe ist, wie bekannt, eine feine verschlagne Dirne, sie bringt ihre Anträge nicht eher zum Vorschein, als bis sie merkt, daß wir Zeit und Lust haben, sie wenigstens nicht ungern anzuhören. Diese ganzen fünf Tage über hatte sie sich wohl gehütet, mit einem Laute an ihre Lieblinge zu gedenken, weil alles in unserm Philosophen mit den gegenwärtigen Leiden zu beschäftigt war, um sich von ihr amüsieren zu lassen; doch kaum hatte eine Handvoll Eicheln Ruhe und Frieden im Körper wiederhergestellt, als die Listige sachte hervorschlich und leise zischelte: »Nu, Tobias Knaut? Wo bleibt deine Glückseligkeit? Bist du beständig glücklich, wie du an Amandens Tafel bei einem Stücke tourte de massepain oder etwas Ähnlichem bei dir behauptetest? So bilde dir doch ein, daß Eicheln nichts schlechter als Geleen und Creme sind, wenn dein Glück bloß in der Einbildung besteht!« – Eine so ironische Frage mußte alle Kräfte des menschlichen Egoismus anspornen; auch währte es nicht lange, so saß der gute Knaut mitten unter den Resten seines Eichelmahles und sann mit der angelegentlichsten Ernsthaftigkeit auf Mittel, sich wieder glücklich, das heißt, seine vorgefaßten Meinungen von der Glückseligkeit mit seinen itzigen Umständen übereinstimmend zu machen – so ernst saß er da als Eupaschon, da er bei der vollen Weinflasche schrieb, daß alle Menschen gleich glücklich sind.
Die Bemühung, seine Vorurteile – Grundsätze, wollte ich sagen! – zu retten, ging ziemlich gut vonstatten. Anfangs trat zwar ein kurzes Andenken an das vorige Wohlsein in den Weg; aber der Witz drang durch. »Was«, rief er, »was fehlt dir, mein lieber Knaut? – Du bist gesättigt; was willst du mehr? Ob dies eine Folge von Eicheln oder von englischem Braten ist, das gilt gleich; das Gefühl der Sättigung ist eins, und mehr brauchst du nicht. – Du bist also noch so glücklich wie sonst; du bist es, weil du es zu sein glaubst.«
Bravo! –
»Aber die Creme, die letzte Citronengelee!« – die fatalen Creme und Geleen, daß sie ihm nicht aus dem Kopfe wollen! – »Zwar –« unterbrach er sich, (ich kann doch leider! keine mehr genießen) – dies in Parenthese gesagt –, »wozu nützt aller dieser Unrat? Elende Mixturen! ich verachte euch. Ihr nichtswürdigen Gemische seid meines Wunsches nicht wert. – Ein vernünftiger Mensch macht sich seiner unwürdig, wenn er an solchen Kleinigkeiten ein Vergnügen findet. Der Mensch will sich sättigen; was hierzu führt, ist ihm genug, sei es, was es wolle.«
Er machte mit einem guten Dutzend Eicheln die Probe auf der Stelle und ward in kurzem mit seiner Kost so vertraut, daß er – ut prisca gens mortalium – nichts Bessers wünschte und verlangte. Er verachtete von Tage zu Tage mehr alle die Glückseligkeiten, die innerhalb dem Umkreise seiner Kenntnis lagen, und setzte alle Sterbliche unter sich herab, die sich nicht von Eicheln nährten. – Ei, ei! das letzte ist eine schlimme Vorbedeutung! Das war ja wohl gar eine kleine Regung von Neide, die diese Herabsetzung bewirkte? – Gewiß, nichts anders! Der Neid war es, der sie ihm eingab, der von menschlichen Seelen, wie der Schatten vom Körper, unzertrennlich ist, sobald die Kenntnis größerer Glückseligkeiten, die ihnen mangeln, einen starken Strahl auf sie wirft. Dreimal glücklich sind wir alsdann, wenn unsre Eigenliebe noch in einer glücklichen Ebbe wie bei meinem Helden sich befindet und nicht zur Flut der Leidenschaft, zum Stolze, emporgestiegen ist – wenn es mit ihm einmal so weit kömmt, daß seine Kenntnis von Glückseligkeiten erweitert und seine Begierde darnach reizbarer wird; wenn dadurch die Vergleichung seiner selbst mit andern Menschen den gegenwärtigen Sprößling von Neide zu Emulation, zur Vorzugssucht anwachsen läßt: dann, dann ist es um seine philosophische Stille des Gemütes geschehen, dann wird eine Leidenschaft die andre entzünden, nachdem der Zufall diesen oder jenen Zunder unterlegt; seine Begierden werden wie wilde Rosse anziehen und fortrennen, und dann mag der Kutscher sehn, wie er sie regiert.
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Es war nicht der mindeste Anschein, als wenn ein günstiger Zufall ihn bald aus seiner Einöde erlösen würde, sondern vielmehr der allergrößte, daß er sein Leben hier werde zubringen müssen; denn unter einem halben Jahrhunderte schien kein menschlicher Fuß diese Gegend zu besuchen. Überdies hatte die Zeit, die glückliche Rettung seiner Grundsätze, die Gewohnheit und besonders die Abwesenheit glücklichrer Menschen seinen Zustand bis zu einem Grade erträglich gemacht, daß er sich sogar in einem sehr vorteilhaften Lichte als den Herrn dieses Eichenwaldes ansah, seine Ungebundenheit pries, seine Freiheit, mit welcher er von einem Flecke zum andern ungehindert ziehn, von diesem und von jenem Baume genießen, essen und schlafen konnte, wenn er wollte – kurz, er war gewiß glücklich, weil er es zu sein glaubte.
Um ihn aber seiner künftigen Bestimmung näher zu führen, hatte die Natur, wie in allen Nachkommen Adams, einen Sporn in ihn gelegt, der ihn von Zeit zu Zeit antrieb, einmal auf eine andre Art glücklich sein zu wollen; allmählich wurde daraus eine Unzufriedenheit, eine Unbehaglichkeit, die er nur fühlte, aber sich nicht erklären konnte noch wollte; sie nahm zu, und ohne langes Bedenken steckte er alle Taschen seiner Kleidung voller Eicheln, um sich vor künftigen Mangel zu schützen, verließ seinen bisherigen Wohnort und wanderte getrost mit seiner Ladung fort, zwar ohne die geringste Aussicht auf bessere Umstände, aber doch froh, weil alle mögliche Hoffnungen dieser Erde in seiner Gewalt waren; er war schon froh, daß er eine andre Aussicht hatte. Mit vieler Ökonomie schonte