Mit einem Worte – Amande liebte!
Ihren Schoßhund? ihre Garderobe? ihr Kammermädchen? ihre Arbeit? – Wer weiß, wie viele andre hätten sich hiermit begnügt; alles waren Sachen, die ihre Empfindlichkeit nicht erschöpften! – Sie liebte – Tobias Knauten! – und zwar aus bloßer Langeweile, aus bloßem Mangel an andern vernünftigen Geschöpfen. – Wenn eine reiche Einbildungskraft ganz ungebunden herumschweifen kann, ohne daß die äußeren mannigfaltigen Veranlassungen der Gesellschaft ihren Lauf bald dahin, bald dorthin lenken oder ohne daß sie jemals eine bestimmte fortgesetzte Richtung von ernsten Beschäftigungen bekömmt, so brütet sie solche ungeheure Geburten, Zusammensetzungen und Verbindungen von Ideen aus, tut solche ungeheure Sprünge als im Schlummer; wir träumen wachend, und desto ungeheurer, weil ein stärkeres Bewußtsein dabei ist. Wie leicht ist es, daß sie bei ihrem ausgelaßnen Hüpfen und Herumwälzen an eine von den unzähligen Saiten der Empfindung stößt – sie tönt; und da, nach der Aussage einer Schriftstellerin, im weiblichen Herzen alle Saiten nach dem Tone der Liebe gestimmt sind, so ist es unvermeidlich – die Einbildungskraft berühre welche Saite sie will, sie tönt Liebe! – So ist es unvermeidlich, eine Tochter Evens in der Einsamkeit muß sich verlieben! – Und ist kein Tobias Knaut bei der Hand, so lieben sie Schimären ihrer Phantasie, schaffen sich einen Adonis im Gehirne, um ihn im Gehirne anzubeten.
O Ihr, die das Schicksal mit einem lebhaften Geiste in die Einsamkeit setzte, beschäftigt Euern Kopf! Beschäftigungen der Hände lassen der Phantasie zu vielen Raum zum Herumschweifen. Beschäftigt den Kopf – je nützlicher, versteht sich, je besser! – Laßt die Einbildungskraft nie müßig herumschlendern – oder ich mache gleich für Eure Tugend ein Sterbelied! – Es gehört viel dazu, um nicht durch die Einsamkeit schlimmer zu werden als durch die schlimmste Gesellschaft.
Inzwischen war Amandens Witwentugend nicht halb so sehr in Gefahr, als man nach dieser Einleitung vermuten sollte; wenn man nur einen Philosophen um sich hat, so hat das Ding wenig zu bedeuten; die Tugend stirbt alsdann höchstens in effigie, in uns; und – so weiter.
Knautens Philosophie war Amandens Rettung und also das Pflaster für die Wunde, woran sie den ersten Schnitt getan hatte. Außerdem war ihre Liebeserklärung nicht so wollüstig anlockend wie Emiliens ihre an Selmannen, noch so ganz ohne alle Delikatesse handgreiflich wie die Methode der Madam Sophronius, sondern mit derjenigen Behutsamkeit begleitet, die ein feines Gefühl von Anständigkeit niemals verläßt; alles war nur halb gesagt und ließ den Zuhörer eine Menge hinzudenken, ohne daß es gar nichts gesagt hieß; Blicke, Mienen, Gebärden redten die ganze geheimnisvolle Sprache der Liebe, die aber niemand versteht, dem die Natur nicht das Wörterbuch dazu ins Herz geschrieben hat; so ausschweifend und ungeheuer auch ihre Neigung war, so konnte es doch ihr Geschmack, ihre lebhafte Empfindung des Schicklichen und Schönen nicht dahinbringen, sie zu unterdrücken, und sowenig ihre Delikatesse bei einem Philosophen von Knautens Art zu wagen hatte, der keine einzige von den superfeinen Gefühlen richardsonischer Frauenzimmer kannte, so widersprach doch alles in ihr einem deutlichen Geständnisse – oder, welches vielleicht viele lieber hören werden, der Rest ihrer von der Einbildungskraft verführten Tugend widersetzte sich einem solchen Geständnisse. Kein Wunder also, daß der Philosoph von einer so undeutlichen Sprache nicht eine Silbe verstund, und wenn sie sich nicht herabläßt, ohne Rückhalt in gutem planem Deutsch mit ihm zu sprechen, so muß sie unerhört bis an ihren Tod in seinen Ketten seufzen; denn der unempfindliche Knaut fühlte so wenig von den Schmerzen der Liebe, daß er mitten unter ihren Unruhen die höchste Glückseligkeit seines Lebens genoß.
Bekanntermaßen kann man das System einer ununterbrochnen allgemeinen menschlichen Glückseligkeit nie besser und leichter behaupten, als wenn man keine Not hat. Von dieser war er in seinen gegenwärtigen Umständen völlig befreit; es mangelte ihm keine von den Bequemlichkeiten und Bedürfnissen, die er nach seinen Begriffen dafür hielt; er genoß sogar einige ihm ganz neue und deswegen desto besser tuende Annehmlichkeiten; die geheime Neigung seiner Gebieterin verschaffte ihm eine Aufmerksamkeit, Achtung und vorzügliche Begegnung, als noch keine seine kleine Eigenliebe gekützelt hatte. Welche Lage hätte günstiger sein können, um den schon eingewurzelten Grundsatz auf ewig zu befestigen, daß man in allen Umständen gleich glücklich sei? – Und eigentlich zu reden, ist unsre Glückseligkeit nur dann erst vollkommen, wenn unsre Umstände unsern Grundsätzen, Meinungen und Vorurteilen keinen Widerspruch tun, und auf dem höchsten Gipfel ist sie, wenn unsre Situation jenen Busenfreunden gar Recht gibt, ihnen schmeichelt.
Zu einem solchen Gipfel war itzt unser Philosoph gelangt: Er war glücklich, weil ihn nichts hinderte zu glauben, daß man es allzeit sein könne. Auch der Umkreis seiner Glückseligkeit wurde sehr erweitert: Er faßte verschiedene Dinge mit in den Zirkel derselben, die er vorher nicht gekannt und also auch nicht darein gesetzt hatte – Bequemlichkeit, Ruhe, Überfluß, Reichtum – genug alles, was seine gegenwärtigen Umstände als wirkende Ursache voraussetzten.
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Mittlerweile daß Amandens Liebe mit der Anständigkeit in ihrem Herze kämpfte und diese jedes Geständnis, wenn es sich gleich schon heimlich bis an den Rand der Lippe herangestohlen hatte, augenblicklich wieder zurückzog, gab sich ihr Bruder alle ersinnliche Mühe, ihr einen Ehegatten zu verschaffen, der Verstand und Einsichten genug besäße, um an etwas Besserm als einer elenden Soupe à la bière Geschmack zu finden. Er hatte auch wirklich schon lange ein tüchtiges Subjekt in Gedanken, einen Mann, der zwar in der Kunst zu essen unter ihm war, aber ihm doch alle Hoffnung gab, daß er mit der Zeit durch fleißige Bildung zu einer vorzüglichen Größe darinne gelangen könne. Er fühlte sich auch von Liebe zu Amanden durch und durch befeuert, als ihm ihr Bruder durch sichre Beweise dargetan hatte, daß sich ihr reines Vermögen auf dreißigtausend belaufe – so befeuert wurde er von der Liebe, daß er minutlich um sie anhalten wollte; allein der hitzige Liebhaber wußte nicht, was für einer Menge schlimmer Eigenschaften der nachteilige Eindruck auf Amanden benommen werden mußte, ehe er ihr nur erträglich werden konnte, und was für eine Strecke ist von da bis zur Liebe!
Während daß der H. v. a × b sich durch häufiges Nachsinnen über Plane zu Ausführung seiner Absichten täglich der Gefahr einer schlechten Verdauung aussetzte, schlich sich ein listiger Prätendent ohne sein Bewußtsein bei Amanden ein. Er war ein guter Tänzer, ein vortrefflicher Reiter, redte, seine Muttersprache ausgenommen, drei Sprachen in gehöriger Vollkommenheit, hatte Bücher in allen diesen Sprachen unter Händen gehabt, konnte mit einem Scherenschnitte die ganze Passion in Papier ausschneiden, Brüßler