Das kleine Dummerle und andere Erzählungen zum Vorlesen im Familienkreise. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118433
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alle dieselbe Straße nach Sonneberg. Zwischen den schönen Waldbergen hindurch gingen sie gebückt unter der Last, aber doch in fröhlichem Geplauder, und als sie in die Nähe der Stadt kamen, sahen sie von anderen Ortschaften her ähnliche Gestalten der Stadt zupilgern.

      »Mutter, was haben die in ihren Körben? Die tragen nicht so schwer wie du,« fragte Marie. »Das sind die von Lauscha,« sagte Frau Greiner, »die machen Glaskugeln und Christbaumschmuck und Puppenaugen. Die sind auch nicht besser bezahlt als wir, aber jetzt paß auf, der dort mit dem schweren Korb, das ist ein Augeneinsetzer, die sind am besten bezahlt.« Achtungsvoll sahen Mutter und Tochter nach dem Mann mit dem schweren Korb.

      Nun machte die Straße eine Biegung und Sonneberg, die freundliche Stadt, erschien mit ihren schönen, schiefergedeckten Häusern mitten unter grünen Hügeln. Hier strömten von allen Seiten die Bewohner der umliegenden Ortschaften zusammen und suchten die großen Geschäfte auf, die aus den abgelieferten Köpfen, Körpern und Gliedern die Puppen fertig machen und in alle Welt hinaus versenden. Marie ging neben der Mutter her, sah nach den schönen Häusern hinauf und las die Aufschriften: »Spielwarenfabrik« hieß es an dem einen, »Fabrik gekleideter Puppen« an dem andern, und so fort; die ganze Stadt schien wegen der Puppen da zu sein. Darüber wunderte sich Marie auch gar nicht; ihre Eltern, ja fast alle Menschen, die sie kannte, lebten ja auch durch die Puppen.

      Jetzt endlich waren sie an der Fabrik angelangt, für die Greiner arbeitete, und mit Herzklopfen folgte Marie ihrer Mutter durch das große Eingangstor in den Hofraum und durch eine Tür in ein Arbeitszimmer, in dem schon mehrere Frauen und Mädchen standen und warteten.

      Eine Frau packte eben die Puppenkörper aus, die sie gebracht hatte, und ein Herr mit der Brille auf der Nase sah einen jeden prüfend an, warf ihn dann neben sich in einen großen Kasten und zählte dabei. Die Frau sah ängstlich zu. Jetzt warf der Herr einen der Körper beiseite und am Schluß noch einen.

      »Zwei gehen ab, die sind ungleich gearbeitet, müssen noch einmal aufgetrennt werden.« Die Frau legte sie stillschweigend wieder in ihren Korb, bekam dann einen Zettel, auf dem stand, wieviel sie abgeliefert hatte, und ging mit diesem in das nächste Zimmer, wo sie ausbezahlt wurde und neue Aufträge für die nächste Woche erhielt. So kam eine der Frauen nach der anderen an die Reihe, auch Frau Greiner lieferte ab. Ihre Arbeit wurde tadellos befunden und vergnügt strich sie ihr Geld ein. Für die nächste Woche gab’s Arbeit genug, fast mehr als Frau Greiner versprechen konnte. Der Herr vermerkte es in seinem Buch.

      »Mutter, so viel bringen wir doch nicht fertig?« fragte Marie, als sie aus dem Zimmer waren. – »Ich weiß wohl, aber das darf man nicht sagen, sonst heißt’s später, wenn’s weniger Arbeit gibt, gleich: Ihr habt uns auch im Sommer im Stich gelassen, wie die Arbeit drängte.«

      »Aber wenn wir’s in dieser Woche nicht fertig bringen? O da möcht’ ich nicht dabei sein, wenn du zu dem Herrn kommst und zu wenig ablieferst, da würd’ ich mich fürchten!«

      »Wir werden schon fertig; wenn der Tag nicht reicht, so gibt’s doch noch die Nacht. Jetzt komm, jetzt gehen wir zur Großmutter und schauen, wie’s der Alten geht, und deinen Korb kaufen wir auch.«

      Die Großmutter wohnte ganz oben im alten Teil des Städtchens, wo kleine Häuschen in engen Gassen sich am Berg hinziehen. Marie war vor Jahren einmal dagewesen und hatte ihre Großmutter und die Tante, bei der sie wohnte, besuchen dürfen, sie konnte sich’s kaum mehr erinnern.

      Sie stiegen eine schmale Treppe hinauf und kamen in einen dunklen Gang. Marie hielt sich an der Mutter. »Gelt, dir kommt’s dunkel vor?« sagte die Mutter, »aber ich find’ gut meinen Weg, ich bin ja da aufgewachsen, und wie ich so alt war wie du, bin ich durch den Gang gesprungen, wie wenn’s heller Tag wär’.« Sie kamen an einer Tür vorbei, man hörte sprechen. »Das ist noch nicht die rechte Stub’, da wohnt ein Stimmacher; weißt so einer, der den Puppen die Stimme einsetzt, daß sie Papa und Mama sagen können. Und da gegenüber ist jetzt einer, der macht Puppenschuh’, hörst nicht seine Maschine?«

      »Aber da wohnen viel Leut’, Mutter!«

      »Was meinst auch, in Sonneberg sind die Wohnungen gar teuer, aber jetzt sind wir an der rechten Tür, da wohnen wir.« Ohne anzuklopfen machte Frau Greiner die Türe auf: »Guten Tag, Mutter, guten Tag, Regine. Seid ihr wohlauf? Marie, kennst die Großmutter noch? Geh vor, gib ihr die Hand und deiner Tante Regine auch.«

      Die alte Frau, die am Fenster saß, nickte freundlich den Ankommenden zu und erwiderte den Gruß. Aber sie stand nicht auf von ihrem Stuhl, denn sie war an der Arbeit. Einen Puppenkopf hatte sie vor sich, einen ganz fertigen, schön bemalten, mit Augen im Kopf, aber oben war das Köpfchen noch offen, dem leimte sie eben das Deckelchen auf, mit dem schön gelockten Haar. Und die Tante, die kniete eben vor dem Ofen und zog aus der Röhre ein Backblech hervor. Aber Kuchen war nicht auf dem Blech, etwas ganz anderes kam zum Vorschein. Glasröhrchen, umwickelt mit blonder und brauner Mohärwolle, die wie Haar aussah, lagen da nebeneinander auf dem Blech und waren im Ofen getrocknet worden. Mit geschickten Fingern streifte Regine die aufgewickelte Wolle vom Glasröhrchen ab, und nun war es eine festgerollte schöne Locke, fertig zum Aufkleben auf den Puppenkopf.

      Wenn auch die beiden Frauen ihre Arbeit kaum unterbrachen, waren sie doch freundlich gegen ihre Besuche, fragten nach Mann und Kind und wunderten sich, daß Marie schon so groß sei. Auf dem Ofen stand eine Kanne mit Kaffee. »Schenk dir ein und deiner Marie auch,« sagte die Großmutter, »hol das Brot aus der Schublade und schneid euch ab, es ist euch vergönnt.«

      Da saßen sie und aßen und Marie sah dabei auf die Tante, wie sie so blitzschnell die Löckchen abstreifte und von der schönen Mohärwolle, die neben ihr stand, neue feuchte Strängchen um die Glasröhrchen wickelte, daß in kurzer Zeit das Blech wieder voll war und in die Herdröhre wanderte. »Das Frisieren ist schöner als das Bälgemachen, Mutter,« sagte Marie, »das möcht’ ich lieber tun.«

      »Gefällt dir’s?« sagte ihre Tante. »Wenn du aus der Schule bist, dann kommst du nur zu uns und hilfst mir. Die Großmutter wird alt, der zittern jetzt schon die Hände.« Aber Frau Greiner lachte. »Du wärst nicht dumm,« sagte sie zu ihrer Schwester. »So lang die Kinder klein sind, soll ich sie haben, und wenn sie aus der Schul’ sind, sollen sie dir verdienen helfen. Die Marie wird schon daheim bleiben müssen. Wir haben jetzt auch Arbeit genug, ich kann sie nimmer allein tragen; einen Korb will ich der Marie kaufen, daß sie mir künftig tragen hilft. Wir müssen gehen, daß wir vor Abend noch heimkommen.«

      Stolz kehrte Marie mit dem neuen Huckelkorb auf dem Rücken von Sonneberg heim. Im Dorf hielten sie sich mehr als einmal auf, ehe sie ins eigene Haus kamen. Beim Metzger und beim Krämer, beim Bäcker und bei der Nachbarin, die Geißmilch verkaufte, waren Schulden zu bezahlen und überall wurde noch ein wenig eingekauft, so daß die kleine Barschaft schon ziemlich zusammengeschmolzen war, als sie ihr Haus erreichten. Der kleine Philipp sprang ihnen entgegen.

      »Ihr kommt so spät heut’,« sagte er, »es steht schon lang einer da und wartet auf dich.«

      »Wer ist’s denn?«

      »Der den Stoff verkauft, der will Geld.« »O den kann ich schon gar nicht leiden,« sagte die Mutter, »hätt’ ihn der Vater doch fortgeschickt.« »Der Vater ist auf dem Kartoffelacker, den Johann hat er mitgenommen.«

      Vor dem Hause setzte Frau Greiner den Huckelkorb ab, mit dem sie gar nicht durch die niedrige Türe gekonnt hätte, und dann trat sie ins Zimmer. Am Fenster stand der Kaufmann, der von Zeit zu Zeit in den Ort kam und das Tuch verkaufte, aus dem die Puppenkörper angefertigt wurden. Ihm war Frau Greiner viel schuldig, und so ungern sie ihr Geldchen, das sauer verdiente, hergab, so langsam sie auch die Markstücke aufzählte, sie durfte sie doch nicht behalten, sie wanderten in die große Geldbörse des Kaufmanns. Er hätte ihr sonst keinen neuen Stoff gegeben und sie brauchte doch so viel für die Bestellungen, die sie angenommen hatte. Nachdem sie bezahlt hatte, rollte er bereitwillig seinen Ballen auf, und sie konnte von dem schönen weißen Stoff haben so viel sie wollte.

      »Wollen Sie ihn nicht gleich zahlen, Frau Greiner, oder wenigstens einen Teil davon? Sie haben ja noch Geld, wie ich sehe, und Sie bekommen jeden Meter um zehn Pfennig billiger, wenn Sie gleich bezahlen.«

      Aber