Das kleine Dummerle und andere Erzählungen zum Vorlesen im Familienkreise. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118433
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über die hilfreichen Menschen und über Gott den Herrn!

       Inhaltsverzeichnis

      Im Thüringer Wald, hoch droben zwischen den Bergen, liegt das Dörflein Oberhain. Kleine, schiefergraue Häuslein ohne Scheunen und Ställe, ohne Gärten und Felder stehen eins neben dem andern dicht am Berg, im Schatten der nahen Waldbäume. Wenn im Frühjahr die kleinen Kartoffeläcker bestellt sind, die sich am Berghang hinziehen, ist die Arbeit getan. Im Sommer erklingt nicht das Dengeln der Sensen, denn es gibt kein Heu auf den kleinen, nassen Wiesen. Im Herbst sieht man keinen Erntewagen, denn niemand hat Garben einzubringen; im Winter hört man nicht dreschen, denn es ist kein Korn gewachsen. Keine Viehherde zieht durchs Dorf, nur ein paar Geißen grasen da und dort oder ein Schweinlein läßt sein Grunzen vernehmen. So sieht ein Dorf aus ohne Bauern. Aber doch leben Leute genug in den schieferbedeckten Häuschen, Leute, die von früh bis spät fleißig sind. Was mögen sie wohl treiben?

      Es war im Juni des Jahres 1900 früh am Morgen. Aus der Türe eines der Häuschen trat eine kleine Frau; sie war nicht kräftig und rotbackig wie eine Bäuerin, schmächtig und blaß sah sie aus; doch ging sie ganz munter ums Haus und holte von den Reisern, die dort aufgeschichtet lagen, ein Büschel. Die Türe hatte sie weit offen stehen lassen und man konnte durch dieselbe in das Zimmer sehen und in die Kammer daneben. In dieser standen zwei Betten. Aus dem einen war eben die Frau herausgeschlüpft und der Mann lag noch darin. Im andern Bett ruhten zwei Kinder; eigentlich gehörte wohl noch ein drittes hinein, aber das war offenbar herausgefallen, denn es lag auf dem Boden, war halb unter die Bettstatt hinuntergekugelt, schlief aber dort unten ganz ruhig weiter.

      Als die Frau mit dem Holz wieder in die Stube kam und Feuer im Ofen anmachte, verließ der Mann das Bett, kleidete sich an, hob den kleinen Kerl unter der Bettstatt hervor, legte ihn in sein Bett und sagte zu seiner Frau: »Den Johann haben sie wieder herausgeworfen, hast nicht gesehen, daß er auf dem Boden gelegen ist?« »Wohl,« sagte die Frau, »aber es ist ja nicht kalt und schadet ihm nichts.«

      »Ja, ja, im Sommer tut sich’s noch, aber die Kinder werden alle Tag’ größer, sie haben zu dritt nimmer Platz in dem Bett, wie soll’s im Winter werden?« »Geh, sorg dich nicht um den Winter, jetzt um Pfingsten herum,« sagte munter die kleine Frau und setzte einen Topf voll Kartoffeln aufs Feuer.

      Als der anfing zu sprudeln, erwachten die Kinder fast alle zur gleichen Zeit und bald saß die ganze Familie einträchtig um den Tisch. Mit dem Anrichten der Kartoffeln machte die Hausfrau nicht viele Umstände, sie wurden mitten auf den Tisch geschüttet, da kollerten sie schon von selbst nach allen Seiten und jedes langte zu und aß.

      »Mutter, der Johann schiebt die Kartoffeln mit den Schalen hinein,« sagte Marie, die Sechsjährige. Aber die Mutter lachte bloß: »Er denkt halt, so geben sie mehr aus,« sagte sie. »Geh, Marie, schäl du sie dem Johann,« mahnte der Vater, und die Schwester tat es auch, aber lange hatte sie nicht die Geduld dazu und einige Schalen bekam der Kleine immerhin noch mit zu essen.

      Nach dem Frühstück wischte Frau Greiner mit beiden Armen den Tisch ab, daß die Kartoffelschalen nach rechts und links auf den Boden flogen und rieb mit ihrer Schürze darüber. Vater Greiner war inzwischen an den Ofen gegangen, in dem trotz des warmen Junimorgens noch das Feuer brannte. Dort stand ein Kessel, von dem kein lieblicher Duft ausströmte: Aus alten Papierabfällen und Kreide, aus Mehl und Leimwasser rührte da Greiner einen wunderlichen Brei zusammen und bald brodelte die Masse und erfüllte mit ihrem Dunst das ganze Stübchen. Papiermasché war es, das er da bereitet hatte, und nun ging er an seine Arbeit. Er hatte neben sich eine Anzahl von Formen, so etwa, wie unsere Kinder Formen haben, wenn sie mit Sand spielen. Sie füllen ihre Förmchen mit dem feuchten Sand und pressen ihn hinein, und wenn sie dieselben umstürzen, so stehen kleine Törtchen oder dergleichen da. So füllte Greiner in seine Formen das Papiermasché, drückte es fest an, und was herauskam, das waren Puppenköpfe, lauter Puppenköpfe. Schön sahen diese noch nicht aus, sie waren weiß und weich, hatten noch keine Augen, und vorsichtig mußten sie zum Trocknen auf die Stäbchen gesteckt werden, die an Brettern rings um den Ofen gestellt waren. So saß nun auf seinem Holzstuhl Vater Greiner stundenlang zwischen dem übelriechenden Brei und all den dampfenden Köpfchen, arbeitete und hustete dabei, denn seine Lunge war krank geworden von der schlechten Luft.

      Seine Frau hatte aber auch nicht umsonst den Tisch sauber gemacht. Bald lag auf demselben ein Ballen weißen Hemdentuches, aus dem sie Stoff zu Puppenkörpern herausschnitt; das ging so flink, im Nu war ein ganzer Stoß geschnitten. Dann ging’s ans Nähen; ringsum mußte der Balg zugenäht werden, nur oben, wo später der Kopf darauf kommt, blieb er offen. War er genäht, so mußte er umgewendet werden, aber das tat Frau Greiner nie selbst, dazu war ihre Zeit zu kostbar. Jetzt lagen ein paar Bälge fertig genäht da. »Philipp, da komm her,« rief die Mutter dem Fünfjährigen zu, »umwenden! Philippchen, umwenden!«

      Das Philippchen wollte nicht recht. Es kugelte mit dem dreijährigen Bruder, dem Johann, auf dem Boden herum; da war so allerlei: Sägspäne, die man beim Ausstopfen der Puppenkörper verstreut hatte, Papierabfälle und Kartoffelschalen; denn nur am Samstag wurde das alles zusammengekehrt, unter der Woche gönnte sich Frau Greiner nicht die Zeit. Und heute war Freitag, da waren schon Abfälle aller Art auf dem Boden und damit unterhielten sich die zwei Kleinen.

      »Philippchen, geh zur Mutter,« sagte jetzt der Vater, »wenn die Marie aus der Schule heimkommt, dann darfst du wieder springen, aber jetzt mußt du halt dran, da hilft nichts.« Das Philippchen setzte sich nun auf die Bank am Tisch und nahm einen der genähten Puppenbälge. Er stülpte ihn um, das ging leicht; aber dann kam eine mühsame Arbeit: die Ärmchen und Beinchen umzukehren; doch mit seinen feinen Fingerchen konnte er das besser als große Leute. Wenn er nur auch immer fleißig weiter gearbeitet hätte; aber die Mutter spornte ihn an, wenn er seine Hände ruhen ließ:

      »Philipp, was wird der Herr sagen, wenn ich morgen zu ihm nach Sonneberg komme und kann nicht so viel abliefern, als ich versprochen habe!«

      »Was sagt er dann, Mutter?«

      »So,« sagt er, »so wenig Bälge bringt Ihr? Der Korb ist ja nur halb voll.«

      »Was sagst du dann, Mutter?«

      »Dann sag’ ich: Ja, Herr, es ist ein Jammer, mein Philipp ist halt so faul.«

      »Was sagt dann der Herr, Mutter?«

      »Dann sagt er: ›Euch geb’ ich keine Arbeit mehr, da geb’ ich’s lieber dem Haldengreiner, der ist fleißiger.‹

      »Und dann, Mutter?«

      »Und dann müssen wir alle Hungers sterben.«

      Auf das hin regte Philipp fleißig seine Fingerlein und sah eine ganze Weile nicht von seiner Arbeit auf.

      »Es ist ein Elend, daß man’s mit allem Fleiß nicht weiter bringt,« fing der Hausvater nach einer Weile an.

      »Warte nur, es kommt schon besser,« sagte die Frau, »am letzten Samstag ist in Sonneberg allgemein die Rede gewesen, daß aus Amerika große Bestellungen gekommen sind, da gibt’s Arbeit genug!«

      »Was hilft’s, wenn’s nicht besser bezahlt wird? Wir bringen doch nicht mehr fertig.«

      »Das mußt nicht meinen. Der Johann ist jetzt schon drei Jahre, mit vier kann man ihn schon anweisen und mit fünf hilft er so viel wie der Philipp!«

      »Dafür muß der dann in die Schule, das gibt auch wieder einen Ausfall in der Arbeit.«

      »Die paar Schulstunden mußt nicht so rechnen,« sagte die Frau, »die bringen sie bei Nacht herein. Dem Haldengreiner sein Achtjähriger, der hat schon manche Nacht durchgeschafft.«

      »Weiß schon, dann schlafen sie in der Schul’, soll gar nicht gut sein für die Kinder; dumm und schwach bleiben sie, hat der alte Lehrer gesagt, und der neue Lehrer sagt’s auch und er hat recht.«

      »Geh