Das kleine Dummerle und andere Erzählungen zum Vorlesen im Familienkreise. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118433
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neben der Sorge auch ein wenig Ärger empfand wegen seiner mißlungenen Reise, fuhr ihn ungeduldig an: »Geh doch hinaus zu den andern, was treibst du denn da?« »Ich muß die rote Kugel suchen, denn – –.« »Geh hinaus mit deinen Kugeln! Wenn du nicht still bei Elschen bleiben kannst, dann darfst du auch nicht mehr zu ihr,« und unsanft wurde der Kleine zur Türe hinausgeschoben.

      Da ging er hinunter auf den Holzplatz, setzte sich auf einen Balken und dachte an sein Schwesterchen. Nach und nach wurde ihm alles klar: die rote Kugel war am Sonntag noch in der Büchse gewesen, dann war das Elschen krank geworden und seitdem war die Kugel weg. Und wenn das Elschen sie nicht gegessen hätte, dann wüßte es doch nicht, daß sie hart schmeckt. Und das hatte sie ihm deshalb ganz leise gesagt, damit es die Eltern nicht hörten, denn so eine schöne Glaskugel essen ist schade, da wird man gezankt. Der Bruder wollte auch seine Schwester nicht verraten, damit sie nicht gezankt würde, er sagte zu niemand ein Wort.

      Am nächsten Morgen hatte er sich doch wieder an Elschens Bett gemacht. Die Eltern beachteten ihn nicht und sprachen miteinander. Sie erwarteten den Arzt. »Wenn er nun gar nicht herausbringt, was dem Kind fehlt,« sagte Vater Pfäffling, »dann müssen wir doch einen andern Arzt dazu holen.« »O ja, bitte,« sagte die Mutter, »laß ihn holen, ehe es zu spät ist, heute nacht habe ich schon gemeint, sie stirbt mir« – und die Mutter weinte. Daß seine Schwester sterben könnte, daran hatte Frieder noch gar nicht gedacht, und mit einemmal wurde es ihm ganz klar, daß er nicht verschweigen dürfe, was er wußte, lieber Elschen verraten als sie sterben lassen. Da klingelte schon der Arzt. »Mutter,« fing Frieder an, »du weißt doch, daß wir so eine rote Kugel haben –.« Aber die Mutter fiel ihm ins Wort: »Aber Frieder, meinst du denn, wenn das Schwesterchen so krank ist, will man etwas von deinen Kugeln wissen?«

      Der Arzt kam und untersuchte die kleine Kranke. Unterdessen näherte sich Frieder dem Vater. »Vater,« begann er leise, »Vater, wir haben doch eine rote Kugel gehabt und – –« »O du mit deinen verwünschten Kugeln!« rief Herr Pfäffling so laut und ärgerlich, daß das kranke Kind erschreckt und der Arzt erstaunt herüber blickte und sagte: »Es wird immerhin besser sein, wenn die Kinder nicht im Krankenzimmer sind,« und Vater Pfäffling machte die Türe auf und wies mit strenger Miene dem Frieder den Weg. Der aber, der sonst nie wagte, ungehorsam zu sein, schlüpfte an der Türe vorbei zum Arzt, der über das Bett der Kleinen gebeugt stand und sie behorchte. Er schlang beide Arme um den Hals des Arztes und flüsterte ihm ganz leise zu: »Die rote Kugel hat das Elschen gegessen, ja, und darum ist sie krank.«

      Die Eltern hatten nicht verstanden, was Frieder leise gesagt hatte, und so sahen sie mit Staunen, daß der Doktor sich von der kleinen Kranken weg eifrig dem Frieder zuwandte und nun, wahrhaftig – sie hörten es ganz deutlich – fing auch der Doktor an, von den Kugeln zu sprechen, die Herr Pfäffling eben verwünscht hatte. Der Arzt nahm den Frieder, der ein wenig ängstlich nach dem Vater hinübersah, auf die Kniee und redete sehr freundlich mit ihm, während die Eltern auf seine Worte lauschten. »Wie war denn das mit der Kugel, Frieder? Sage mir’s nur noch einmal ganz genau; weißt du, das muß ich alles erfahren, wenn ich deine Schwester gesund machen soll. Hast du es denn gesehen, daß sie die Kugel geschluckt hat? Nein? Aber erzählt hat sie dir’s? Was hat sie denn erzählt?«

      »Nur daß die rote Kugel hart schmeckt. Und das weiß man doch nicht, wie die rote Kugel schmeckt, wenn man sie nicht gegessen hat. Und die Kugel ist auch nicht mehr da, sieh nur her.« Und Frieder öffnete das Kästchen. »Fünf müssen es sein, und es sind doch nur vier.« Elschen fing ängstlich an zu weinen. »Jetzt weint sie,« sagte Frieder und schien selbst den Tränen nahe, »ich habe sie doch auch nicht verraten wollen.«

      »So etwas muß man verraten,« sagte der Arzt, und nun wandte er sich an die Eltern, die in große Aufregung versetzt waren durch Frieders Mitteilung. »Wenn es so ist, wie der Kleine sagt, dann kann dem Kind geholfen werden. Ich bin überzeugt, daß die Sache sich so verhält, denn nur durch so etwas läßt sich diese Krankheit erklären. Am besten ist es, ich bringe gleich heute nachmittag einen geschickten Chirurgen mit, vielleicht ist eine Operation vorzunehmen.« Frau Pfäffling erschrak darüber. »Unser Frieder ist so ein Dummerle,« sagte sie, »auf seine Reden hin kann man doch keine Operation vornehmen!«

      »Der scheint mir gar kein Dummerle zu sein,« sagte im Fortgehen der Arzt, »wer weiß, ob Sie ihm nicht das Leben Ihres Kindes verdanken.« Die Mutter aber traute der Sache noch nicht und sie fing an, nach der Kugel zu suchen und rief alle Kinder zu Hilfe. In der ganzen Wohnung wurde aus allen Ecken vorgekehrt, der Vater setzte einen Finderlohn aus und in jedem Zimmer traf man eines der Kinder der Länge nach auf dem Boden liegend und unter die Möbel schlupfend, um zu suchen. Nur Frieder suchte nicht mit, er sah dem Treiben verwundert zu und sagte nur: »Ich habe schon lange gesucht, da ist unsere rote Kugel nie.«

      Am Nachmittag wurde die Kleine so krank und schwach, daß es aussah, als ob sie den Abend nicht mehr erleben könnte, und so eilte Herr Pfäffling fort und holte die beiden Ärzte zur Hilfe. Sie kamen, brachten eine Krankenschwester mit, gingen ins Krankenzimmer und schlossen die Türe ab – niemand, nicht einmal die Eltern durften mit ihnen hinein. Das war nun eine bange Stunde. Die ganze Familie war im Wohnzimmer beisammen, lauschte auf die Geräusche, die hie und da aus dem Krankenzimmer über den Vorplatz herübertönten, und wartete. Der Mutter Auge ruhte auf Frieder. Sollte wirklich gerade dieses Kind, das kleine, unbeachtete Dummerle, den wahren Grund der Krankheit gefunden haben? Er saß ganz ruhig mit seinem Büchschen in der Hand da, während Herr Pfäffling aufgeregt im Zimmer hin und her lief und das lange Warten kaum ertragen konnte.

      Endlich, endlich hörte man, daß die Türe des Schlafzimmers aufgeschlossen wurde, Herr Pfäffling eilte hinaus in den Vorplatz, die Mutter ihm nach. Da kamen schon die beiden Ärzte auf sie zu und der Hausarzt rief ihnen entgegen: »Nun, da hätten wir ja die verlorene Kugel wieder,« und er hielt hoch in der Hand, daß es alle sehen konnten, die rote Kugel! Der Mutter stürzten die Tränen aus den Augen. »Darf ich hinein?« fragte sie und war schon durch die Türe und bei dem kleinen Liebling, ehe sie Antwort bekommen hatte. Das Kind lag bleich in seinem Bettchen und erkannte die Mutter nicht, aber die Krankenschwester sagte zu der besorgten Mutter: »Seien Sie nur ganz getrost, es ist so gut gegangen, die Ärzte sind ganz zufrieden.«

      Leise, leise schlichen sich allmählich alle Kinder herein, während draußen die Ärzte mit dem Vater sprachen. Die großen Brüder, die Zwillingsschwestern, jedes wollte das Elschen sehen. Da konnte der kleine Frieder nicht beikommen und das Schwesterchen nicht sehen. Er wollte hinausschlüpfen, aber die Herren standen unter der Türe. Der Arzt bemerkte ihn. »Das ist der Kleine,« sagte er zu dem Chirurgen, »ein kluges, aufmerksames Kind, dem verdankt die kleine Schwester gewissermaßen das Leben.« »Ja,« sagte Herr Pfäffling, »das kommt daher, daß er sein Schwesterchen so lieb hat, er ist sonst nicht der Klügste, da muß die Liebe den schlummernden Verstand geweckt haben.« Die Geschwister alle hörten das, sie wandten sich Frieder zu und sahen ihn staunend an. Dieser selbst beachtete das nicht, er hatte ein anderes Anliegen, und da er sah, daß die Ärzte ihn freundlich anblickten, wagte er es vorzubringen. Er streckte das Büchslein hin, in dem die vier Kugeln waren und sagte: »Da herein gehört die rote Kugel!«

      Das Elschen erholte sich so schnell, daß es schon nach einigen Tagen wieder ganz lustig und munter war, und Herr Pfäffling rüstete sich abermals zur Reise. Ohne Sorge konnte er sein Töchterchen verlassen, das noch im Bett lag, aber fröhlich mit Frieder plauderte. Die Mutter folgte dem Reisenden noch die Treppe hinunter, die Zwillingsschwestern begleiteten den Vater an die Bahn, die Brüder sollten ihn dafür bei der Heimkehr abholen. Als Frau Pfäffling allein die Treppe wieder herauf und ins Zimmer kam, sagte sie zu ihren drei Großen: »Gottlob, daß des Vaters Reise doch noch zustande gekommen ist,« und sie fing an, den Tisch abzuräumen, an dem der Vater noch eine kleine Mahlzeit eingenommen hatte.

      Nun kam auch Frieder, der bei dem Schwesterchen geblieben war, herein, nahm seine Ziehharmonika und spielte ein Lied. Aber mitten in der Melodie unterbrach er sich und fragte: »Wann reist denn der Vater fort?« Da sahen ihn alle an, lachten und fragten: »Hast du’s nicht gemerkt, daß der Vater abgereist ist? Er hat sich doch von dir und Elschen auch verabschiedet. Bist du denn doch wieder unser Dummerle? Und der Vater hat erst gesagt, niemand darf dich mehr so heißen.«

      Da