Das kleine Dummerle und andere Erzählungen zum Vorlesen im Familienkreise. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118433
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sie, indem sie zu Greiner trat, und sie nahm sich zusammen, um ihren Tränen zu wehren. »Ich habe Sie noch etwas fragen wollen,« sagte Greiner, und nun zitterten auch seine Lippen; »was war denn das für ein Unglücksfall mit meiner Schwester und ihrem Mann?«

      »Sie starben beide in der Nacht, ehe der Zusammenbruch des Geschäfts bekannt wurde. Näheres kann ich nicht sagen.« Greiner fragte auch nicht weiter.

      Ein paar Stunden später fuhr das Fräulein ihrer Heimat zu, und während sie nach langer Zeit wieder am elterlichen Tisch saß, nahm Alex auf dem Schoß der neuen Pflegemutter zum erstenmal Anteil am Familienmahl und so oft er den kleinen Mund aufsperrte, wurde ihm ein Stückchen Kartoffel hineingeschoben, ein sorgsam geschältes!

      Danach, da es Feierabend, draußen aber noch hell und warm war, gingen sie alle zusammen hinaus. Frau Greiner trug stolz den schönen Kleinen auf dem Arm, und da er verwundert nach den Tannen sah, die am Wege standen und leise vom Wind bewegt wurden, hob sie ihn hoch bis zu den Ästen und rief ihm freundlich zu: »Da, schau nur, Alex, schau, jetzt bist du im Thüringer Wald!«

      Wieviel Arbeitsstunden waren bei Greiners versäumt worden durch all die Briefe, durch die Ankunft des kleinen Pflegekinds und alles, was damit zusammenhing! Als am Samstag der große Huckelkorb vollgepackt wurde, fand sich, daß alles leicht hineinging und daß Maries neuer Korb ganz überflüssig war; bei weitem nicht alle versprochene Arbeit war fertig geworden. Marie blieb auch ganz gern daheim; den eleganten Kinderwagen mit dem schönen neuen Brüderchen vor dem Haus herumzufahren und allen staunenden Nachbarn zu zeigen war noch ein größeres Vergnügen, als mit der Mutter zu gehen. So wanderte Frau Greiner allein der Stadt zu, die Arbeit abzuliefern. Aber diesmal kam sie übel an! Der Sonneberger Fabrikant hatte fest gerechnet auf das, was sie versprochen hatte zu liefern; die Zeit drängte, was er heute nicht erhielt, konnte er nicht fertig stellen bis zu dem Tag, wo die Sendung abgehen sollte, um das Schiff zu erreichen, das nach Australien ging.

      Frau Greiner entschuldigte sich, die Schwester ihres Mannes sei gestorben und sie hätten ein Waisenkind aufnehmen müssen. Die Entschuldigung wurde ganz ungnädig aufgenommen. Ob sie meine, daß das Schiff warte, bis alle Waisenkinder versorgt seien? Sie solle nicht mehr Arbeit versprechen, als sie leisten könne. Zum Unglück hatten noch einige Arbeiter weniger geliefert, als sie versprochen hatten, und so war der Fabrikant wirklich in Verlegenheit.

      »Wenn ich mein Wort nicht halte,« sagte er, »so verliere ich meine Kundschaft, was wollen Sie dann machen, wenn keine Puppen mehr bestellt werden?« Ganz schuldbewußt und zerknirscht stand Frau Greiner da und wagte kein Wörtlein zu sagen, als ihr auf dem Zettel ein gehöriger Abzug am verabredeten Lohn gemacht wurde. Der Herr schien auch gar keine Lust zu haben, ihr neue Aufträge zu geben, und ließ sie lange stehen, wie wenn sie nicht mehr da wäre. Da aber noch große Bestellungen vorlagen, so bekam sie schließlich doch wieder Aufträge genug, und diesmal verließ sie ohne Verzug die Stadt und kehrte nicht einmal bei ihrer Mutter ein, um keine Zeit zu verlieren. Jetzt, in den besten Arbeitswochen, ein so elendes Sümmchen Geld heimzubringen, kam ihr fast wie eine Schande vor und sie fürchtete schon ihres Mannes grämliches Gesicht, wenn sie so wenig abliefern konnte. Im Sommer wollte er doch immer etwas zurücklegen für den Winter, wo das Puppengeschäft stockt. Aber schließlich konnte sie auch nichts dafür, es war ja sein Schwesterkind an allem schuld.

      In diesen Gedanken ging sie ihrem Dorfe zu. Mit ihrem flinken Schritt holte sie bald einen jungen Burschen ein, der auch von Sonneberg kam und gemütlich, eine Zigarre rauchend, dem Dorfe zuschlenderte. Frau Greiner kannte ihn wohl, er war auch von Oberhain und war ein Neffe ihres Mannes. Die Woche über arbeitete er in Sonneberg in der Fabrik, Samstag abends kam er heim zu seinen Eltern. Frau Greiner hatte gern Reisegesellschaft, sie rief schon von ferne dem Burschen zu: »Georg, wart ein wenig!«

      Er wandte sich um, gesellte sich zu ihr, und vom Geschäft plaudernd gingen sie nebeneinander her und kamen bis zu dem Punkte, wo der Fußweg nach Oberhain von der großen Straße abzweigt und ein Wegweiser nach verschiedenen Richtungen zeigt. An diesem Wegweiser stand ein Herr, der an seinem Reiseanzug leicht als Fremder zu erkennen war und der nun, als unsere beiden Leutchen an ihm vorbeikamen, mit fremder Betonung fragte, wie weit es noch bis Oberhain sei. Ein Stündchen war’s immerhin noch auf dem Fußweg, den aber ein Fremder leicht verfehlen konnte. So schloß sich der Herr an und sie gingen zu dritt weiter. Zuerst schweigsam, dann siegte bei Frau Greiner die Neugier über die Schüchternheit und sie fragte, ob der Herr kein Deutscher sei? Nein, er war Amerikaner, ein Kaufmann, der wegen des Puppengeschäfts nach Sonneberg gekommen war. Die deutsche Sprache hatte er aber gut gelernt, man konnte sich wohl mit ihm verständigen. Er fragte Frau Greiner, was sie zu Markte gebracht habe und was ihr Mann sei. »Mein Mann ist Drücker,« sagte Frau Greiner.

      »Was ist das, Drücker?«

      »Wenn man das Papiermasché in die Formen drückt, daß es Puppenköpfe gibt.«

      »Helfen Sie auch drücken?«

      »Nein, ich bin Balgnäherin, was die Körper für die Puppen gibt. Und die Kinder helfen auch, sie wenden um und stopfen aus mit Sägespänen.«

      »Was fehlt noch an den Puppen, wenn Sie sie abliefern?«

      »Dann haben sie noch keine Augen und –«

      »Wer macht die Augen?«

      »Die werden in Lauscha gemacht, da kommen ganze Schachteln voll her in allen Größen, die muß der Augeneinsetzer hineinmachen.«

      »Ist das das Letzte?«

      »Nein, die Maler müssen doch erst die Backen malen und die Lippen, und die Friseurin muß die Haare aufsetzen, dann wird erst der Kopf auf den Balg geleimt.«

      »Das kann Ihr Mann nicht?«

      »O, mein Mann kann das alles und als jung ist er in die Industrieschule geschickt worden, hat schon Köpfe und all die Formen machen lernen, aber dann ist sein Vater gestorben; gleich hat er dann das Lernen aufgeben müssen und hat seines Vaters Sach übernommen und ist halt auch wieder Drücker geworden. Mein Mann war von den besten einer auf der Schul’, aber er hat halt heim müssen, die Not ist gar groß bei uns.«

      »Wieviel verdienen Sie in der Woche?«

      »Ja Herr, das wechselt sehr, bald ist’s mehr, bald weniger. Es gibt Wochen im Winter, da bekommt man gar keine Bestellung.«

      »Aber in der besten Zeit des Jahrs, auf wieviel bringen Sie es in der Woche, Sie mit Mann und Kindern?«

      »Die vorige Woche hab’ ich fünfundzwanzig Mark heimgebracht, es ist auch schon auf dreißig gestiegen, aber da muß man schon die Nacht durcharbeiten. Und davon müssen wir alles selbst anschaffen, was wir zu den Puppen brauchen, gar nichts bekommen wir geliefert, das meiste geht dafür wieder hinaus und man bringt’s fast nicht dazu, daß man sich für den Winter etwas zurücklegt. Mein Mann sorgt sich jetzt schon wieder darum; ich nicht, im Sommer mag ich gar nicht an den Winter denken, sonst wird man ’s ganze Jahr nicht froh.«

      »Ist Ihr Mann gesund?«

      »Er hustet halt, das kommt von dem Staub vom Papiermasché und von den Sägspänen, aber krank ist er nicht, gottlob.«

      Jetzt mischte sich Georg ins Gespräch. »Die kräftige Nahrung fehlt halt da außen auf dem Land, in der Stadt essen sie besser.«

      »Ja, Fleisch gibt’s nicht viel bei uns, der Kaffee und die Kartoffeln sind die Hauptsache, bei uns heißt’s: Kartoffeln in der Früh, zu Mittag in der Brüh, des Abends mitsamt dem Kleid, Kartoffeln in Ewigkeit!«

      Der Amerikaner fragte nun nicht weiter, der Weg wurde steiler und eine Viertelstunde gingen die drei still nebeneinander, bis sie die Höhe erreicht hatten, wo sie wieder auf die Landstraße einmündeten und von der Ferne einzelne schiefergraue Dächer sichtbar wurden.

      »Das ist unser Dorf,« sagte Frau Greiner; »geht der Herr noch weiter heut’?«

      »Ja, aber Mittwoch komme ich wieder hier durch und dann will ich Ihren Mann aufsuchen.« Er blieb stehen bei diesen Worten und sagte, indem er Frau Greiner ernst und forschend ansah: »Sagen Sie ihm einstweilen, daß ein Amerikaner zu ihm kommt und mit ihm