Das kleine Dummerle und andere Erzählungen zum Vorlesen im Familienkreise. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118433
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anderer gemeint sein, als der Drücker Greiner; keiner sonst heißt Elias.«

      Und nun ging’s noch ein Stück langsam weiter, die Dorfstraße wurde enge, ein Häuschen kam zum Vorschein mit einem halb zerfallenen Bretterzaun, über und über mit blassen Puppenköpfen ohne Augen besteckt – vor dem hielt der Kutscher, sprang vom Bock, öffnete den Schlag und sagte: »So, jetzt haben wir die Fabrik!« und sich dem Fenster zuwendend, wo Maries Kopf erschien, rief er: »Wohnt da der Elias Greiner?« Der hatte schon den Wagen halten hören, und nun kamen sie alle heraus: Voran die Frau, dann die Kinder, barfüßig alle, der Johann in bloßem Hemdchen, zuletzt der Mann. Ach, dem Fräulein wurde so weh ums Herz – das sollte die Fabrik sein, der Fabrikant! Ärmlichere Gestalten hatte sie kaum je gesehen! Noch hoffte sie, es möchte ein Irrtum sein, aber nun kam Greiner dicht heran, sah das Kind auf dem Arm des Fräuleins, betrachtete bewegt das liebliche Gesichtchen und sagte: »Das ist also meiner Schwester Kind!« »Ja,« sagte Elisabeth, aber unwillkürlich blieb sie dicht am Wagen stehen – keinen Schritt machte sie auf das Haus zu.

      Frau Greiner fand bestätigt, was sie sich schon gedacht hatte – das junge Mädchen war enttäuscht über das, was sie vor sich sah, bitter enttäuscht. Sprachlos und ratlos stand sie da, das Kind fest an sich drückend. Frau Greiner war nicht gekränkt darüber, das junge Mädchen dauerte sie. »Kommen Sie nur herein, Fräulein,« sagte sie, »das Kind ist ja noch so klein, das merkt den Unterschied noch gar nicht. Gelt du, Kleiner, gelt du bist froh, wenn du nur etwas zu essen bekommst?« Freundlich blickte sie das Kind an und dieses lächelte wieder, und ehe sich’s Elisabeth versah, hatten diese ärmliche Mutter und dieses schön geputzte Kind die Arme nacheinander ausgestreckt und lachend trug Frau Greiner den kleinen Alex ins Häuschen.

      Ihr folgten die Kinder, die bewundernd auf den neuen Ankömmling sahen, während Greiner half, den Koffer abzuladen, und Elisabeth den Kinderwagen richtete. Es war ihr schon ein wenig leichter ums Herz, hatte sie doch ihren kleinen Pflegling in Mutterarme übergeben. Sie folgte ins Zimmer. Da freilich war eine Hitze, ein Dunst und Geruch, daß sie nicht glaubte, bleiben zu können. »Sie haben Feuer an diesem heißen Tag?« fragte sie.

      »Das bringt eben das Geschäft mit sich,« sagte Greiner und deutete auf seine Arbeit.

      Jetzt aber sprach Frau Greiner die Frage aus, die allen längst auf den Lippen lag: »Haben Sie den Soxhlet nicht mitgebracht?«

      »Doch,« sagte Elisabeth, »ich werde ihn gleich hereinholen, er ist draußen im Koffer, ich will nur zuerst dem Kleinen das Reisekleidchen abnehmen.« Greiner und seine Frau warfen sich vielsagende Blicke zu, sie wußten nun, daß Soxhlet kein menschliches Wesen war. Nicht so die Kinder. Für sie war die ganze elegante Erscheinung des Fräuleins mit dem Kind, der schöne Korbwagen, der feine Lederkoffer so wunderbar, daß es ihnen auf ein Wunder mehr auch nicht ankam, und sie glaubten nicht anders, als daß der wilde Soxhlet im Koffer eingesperrt sei. Neugierig schlichen sie miteinander hinaus in den kleinen Vorplatz, wo der Koffer abgestellt worden war. Marie blieb vorsichtig in einiger Entfernung stehen, Philipp aber trat näher.

      »Bleib da!« rief die Schwester ängstlich und leise, daß es der Soxhlet nicht hören sollte. Als sich aber der unheimliche Koffer ganz still verhielt, wurden die Kinder kecker. Sie kamen nahe heran, Philipp wagte sogar mit dem Fuß einen Stoß gegen den Koffer, sprang aber dann doch vorsichtig zurück. »Hast nicht gehört, wie er gebrummt hat?« sagte Marie, »paß auf, daß er nicht herausfährt. Der muß doch arg bös sein, daß er so eingesperrt wird!«

      Jetzt kam Fräulein Elisabeth mit dem Kofferschlüssel heraus, kniete nieder und schloß auf. Die Kinder blieben ängstlich und fluchtbereit in der Ferne stehen, wunderten sich, daß ihre Mutter so ruhig herantrat, und dann waren sie halb beruhigt, und doch halb enttäuscht, als der Deckel aufgehoben wurde und lauter harmlose Dinge, Kleidungsstücke und Wäsche hervorkamen. »Und da ist der Soxhlet,« sagte das Fräulein und vor den erstaunten Augen der Umstehenden zog sie ein Blechgestell mit einer Anzahl leerer Fläschchen heraus, ein Ding, so harmlos und unschuldig wie nur möglich, so daß die Kinder sich verblüfft ansahen. »Das ist der Soxhlet?« sagte Frau Greiner und machte dabei ein nicht eben geistreiches Gesicht.

      »Sie haben sich den Soxhlet vielleicht anders vorgestellt,« sagte das Fräulein. »Ich will Ihnen gleich die Behandlung erklären. In der Berliner Anstalt, wo ich als Kindergärtnerin ausgebildet wurde, hat man uns so gelehrt: ›Um die Milch keimfrei zu machen, wird sie in die Fläschchen gefüllt, die mit durchlochter Gummiplatte bedeckt und in den Blechtopf voll kochenden Wassers gestellt werden, woselbst man sie fünf Minuten kochen läßt. Danach werden die Fläschchen durch Glaspfropfen geschlossen und die Milch noch eine halbe Stunde gekocht.‹« Frau Greiner hatte geduldig und aufmerksam zugehört. Jetzt schloß das Fräulein mit der Bemerkung: »Alex ist doch ein zartes Kind, über die Sommermonate sollten Sie ihn noch weiter so ernähren.«

      »Ja,« sagte Frau Greiner, »ich will schon alles recht machen. Milch haben wir ja nicht, wir kaufen halt so viel, daß es grad zum Kaffee reicht. Aber den wird er schon auch mögen und auch Kartoffeln, und an Speck und Hering soll’s ihm gewiß nicht fehlen. Das ist bei uns zulande die Hauptnahrung.«

      »Aber doch nicht für so kleine Kinder?« sagte Elisabeth entsetzt.

      »Es ist ja kein Wochenkind mehr,« entgegnete Frau Greiner. »Seien Sie nur ruhig, ich will’s ihm schon in die Soxhletfläschchen tun, so oft eben Milch da ist.« Inzwischen hatte Elisabeth weiter ausgepackt. »Da sind seine Badehandtücher,« sagte sie, »und da ist der Badethermometer, ich habe ihn mitgebracht, aber ich weiß nicht,« setzte sie zweifelnd hinzu, »ob Sie den Thermometer ver – – – ob Sie an ihn gewöhnt sind? Wir haben das Bad auf 24 Grad erwärmt, ich glaube, auf dem Lande prüft man die Wärme mehr so mit dem Arm, oder nicht? Sie baden Ihre Kinder doch auch?«

      »O ja, gebadet wird jedes, so bald als es auf die Welt kommt, aber hernach kommt man nimmer leicht dazu, das braucht’s auch nicht!«

      »Ach,« sagte Elisabeth, »uns hat man gelehrt, daß die Hautpflege so wichtig sei bei den Kleinen; Alex ist auch so rein am ganzen Körperchen, wäre es nicht möglich, daß Sie ihn wenigstens immer am Samstag baden? Haben Sie eine Badewanne? Nein? Ich wollte ihm gerne noch eine kaufen von meinem Geld, wenn hier welche zu haben sind; oder ich schicke Ihnen eine aus Sonneberg.«

      »Lassen Sie das nur, Fräulein, meine Waschwanne tut’s schon auch, und so oft ich Zeit habe, will ich ihn schon baden.«

      »Ach ja, bitte, und dann hätte ich noch etwas auf dem Herzen: In dem Zimmer riecht es so stark und es ist so überhitzt; Sie werden das gar nicht so bemerken, weil Sie es gewöhnt sind; könnte Alex nicht in einem andern Zimmer sein?«

      »Ein anderes Zimmer haben wir gerad’ nicht, aber wegen der Luft dürfen Sie gar nicht sorgen, liebes Fräulein, die ist berühmt im Thüringer Wald, deretwegen kommen die Leute oft weit hergereist. Sehen Sie nur meine Kinder an, die sind ja auch alle gesund, auch meine verstorbenen drei waren ganz gesund.«

      »Woran sind sie denn gestorben?« fragte Elisabeth.

      »Das eine ist verunglückt, das arme Tröpfle hat den heißen Brei über sich geschüttet, den mein Mann braucht zu den Köpfen; und eines hat’s auf der Lunge gehabt, und das dritte ist uns nur so über Nacht weggestorben, niemand hat recht gewußt, daß ihm was fehlt. Es hat uns weh getan, aber so ist’s halt; wir haben ja auch an dreien genug und jetzt sind’s eben auf einmal vier geworden!«

      Während dieses Gesprächs waren alle Habseligkeiten des kleinen Alex ausgepackt worden mit vielen Anweisungen über die Verwendung; was jetzt noch im Koffer verblieb, war des Fräuleins Eigentum. Sie schloß wieder zu und kam mit Frau Greiner ins Zimmer, wo Vater Greiner an der Arbeit saß.

      Der kleine Alex lag inzwischen in seinem Wagen, die Kinder standen bewundernd um ihn herum, Marie fuhr ihn vorsichtig hin und her. Elisabeth trat hinzu und sagte leise zu Marie: »Willst du ihm eine treue Schwester sein? Sieh, der arme Kleine hat es daheim so schön gehabt. Gelt, du fährst ihn manchmal spazieren und sorgst recht schön für ihn?« Die kleine Marie nickte und sah mit großen Augen das Fräulein an, das gegen die Tränen ankämpfte, als sie sich über den Kleinen beugte, ihn herzte und küßte und leise sagte: »Behüt’ dich Gott, mein Liebling,