Nun – und dann war er da, dieser große, beseligende Abend.
Der Kronleuchter des Laninschen Saales strahlte. Der Estrich war wohlgebohnt. Die Stiegen prangten im Schmuck der Girlanden, die den Eintretenden mit dem angenehmen Festduft welkender Kränze umwehten. Fräulein Sally, in einem blauen Tarlatankleide, stand regungslos unter dem Kronleuchter und harrte ihrer Gäste. Sie legte einen Finger an die Lippen und wandte den Kopf zurück, mit der zarten Anmut jener Damen in den Modeblättern, unter denen »Rückseite der Balltoilette« zu lesen ist.
Rosa war die erste, die in den Saal trat. Ja, sie trug das weiße Einsegnungskleid; aber einige rote Haubenbänder aus dem Nachlass des Fräulein Ina gaben ihm ein neues, buntes Ansehen. Und dann – dieses kindliche Kleid, in dem Rosa fromm und andächtig vor dem Altar gestanden, es war soweit verweltlicht, dass es ihr Hals und Schultern frei ließ. Die Haare bildeten über dem Scheitel einen Strauß von Löckchen, und mitten in ihnen saß eine rote Kamelie, auf der sich eine blaue Libelle wiegte. Dass das Rot der Kamelie ein wenig vergilbt war, dass der Libelle ein Flügel fehlte – wer sah das? – außer Fräulein Sally, die mit einem Blick alle Mängel des Anzugs ihrer Freundin herausgefunden hatte. Mängel waren genug da; dennoch wollte es Fräulein Sally scheinen, als sei der Triumph des blauen Tarlatan über den weißen Musselin nicht vollständig. In Rosas Anzug lag etwas Gewolltes, Kühnes, etwas, das man an Schankschen Schülerinnen nicht gewohnt war. Statt des Inbegriffs einer Balltoilette, statt des weißen Kleides, der rosenfarbenen Schärpe und dem Rosenkranz auf dem glattgescheitelten Haar hatte dieses Kleid, das so weit von den Schultern herabfiel, hatten die roten Bänder, die nickenden Locken, hatte alles in Fräulein Sallys Augen das Überraschende und Abenteuerliche eines Maskenanzuges. Es war unschicklich, ja! – und doch…
»Ah! Rosa! Schön, dass du die erste bist«, rief Fräulein Sally und lächelte, als würden auch ihre Lippen von einem zu engen Schnürleib bedrückt. »Ich meinte, ich könnte dir helfen«, erwiderte Rosa. Sie küssten sich, langsam die Köpfe zueinander neigend – vorsichtig – um die Kleider nicht zu zerknittern. Dann gingen sie, mit kleinen Schritten, nebeneinander auf und ab, wehten sich Kühlung mit den Taschentüchern zu und unterhielten sich höflich – kurze Sätze, bei denen die Blicke zerstreut im Gemach umherirrten. Fräulein Sally erklärte die Einrichtung: »Hier das Damenzimmer. Sehr gut – nicht wahr? – – Hier das Zofenzimmer –; du weißt, jemand tritt einem auf die Schleppe – ein Band – oder sowas… eine Zofe ist immer nötig.« Das Zofenzimmer war ziemlich düster, nur eine Kerze brannte in demselben. Zwei Zofen waren bereits da. Agnes Stockmaier und Fräulein Suller, die Wirtschafterin der Lanins. Sie saßen vor ihren Kaffeetassen, steckten die greisen Köpfe zusammen und plauderten leise. »Gut?« fragte Fräulein Sally.
»Ja, o ja!« erwiderte Rosa, obgleich es ihr schien, als habe dieses Gemach, mit seiner tief brennenden Kerze, mit den beiden altbekannten Gesichtern, etwas Alltägliches an sich, das zu dem großen Abend nicht recht stimmen wollte. Sie hatte sich ein Zofenzimmer doch anders gedacht.
Die Gäste kamen. Ein Flüstern, ein Rauschen der Mäntel und Tücher – dann zogen sie ein in langen Reihen, die Damen in weißen Kleidern mit bunten Bändern. Runde Kränze lagen auf den spiegelblanken Locken; die Hände, in weißen Handschuhen, drückten sich fest an den Gürtel. Eine Schar Konfirmanden, die mit den weißen Kleidern auch die feierlich ernsten Gesichter angelegt hatten. Unsicher trippelten sie über den glatten Fußboden und blinzelten zum Kronleuchter auf. Hinter ihnen die Mütter in dunklen Seidenroben. Freundliche Gesichter, die aus großen Spitzenhauben hervorlächelten. Endlich die Herren – sehr korrekt in schwarzen Fräcken und mit stark geöltem Haar. Schüler gingen Arm in Arm im Saal umher, stießen sich in die Seite und kicherten. Handlungsdiener stellten sich an die Wand und machten Verbeugungen. Herr Klappekahl erschien mit seiner Tochter Ernestine, einem großen blonden Mädchen, das nicht mehr die Schule besuchte, ein gelbes Schleppkleid, einen Veilchenkranz und einen Fächer trug. Herr Lanin, ein Stück Ordensband im Knopfloch, begrüßte seine Gäste wohlwollend und würdig, während seine Gattin – in grauer Seide – mächtig und liebenswürdig grüßend durch die Menge schritt. Anfangs gab es ein steifes, unbehagliches Umherstehen, bis Fräulein Sally die Damen zu den Sitzen nötigte, einige bei den Händen nahm und sie zu den Stühlen führte – mit einer Miene, auf der deutlich die Pflichterfüllung zu lesen war. Die Mütter setzten sich auf Sofas und begannen ihre Gespräche über Dienstboten; Gespräche, die den Töchtern eine Profanation des Abends dünkten. Herr Lanin klopfte dem Doktor auf den Rücken und forderte ihn zu einer Partie auf; »während die Jugend hüpft« – und sie taten beide der Jugend leid. Klappekahl blieb im Saal. Mit knarrenden Stiefeln ging er zwischen den Damen umher, lachte, scherzte – mit ritterlichen Bewegungen eines alten Salonhelden –, steckte sein Gesicht noch zu den errötenden Mädchengesichtern und weißen Kinderschultern und ergötzte sich als raffinierter Großstädter an all den aufblühenden Frauenreizen. Rosa stand mitten im Saal und sprach mit Herweg über die Hitze des heurigen Sommers: jedoch Ambrosius’ Ausbleiben beunruhigte sie. Endlich kam er. Spät – natürlich! Er hatte einen Spaziergang gemacht, der Abend war so schön! Sein Anzug war untadelhaft. Wie eine weiße Rüstung wölbte sich die Wäsche aus der weitausgeschnittenen Weste hervor. Die Locken glänzten und dufteten zu beiden Seiten des Scheitels. Er fächelte sich Luft mit seinem Hute zu sprach mit den Müttern. Oh, er war bewunderungswürdig mit seiner heiteren, unbefangenen Ruhe in diesem Augenblick, der alle anderen mit andächtiger Steifheit erfüllte!
Erfrischungen waren gereicht worden. Die Damen wischten sich zart die Fingerspitzen an ihren Taschentüchern und saßen gerade da. Der Tanz sollte beginnen; es war jedoch nicht