Fräulein Sally wurde sehr gefeiert, und bei jedem neuen Tänzer, der seinen Arm um ihre schlanke, feste Taille legte, betrieb sie das Tanzen ruhiger, geschäftsmäßiger. Sie machte einen äußerst routinierten Eindruck, und das wollte sie. Rosa war auch viel umworben, ihre Triumphe erregten sie jedoch, ihre Lippen wurden heiß und die Augen leuchtend, »wie Girandolen«, sagte Klappekahl mit einem großstädtischen Fremdwort. In der Tat! Sie fühlte sich heute schön und anziehend. Ihr war es, als stehe sie hoch über ihren Genossinnen, als käme sie aus einer fremden, vornehmen Welt in diese Gesellschaft beschränkter Schülerinnen und dürfte mit Verachtung auf die schüchternen Backfischmanieren und engen Vorurteile dieser kleinen Mädchen mit den hoch über die Schultern gehenden Kleidern herabsehen. Sie sprach während der Rundtänze. Sie wurde müde. und die Herren mussten lange neben ihr warten. Sie forderte den Apotheker zu einem Walzer auf, und als er ihr viel Liebenswürdiges zuflüsterte, gab sie neckische Antworten, die alle mit »mein Herr« begannen oder schlossen. Oh, viel hatte sie heute abend gelernt! War sie nicht eine ganz andere Person? Wie im Fieber, aber in einem beglückenden, erhebenden Fieber, flatterte sie durch den Saal. Die Überzeugung, der Mittelpunkt des Festes zu sein, verschönte sie.
Klappekahl beugte sich nah an Fräulein Schanks braune Bandeaux heran und flüsterte: »Sehen Sie doch die Rosa Herz. Welche verve! Die schaut nicht aus, als käme sie aus Ihrer Schule.«
»Ach was«, meinte das Fräulein und machte ein Gesicht, als habe Klappekahl wieder seine Aufgabe nicht gelernt. »Sie werden das Kind ganz zur Närrin machen; es ist ohnehin heute laut genug.«
»Bühnenblut!« kicherte Klappekahl, »aber famos – diese Büste!« Fräulein Schank tat. als höre sie ihn nicht, und saß ernst und gerade da.
Es wurde eine Pause gemacht, die Damen sollten sich vor dem Souper erholen. Die Mädchen legten ihre nackten Arme ineinander und gingen langsam im Saale auf und ab. Die Herren lehnten an der Wand und flüsterten miteinander. Nur Ambrosius hatte sich den Damen angeschlossen. Mit kleinen Schritten neben ihnen einhergehend, führte er die Unterhaltung. Er schilderte Fräulein Klappekahl den Eindruck, den der erste Theaterabend auf ihn gemacht hatte, wie ein Traum sei ihm alles erschienen, er habe vor Aufregung fast mitgesprochen, und später habe er die ganze Nacht über geweint, denn er sei ein nervöses, phantastisches Kind gewesen, sozusagen »phantastisch-träumerisch«
Rosa lehnte einsam in der Türe des Damenzimmers und schaute sinnend in den Saal hinein. Sie durfte heute nicht das tun, was ihre Genossinnen taten; sie hatte einen Nimbus zu wahren. Die Würde einer Ballkönigin war ihr noch zu neu, und sie fürchtete beständig, diese Würde zu verletzen. Jeder Augenblick, der sie an die gestrige, gewöhnliche Rosa Herz erinnerte, bedrückte sie. Die Kühnheit, mit der sie einige Schüler neben sich hatte warten lassen, mit der sie während des Tanzes gesprochen und gelacht, machte sie in ihren Augen – zu einer glänzenden, mutwilligen Gesellschaftsnixe, die alle Herzen betört und selbst ein geheimnisvolles Herz unter dem knappen Mieder trägt. Großer Gott! Wenige rote Bänder, einige Handlungsdiener, die sich um einen Walzer stoßen, einige neidische Freundinnenaugen machen aus einem glücksarmen Mädchen eine übermütige Ballkönigin! Gebt solch einem jungen Herzen, das in seinem kärglichen Leben stets von grenzenloser Seligkeit träumt, gebt ihm einen kleinen Augenblick ganz gewöhnlicher Lustigkeit, und es wird in diesem einen lustigen Augenblick eine ganze Seligkeit hineinzwängen. Rosa gab sich – dort am Türpfosten – einem tiefen wehmütigen Sinnen hin, das sie dennoch glücklich machte. Denn neben der schönen, gefeierten Rosa lebte noch Rosa, die Schanksche Schülerin im weißen Musselinkleide, und diese bewunderte das traurige Sinnen der gefeierten Rosa.
Ambrosius ward zerstreut und wiederholte sich in der Schilderung seines poetisch-träumerischen Kindergemütes. Er musste beständig zu Rosa hinüberschielen, den ganzen Abend schon nagte die Bewunderung für das Mädchen an seinem weichen Herzen. Die Anerkennung, die ihr andere zollten, erhöhte sein Verlangen, und dennoch war es ihm, als versagte Rosa durch die Huldigungen, die sie entgegennahm, ihm einen Teil der Verehrung, die sie ihm schuldete. »Ich meine, es ist Zeit, ein wenig nach dem Souper zu sehen«, meinte er neckisch und verließ Fräulein Klappekahl, die diese Neugier des Herrn von Tellerat köstlich fand.
Ernst und erregt trat Ambrosius an Rosa heran.
»So nachdenklich?« fragte er.
Rosa blickte starr zum Kronleuchter auf.
»Soll ich in Ihren Augen lesen?« fuhr er fort.
»Vielleicht«, meinte Rosa.
»Oh, ich lese schon – einen wahren Roman.«
»Roman? Wer weiß?«
»Ja – ich weiß es!« Ambrosius sprach mit halber Stimme und etwas heiser: »Ich erzähle ihn dir – später – hm – Liebchen.«
Rosa zuckte leicht mit den Schultern, errötete und warf einen scheuen Blick auf Ambrosius, der ebenfalls dunkelrot geworden war und mit brennenden Augen auf die Lippen des Mädchens starrte.
Man ging zum Souper.
Frau Lanin öffnete die Türen des Speisesaals und machte Komplimente wie ein Herr. Dieser Einladung folgend, erhoben sich die älteren Damen, schüttelten freudig die Müdigkeit ab, die auf ihnen lastete, und knüpften neue Gespräche an, während sie langsam in den Speisesaal einzogen, denn keine wollte zu eilig erscheinen. Die junge Schar drängte nach. Auch hier erwärmte die Erwartung des Mahles die Heiterkeit. Die Tafel reichte von einem Ende des Gemaches