Consuelo blieb endlich bei dieser Annahme stehen: krank und kraftlos vielleicht wurde Albert an dem tiefen, verborgenen Ort, dessen Lage sie unter dem Schreckenstein vermutete, von Zdenko’s wahnsinniger Zärtlichkeit zurückgehalten; er war vielleicht in der Gewalt dieses Tollen, der ihm auf seine Weise Liebe erwies, indem er ihn gefangen hielt, manchmal seinem Verlangen, das Licht wiederzusehen, nachgab, seine Botschaften an Consuelo ausrichtete und sich dann plötzlich aus irgend einer unerklärlichen Furcht oder Grille dem Erfolge seiner Schritte entgegenstemmte.
– Wohlan, sagte sie zu sich, ich werde gehen, und müsste ich ernsten Gefahren die Stirn bieten; ich werde gehen, und müsste ich mich in den Augen der Toren und der Selbstsüchtigen als ein unbesonnenes Geschöpf lächerlich machen; ich werde gehen, und müsste ich die Demütigung erfahren, von dem, der mich ruft, mit Gleichgültigkeit empfangen zu werden. Demütigung? wie wäre es eine, wenn er wirklich selbst so toll ist wie der arme Zdenko? Ich würde nur Ursache haben, sie beide zu beklagen, und ich werde meine Pflicht getan haben. Ich werde der Stimme Gottes gehorcht haben, die mich mahnt, und seiner Hand, die mich mit unwiderstehlicher Gewalt antreibt.
Der fieberhafte Zustand, in welchem sie sich alle diese Tage befunden und der seit ihrem letzten unglücklichen Zusammentreffen mit Zdenko einer peinlichen Abspannung Raum gemacht hatte, stellte sich geistig und körperlich wieder ein. Sie fand ihre ganze Kraft wieder, und Amalien sowohl das Buch, als ihre Begeisterung und ihre Absicht verbergend, wechselte sie mit ihr heitere Worte, ließ sie einschlafen und machte sich dann nach der Tränenquelle auf, versehen mit einer kleinen Blendlaterne, welche sie sich an diesem Morgen verschafft hatte.
Sie wartete ziemlich lange und wurde durch die Kälte gezwungen, mehrmals in Albert’s Kabinet einzutreten, um ihre erstarrten Glieder in einer milderen Luft zu beleben. Sie wagte einen Blick auf diese gewaltige Masse Bücher zu werfen, welche nicht auf Brettern gereiht standen wie in einer Bibliothek, sondern mitten im Zimmer auf dem Fußboden wie aus einer Art Verachtung und Widerwillen durcheinander geworfen lagen. Auf gut Glück öffnete sie einige. Sie waren fast alle lateinisch geschrieben, und Consuelo konnte höchstens mutmaßen, dass es theologische Streitschriften waren, welche die römische Kirche ausgehen lassen oder approbiert hatte.
Sie wollte die Titel zu enträtseln versuchen, als sie endlich das Wasser des Brunnens brodeln hörte. Sie lief hin, schloss ihre Laterne, versteckte sich hinter dem Geländer und erwartete Zdenko’s Ankunft. Dieses Mal hielt er sich weder auf dem Parkett noch in Albert’s Zimmer auf, sondern ging, wie Consuelo später erfuhr, nach des Grafen Christian Schlafzimmer und Kapelle, um an den Türen zu horchen und zu sehen, ob der Greis in seinem Schmerze betete oder ob er ruhig schliefe. Dies war eine Bemühung, die er sich oft aus eigenem Antriebe machte, ohne dass es Albert in den Sinn gekommen war, sie ihm aufzuerlegen, wie man weiterhin sehen wird.
Consuelo war nicht mehr zweifelhaft, was sie zu tun hätte; ihr Entschluss war gefasst. Sie mochte sich der Vernunft und dem guten Willen Zdenko’s nicht mehr anvertrauen und wollte allein und unbeschützt bis zu Dem dringen, den sie für gefangen hielt.
Es gab ohne Zweifel nur einen einzigen Weg, um aus der Cisterne des Schlosses zu der des Schreckenstein zu gelangen. Wenn dieser Weg schwierig oder gefährlich war, so musste er wenigstens gangbar sein, da Zdenko ihn jede Nacht zurücklegte. Besonders musste er es mit Licht sein, und Consuelo hatte sich für den Notfall mit einer Kerze, einem Stahl, Schwamm und Stein versehen.
Was es ihr zur Gewissheit machte, auf dem unterirdischen Wege zum Schreckenstein gelangen zu können, war eine alte Geschichte, welche sie von dem Stiftsfräulein gehört hatte, eine Belagerung betreffend, die in den Zeiten der Deutschherrn dieses Schloss auszuhalten gehabt hatte. Die Ritter, sagte Wenceslawa, hatten in ihrem Refektorium eine Cisterne, welche stets Wasser von einem benachbarten Berge erhielt; und wenn sie Spione ausschicken wollten, um den Feind zu beobachten, so legten sie die Cisterne trocken, und man ging durch die unterirdische Leitung nach einem Dorfe, welches ihnen untertänig war.
Consuelo erinnerte sich ferner, dass, der Sage des Landes zu Folge, das Dorf, von dessen Einäscherung der Hügel, worauf es lag, den Namen Schreckenstein hatte, von der Riesenburg abhängig war und mit ihr in Belagerungszeiten in Verbindung stand. Es war also ganz folgerichtig, wenn sie diese Verbindung und den Ausgang auf den Schreckenstein zu suchen gedachte.
Sie benutzte die Entfernung Zdenko’s, um in den Brunnen hinabzusteigen. Zuvor warf sie sich auf ihre Knie, empfahl ihre Seele Gott, machte naiv ein großes Kreuz, ganz wie sie auch in der Coulisse des S. Samuel-Theaters getan hatte, bevor sie zum ersten Male auf die Bühne hinaustrat; hierauf stieg sie kühn die steilgewundene Stiege hinab, die Stützpunkte an der Mauer suchend, nach denen sie Zdenko hatte greifen sehen, und nicht unterwärts blickend, aus Furcht, schwindlig zu werden. Sie gelangte ohne Unfall zu der eisernen Kette, und als sie diese ergriffen hatte, fühlte sie sich ruhiger und hatte genug kaltes Blut, um in die Tiefe hinunter zu schauen. Es war noch Wasser da, und diese Entdeckung erregte ihr einen augenblicklichen Schauder. Aber die Überlegung kehrte ihr sogleich zurück. Der Brunnen konnte sehr tief sein, aber die Öffnung, durch welche Zdenko gekommen war, musste sich in einer verhältnismäßig geringen Entfernung unter dem Boden befinden.
Sie war schon fünfzig Stufen hinuntergestiegen mit jener Gewandtheit und Behändigkeit, welche in den Salons erzogene junge Mädchen nicht haben, Kinder aus dem Volke jedoch bei ihren Spielen gewinnen und davon für ihr ganzes Leben die zuversichtliche Dreistigkeit behalten. Wirkliche Gefahr war nur, auf den feuchten Stufen auszugleiten. Consuelo hatte aber umhersuchend in einem Winkel einen alten breitkrämpigen Hut gefunden, den Baron Friederich lange auf der Jagd getragen hatte. Diesen hatte sie zerschnitten und sich Sohlen daraus gemacht, welche sie mit Bändern wie Cothurne unter ihren Schuhen befestigte. Sie hatte an Zdenko’s