Gott, dachte sie, hat mich hierher gezogen und durch schreckliche Gefahren hindurch geleitet. Mehr noch auf sein Geheiß als mit seiner Hilfe bin ich hier. Mit glühender Seele, mit menschenfreundlicher Absicht, mit ruhigem Herzen, mit reinem Gewissen, mit Uneigennützigkeit in jeder Hinsicht bin ich gekommen. Der Tod harrt meiner vielleicht, und doch erschreckt mich dieser Gedanke nicht. Mein Leben ist verwüstet und ich werde es, ohne mich viel zu härmen, dahingeben; das habe ich noch vor wenigen Augenblicken gefühlt und seit einer Stunde habe ich mich einem schrecklichen Untergange geweiht, mit einer Seelenruhe, die ich nicht in mir erwartet hätte. Vielleicht ist dies eine Gnade, die mir Gott in meinem letzten Augenblicke schenkt. Vielleicht werde ich unter den Streichen eines Rasenden fallen und ich gehe diesem Ende mit der Festigkeit eines Märtyrers entgegen. Ich glaube fest und brünstig an ein ewiges Leben, und ich weiß, wenn ich hier umkomme als das Opfer einer vielleicht unnützen, gewiss aber frommen Hingebung, so werde ich den Lohn dafür in einem schöneren Dasein empfangen. Was hält mich denn zurück? Woher diese unsägliche Unruhe, als ginge ich ein Unrecht zu begehen, und vor dem, den ich rette, zu erröten?
So kämpfte Consuelo mit sich selbst, zu schamhaft, um recht ihre Scham zu begreifen, und machte sich die Zartheit ihres Gefühls beinahe zum Vorwurf. Nur das kam ihr nicht in die Seele, dass sie vielleicht einer schrecklicheren Gefahr als der des Todes entgegenginge. In ihrem keuschen Sinne fand der Gedanke keine Stätte, dass sie der tierischen Leidenschaft eines Wahnsinnigen zur Beute werden könnte. Aber unbewusst fürchtete sie, von etwas anderem beseelt zu scheinen, als von dem erhabenen, göttlichen Gefühl, dem sie gehorchte.
Indessen steckte sie den Schlüssel in das Schloss. Mehr als zehnmal setzte sie an, ihn umzudrehen, und konnte sich nicht dazu entschließen. Eine unglaubliche Ermattung, eine völlige Abspannung ihres ganzen Wesens kam hinzu, um ihr vollends die Entschlossenheit zu rauben, in dem Augenblicke, wo sie im Begriff war den Preis zu erwerben, sei es auf Erden – durch ein großes Liebeswerk, sei es im Himmel – durch einen erhabenen Tod.
13.
Endlich überwand sie sich. Sie hatte drei Schlüssel. Es mussten drei Türen sein, und zwei Räume zu durchschreiten, ehe sie den erreichte, wo Albert, wie sie glaubte, gefangen war. Sie hätte ja, wenn es ihr an Kraft gebrach, noch immer Zeit gehabt, zurückzubleiben.
Sie betrat einen gewölbten Saal, worin es keinen Hausrat gab als ein Lager von trockenem Farrenkraut, worüber ein Schaffell geworfen war. Ein Paar altmodischer, ganz zerrissener und zerfallener Schuhe diente ihr zum Zeichen, dass es Zdenko’s Schlafgemach war. Auch bemerkte sie das Körbchen, das sie auf dem Schreckenstein mit Früchten zurückgelassen hatte, und das nach zwei Tagen endlich verschwunden war. Sie entschied sich, die zweite Tür zu öffnen, nachdem sie die erste wieder vorsichtig verschlossen hatte, denn noch immer dachte sie mit Entsetzen an die Möglichkeit von dem wilden Besitzer dieser Wohnung eingeholt zu werden.
Das zweite Gemach, in welches sie eintrat, war gewölbt wie das erste, aber die Wände waren mit Matten und geflochtenen Moosdecken bekleidet. Ein Kamin verbreitete hinlängliche Wärme, und der durch den Fels geführte Schlot war es ohne Zweifel, welcher auf dem Gipfel des Schreckenstein jenen von Consuelo beobachteten flüchtigen Schein erzeugte. Albert’s Lager bestand, wie Zdenko’s, aus einem Haufen von trockenem Laube und Kräutern, aber Zdenko hatte ein prächtiges Bärenfell darüber gebreitet, trotz der unbedingten Gleichheit in der Lebensweise, welche Albert forderte und Zdenko auch in allem annahm, was nicht seiner leidenschaftlichen Zärtlichkeit für Albert und seinem Triebe, mehr für ihn als für sich selbst zu sorgen, widerstritt.
Consuelo wurde in diesem Saale von Ajax empfangen, der, da er den Schlüssel drehen hörte, sich mit gespitztem Ohr und lauerndem Auge auf die Schwelle gesetzt hatte. Ajax war von seinem Herrn eigentümlich erzogen: er war ein Freund, kein Wächter. Es war ihm von Jugend auf so streng verboten worden, zu heulen und zu bellen, dass er diese den Geschöpfen seiner Gattung natürliche Gewohnheit ganz verloren hatte. Hätte man sich Albert in feindseliger Absicht genähert, so würde Ajax wohl seine Stimme wiedergefunden, hätte man Hand an jenen gelegt, so würde er ihn wütend verteidigt haben. Aber klug und vorsichtig wie ein Klausner, machte er nie den geringsten Lärm, ohne seiner Sache gewiss zu sein, und ohne zuvor seine Leute aufmerksam betrachtet und berochen zu haben.
Er näherte sich Consuelo mit einem spähenden, Blick, der etwas menschliches hatte, beschnopperte ihr Kleid und besonders ihre Hand, mit welcher sie die von Zdenko berührten Schlüssel lange gehalten, und durch diesen Umstand vollkommen beruhigt, überließ er sich dem freundschaftlichen Andenken, das er ihr bewahrt hatte, indem er ihr lautlos seine beiden großen zottigen Pfoten zutunlich und freundlich auf die Schultern legte und mit seiner prächtigen Rute langsam den Boden fegte. Nach dieser feierlichen und ehrbaren Begrüßung kehrte er um und legte sich wieder auf den Rand des Bärenfelles, das seines Herrn Lager bedeckte, indem er sich mit der Lässigkeit des Alters ausstreckte, aber nicht ohne mit den Augen jeden Schritt und jede Bewegung Consuelo’s zu verfolgen.
Ehe sie der dritten Tür zu, nahen wagte, warf Consuelo einen Blick auf die Einrichtung dieser Eremitage, um daraus einen Schluss auf den Gemütszustand des Mannes zu machen, der sie bewohnte.
Große Reinlichkeit, eine Art Ordnung herrschte darin. Ein Mantel und Kleider zum Wechseln hingen an Auerochshörnern, Seltenheiten, die Albert aus Lithauen mitgebracht hatte. Viele Bücher standen geordnet auf rohen Brettern, die auf starken von grober aber geschickter Hand künstlich gefügten Baumästen ruhten. Der Tisch und zwei Stühle waren aus demselben Stoffe und von derselben Arbeit. Ein Herbarium und alte Notenbücher mit slavischen Titeln und Textworten vollendeten das Bild des friedfertigen, einfachen, arbeitsamen Lebens in dieser Anachoretenwohnung. Eine eiserne Lampe von merkwürdiger Altertümlichkeit hing in der Mitte vom Gewölbe herab und brannte in der ewigen Nacht dieses schauerlichen Heiligtums.
Consuelo bemerkte noch, dass keinerlei Waffe vorhanden war. Im Widerspruch mit der Liebe jener reichen Waldbewohner zur Jagd und den Luxusgegenständen, welche diesem Vergnügen gesellt zu werden pflegen, besaß Albert keine Flinte, kein Waidmesser, und sein alter Hund war niemals »gearbeitet« worden, daher auch Ajax für den Baron Friederich ein Gegenstand der Verachtung und des Mitleids war.
Albert