Die Furcht, welche ihr Zdenko erregt hatte, nahm immer mehr zu, je weiter sie sich von ihm entfernte, und nachdem sie seiner Rachsucht mit einer wunderbaren Geistesgegenwart die Stirn geboten, zitterte sie jetzt vor dem Gedanken daran. Sie floh vor ihm, getraute sich nicht den Mut zu, Angesichts seiner das zu versuchen, was ihn ihr hätte geneigt machen können, und eilte nun, eine der Zauberpforten zu erreichen, deren Schlüssel er ihr ausgeliefert hatte, um zwischen sich und die Rückkehr seines Wahnsinns eine Schranke zu stellen.
Aber konnte sie nicht Albert, diesen anderen Tollen, den sie sich hartnäckig, ohne allen Grund stets nur sanft und lenksam vorgestellt hatte, in einer Stimmung ganz der Zdenko’s ähnlich finden? Bedeckte doch noch ein düsterer Schleier dieses ganze Abenteuer.
Und Consuelo, von dem romantischen Reiz, der sie hineingelockt hatte, zur Besinnung zurückgekommen, fragte sich, ob sie nicht von allen dreien die tollste wäre, dass sie sich in diesen Abgrund von Gefahren und Geheimnissen gestürzt hätte, ohne eines glücklichen Ausgangs und eines günstigen Erfolgs gewiss zu sein.
Indessen schritt sie in einem geräumigen und von den starken Händen mittelalterlicher Männer bewunderungswürdig ausgehauenen Gange fort. Spitzbogig, mit vieler Sorgfalt und in einem kräftigen Style gewölbt, durchbrach dieser die Steinmassen und fand sich, wo es losere Schichten gab, durch Konstruktionen in Bruchsteinen gesichert, deren Wölbung mit Keilen von Granitblöcken geschlossen war.
Consuelo verlor nicht ihre Zeit damit, dieses gewaltige Werk anzustaunen, das dauerhaft genug schien, um noch manchem Jahrhundert zu trotzen. Sie fragte sich auch nicht, wie es möglich war, dass die jetzigen Besitzer des Schlosses von dem Dasein einer so wichtigen Anlage nichts wussten. Sie hätte sich dies wohl erklären können, wenn sie daran dachte, dass das Familienarchiv und alle Urkunden des Schlosses schon vor mehr als hundert Jahren von den Jesuiten vernichtet worden waren; allein sie blickte nicht um sich und sie dachte an nichts als an ihre eigene Sicherheit, zufrieden genug, einen ununterbrochenen Boden, eine atembare Luft und einen freien Raum zu ihrem Laufe zu finden.
Sie hatte noch eine, ziemlich weite Strecke vor sich, ungeachtet dieser gerade Weg zum Schreckenstein kürzer war als der gewundene Bergpfad über der Erde. Sie fand ihn sehr lang, und wusste nicht einmal, da sie ihre Richtung nicht mehr kannte, ob sie nach dem Schreckenstein oder an einen weit entlegneren Ort gelangen würde.
Nachdem sie eine Viertelstunde gegangen war, fand sie, dass sich die Wölbung abermals hob und der kunstmäßige Bau aufhörte. Indessen waren, die weiten Steinbrüche, die majestätischen Grotten, durch welche sie nun kam, noch immer Menschenwerk. Von Vegetation bedeckt und der äußeren Luft durch unzählige Spalten und Klüfte zugänglich, boten sie ein minder düsteres Ansehen als die gewölbten Gänge dar. Hier gab es tausend Gelegenheiten, sich zu verstecken und sich den Verfolgungen eines ergrimmten Feindes zu entziehen. Aber ein Geräusch von rinnendem Wasser machte Consuelo zittern, und wenn sie in ihrer Lage zum Scherzen aufgelegt gewesen wäre, so hätte sie sich sagen können, dass Baron Friederich nie bei seiner Rückkehr von der Jagd mehr Abscheu vor dem Wasser gehabt haben könnte, als sie in diesem Augenblicke.
Sie machte indessen bald von ihrem Nachdenken Gebrauch. Seit sie jenen Abgrund, als sich eben die Flut hineinwarf, verlassen hatte, war sie immer nur aufwärts gestiegen. Wenn nicht dem Zdenko ein Pumpwerk von unbegreiflicher Kraft und Riesenumfang zu Gebote stand, so konnte er seinen fürchterlichen Bundesgenossen, den Wasserstrom, nicht bis zu ihr hinaufzwingen. Es war übrigens klar, dass sie das Gerinne der Quelle, die Schleuse oder die Quelle selbst irgendwo antreffen musste, und wenn sie Muße gehabt hätte weiter zu überlegen, so würde sie sich gewundert haben, diesem heimlichen Wasser, der Tränenquelle, welche den Brunnen speiste, auf jenem Wege noch nicht begegnet zu sein.
Die Quelle nahm aber ihren Lauf im Bogen durch unbekannte Adern des Gesteins, und der unterirdische gewölbte Gang bildete eine Sehne, welche diesen Bogen nur an zwei Punkten durchschnitt, einmal ganz in der Nähe der Cisterne und sodann unter dem Schreckenstein, wo ihn auch Consuelo endlich wieder antraf. Die Schleuse also lag weit hinter ihr, auf dem Wege, den Zdenko allein zurückgelegt hatte, und Consuelo näherte sich jetzt dieser Quelle, die seit Jahrhunderten kein Mensch gesehen außer Albert und Zdenko. In kurzem befand sie sich neben dem Wasserlauf, an welchem sie diesmal furchtlos und gefahrlos hinging.
Ein Fußsteig von lockerem, feinem Sande lief an dem klaren, durchsichtigen Wasser entlang, das mit fröhlichem Gemurmel in einem tief genug ausgehöhlten Bette rann. Hier zeigte sich wieder die Arbeit der Menschenhand. Der Fußsteig war auf der Böschung eines Ufers von lockerem, fruchtbarem Boden angelegt, denn schöne Wasserpflanzen, ungeheuere Mauergewächse, wildes Brombeergesträuch in Blüte bekränzte an diesem geschützten Ort, der strengen Jahreszeit zum Trotz, den Bach mit einem üppigen grünen Saum. Die äußere Luft drang durch eine Menge von Rissen und Spalten ein, welche hinreichend waren, dem Pflanzenwuchs das Leben zu fristen, obwohl zu eng, um dem neugierigen Blick, der von außen sie gesucht hätte, Eingang zu verstatten. Es war wie ein natürliches Treibhaus, durch seine Gewölbe vor Frost und Schnee beschützt und doch mit Luft durch tausend unbemerkbare Züge hinlänglich versehen.
Es schien als ob eine freundlich sorgende Hand diese schönen Gewächse behütet und den Sand; welchen der Bach auf seinem Ufer absetzte, von den Kieseln, die den Fuß verletzten, gereinigt hätte. Und so war es auch. Zdenko hatte Sorge getragen, die Zugänge zu Albert’s Versteck bequem und sicher und angenehm zu machen.
Consuelo begann den wohltätigen Einfluss zu fühlen, den eine minder düstere und schon poetische Gestalt der äußeren Gegenstände auf ihre von grausen Schreckbildern erschütterte Seele übte. Sie sah die blassen Strahlen des Mondes hier und da durch die Felsspalten hereinschlüpfen und sich auf dem zitternden Wasser brechen, sie sah von der oberen Luft von Zeit zu Zeit die regungslosen Pflanzen, die das Wasser nicht erreichte, leise bewegt, sie fühlte sich von Schritt zu Schritt der Oberfläche der Erde näher, sie fühlte sich neugeboren, und der Empfang, der ihrer am Ziele ihres heldenmütigen Pilgerganges harrte, malte sich in ihrem Geiste nicht so schwarz mehr.
Endlich sah sie den Fußsteig schnell vom Ufer ablenken, in eine kurze frisch gemauerte Strecke einbiegen und vor einer kleinen Tür enden: diese schien von Metall zu sein, so kalt war sie anzufühlen; ein starker Epheustock hatte sie mit zierlichen Ranken