– O, das glaube ich, versetzte Consuelo ungeduldig.
Der Kaplan zuckte die Achseln und erhob sich schwerfällig von seinem Sitze, um diesem Forschungseifer zu entrinnen.
– Nun wohl! dachte Consuelo, da niemand hier eine Stund seines Schlafs opfern will, um eine so wichtige Sache zu ergründen, so will ich meine ganze Nacht, wenn es sein muss, daran setzen. Und da es noch nicht Zeit zum Schlafengehen war, so nahm sie ihren Mantel um und machte einen Gang durch den Garten.
Die Nacht war kalt und sternhell; ihre Nebel hatten sich zerstreut vor dem emporsteigenden Vollmond. Die Sterne erblassten bei seinem Nahen, die Luft war trocken und klingend. Consuelo, die von der Ermüdung, von der Schlaflosigkeit und von der edelmütigen, doch vielleicht ein wenig krankhaften Anspannung ihres Geistes aufgeregt, nicht ermattet war, fühlte eine leichte Fieberhitze, die die Frische der Nacht nicht zu dämpfen vermochte. Es war ihr als stünde sie am Ziele ihres Unternehmens. Ein romantisches Vorgefühl, das sie sich als Geheiß und Aufmunterung vom Himmel auslegte, ließ ihr keine Rast und Ruh.
Sie setzte sich auf einen mit Lerchenbäumen umpflanzten Rasenhügel und fing an auf den schwachen, klagenden Ton des Stroms, der unten durch das Tal rann, zu horchen. Da schien es ihr, als ob noch eine lieblichere und klingendere Stimme sich in das Gemurmel des Wassers mischte und sich allmählich bis zu ihr erhob. Sie streckte sich auf den Rasen nieder, um näher dem Boden deutlicher diese Laute, die der Wind jeden Augenblick hinwegtrug, zu vernehmen. Nunmehr unterschied sie Zdenko’s Stimme. Er sang deutsch und sie erhaschte folgende Worte, die er, so gut es gehn wollte, einer böhmischen Melodie von jenem, ihr nun schon bekannten einfachen und schwermütigen Charakter anpasste:
Unten, da unten in Leid und Müh eine Seele harrt an Erlösung;
Die Erlösung, die verheißne, den verheißnen Trost.
Die Erlösung scheint gebunden, und der Trost scheint unerbittlich
Unten, da unten in Leid und Müh ist eine Seele wartensmüde.
Als der Gesang schwieg, stand Consuelo auf, suchte Zdenko mit den Augen draußen im Freien, durchlief nach ihm den ganzen Park und den ganzen Garten, rief ihn an verschiedenen Orten und kam ins Haus zurück, ohne ihn gefunden zu haben.
Eine Stunde später, nach einem langen, in Gemeinschaft laut gesprochenen Gebete für den Grafen Albert, woran man die ganze Dienerschaft Teil nehmen ließ, war alles zu Bett gegangen und Consuelo hatte ihren Platz bei der Tränenquelle genommen. Sie saß auf der Einfassung des Brunnens unter dem dichten Moose, das da von Natur wuchs, und den Schwertlilien, die Albert gepflanzt hatte, sie blickte unverwandt auf das stille Wasser, in welchem sich der Mond, der seinen höchsten Stand eben erreicht hatte, klar abspiegelte.
Eine Stunde hatte sie schon so gewartet und das mutige Kind fühlte, von der Müdigkeit bezwungen, seine Augenlider schwer werden, als ein leichtes Geräusch auf der Oberfläche des Wassers sie munter machte. Sie öffnete die Augen und sah das Bild des Mondes sich bewegen, sich brechen und sich in flimmernden Zirkeln auf dem Wasserspiegel ausbreiten. Zugleich ließ sich ein Sprudeln und ein dumpfes Geräusch wahrnehmen, erst kaum merklich, bald aber ungestüm; sie sah das Wasser wirbelnd wie in einem Trichter fallen und in weniger als einer Viertelstunde in der Tiefe des Schlundes verschwinden.
Sie war so kühn, mehre Stufen hinabzusteigen. Die Treppe, die nur dazu angebracht schien, dass man bei dem verschiedenen Stand des Wassers jedes Mal bis zu seinem Spiegel gelangen könnte, lief schneckenförmig aus dem Granit des Felsens gehauen hinab. Die schlammigen, schlüpfrigen Stufen ließen keinen festen Tritt zu und verloren sich in einer schauerlichen Tiefe. Die Dunkelheit, ein Überrest von Wasser, der noch unten in dem unermesslichen Schlunde klatschte, die Unmöglichkeit, ihre zarten Füße auf dem zähen Schlamme festzuhalten, setzten dem unsinnigen Versuche Consuelo’s eine Grenze; sie stieg rückwärts mit vieler Mühe wieder hinauf und setzte sich zitternd und betreten auf die oberste Stufe.
Das Wasser schien inzwischen immer tiefer in das Herz der Erde zu entweichen. Das Geräusch wurde immer dumpfer, bis es gänzlich aufhörte und Consuelo bedachte, ob sie gehen und Licht holen sollte, umso weit, als es von oben möglich war, das Innere der Cisterne zu untersuchen. Aber sie fürchtete alsdann die Ankunft dessen, den sie erwartete, zu verfehlen und harrte in Geduld fast noch eine Stunde unbeweglich an ihrer Stelle.
Endlich glaubte sie ein schwaches Licht in der Tiefe des Brunnens zu bemerken und sich in der höchsten Spannung überbeugend sah sie den zitternden Schein allmählich höher steigen. Bald war kein Zweifel mehr, Zdenko kam die Schneckenstiege herauf, sich an einer eisernen Kette forthelfend, die an den Steinwänden befestigt war. Das Geräusch, das seine Hand verursachte, indem sie diese Kette anzog und von Strecke zu Strecke wieder fallen ließ, verriet das Dasein dieser Art Geländer; es hörte aber in einer gewissen Höhe auf, daher es Consuelo weder hatte bemerken noch vermuten können.
Zdenko trug eine Laterne, die er an einen dazu bestimmten und ungefähr zwanzig Fuß unterhalb des Bodens in den Felsen eingekitteten Haken hängte; hierauf stieg er behänd und schnell den Rest der Treppe hinauf, ohne Kette oder sonst eine wahrnehmbare Unterstützung. Indessen bemerkte Consuelo, die mit der größten Aufmerksamkeit beobachtete, dass er sich an den Spitzen einiger Mauerpflanzen hinaufhalf, die wohl kräftiger als die übrigen sein mochten, oder vielleicht auch an einigen aus der Wand hervorragenden Haken, die er mit der Hand zu treffen wusste.
Als er so hoch kam, um Consuelo sehen zu können, versteckte sie sich hinter der kreisförmigen steinernen Balustrade, welche die Mündung des Brunnens umschloss und sich nur da, wo die Treppe hinabging, öffnete.
Zdenko trat heraus und fing an, langsam auf dem Parterre mit vieler Sorgfalt und, wie es schien, mit Auswahl, einen großen Blumenstrauß zu pflücken. Dann ging er in Albert’s Kabinet, und Consuelo sah durch die Glasscheiben der Tür, wie er lange unter den Büchern wühlte und eines suchte, das er endlich gefunden zu haben schien; denn er kam lachend zur Cisterne zurück, und mit sich selbst in dem Tone großer Zufriedenheit, aber mit leiser, kaum erhaschbarer Stimme redend: so geteilt schien er zwischen dem Bedürfnis, für sich hin zu schwatzen, seiner Gewohnheit nach, und der Furcht, die Bewohner des Schlosses zu wecken.
Consuelo hatte sich noch nicht gefragt, ob sie ihn anreden sollte, ob sie ihn bitten sollte, sie zu Albert zu führen; und, um es zu gestehen, in diesem Augenblick, überrascht