– Trost? rief die scharfblickende Amalie. Hat er dieses Wort gebraucht? Sie wissen, Tante! welche Bedeutung es im Munde meines Vetters hat.
– In der Tat, es ist ein Wort, das er sehr häufig auf den Lippen trägt, entgegnete Wenceslawa, und das für ihn einen prophetischen Sinn hat; jedoch im vorliegenden Falle finde ich nur etwas sehr natürliches im Gebrauche eines solchen Wortes.
– Aber was für ein Wort war es, das er Ihnen so oft wiederholt hat, liebe Porporina? fing Amalie wieder an, die nicht los ließ. Es schien mir, als ob er Ihnen ein besonderes Wort immer wieder sagte, welches ich in meiner Verwirrung nicht behalten habe.
– Ich habe es selbst nicht verstanden, antwortete Consuelo, während es sie eine große Überwindung kostete, zu lügen.
– Liebe Nina! sagte ihr Amalie ins Ohr, Sie sind fein und schlau; was mich betrifft, die ich nicht geradezu auf den Kopf gefallen bin, so glaube ich sehr wohl verstanden zu haben, dass Sie der mystische Trost sind, dessen Verheißung Albert in seinen Gesichten für sein dreißigstes Jahr empfangen hat. Geben Sie sich keine Mühe, es mir zu verhehlen, dass Sie es noch besser als ich verstanden haben: das ist eine himmlische Mission, auf die ich nicht eifersüchtig bin.
– Hören Sie, liebe Porporina! sagte das Stiftsfräulein nach einigem Besinnen, wir haben immer geglaubt, dass Albert, wenn er wie wirklich durch Zauberei vor uns verschwand, sich nicht fern von uns verborgen halte, vielleicht im Hause selbst, mit Hilfe irgend eines verborgenen Raumes, dessen Geheimnis er allein besitzt. Ich weiß nicht, aber ich bilde mir ein, wenn Sie jetzt zu fingen anfingen, so würde er es hören und zu uns kommen.
– Wenn ich das glauben dürfte! … sagte Consuelo, bereit, zu gehorchen.
– Aber wenn Albert in unserer Nähe ist, und nun doch vielleicht die Musik seinen Wahnsinn steigert? wandte die eifersüchtige Amalie ein.
– Je nun! sagte Graf Christian, man muss den Versuch jedenfalls machen. Ich habe sagen hören, dass der unvergleichliche Farinelli die Macht besaß, durch seinen Gesang die Schwermut des Königs von Spanien zu verscheuchen, wie der junge David Macht hatte, Sauls Raserei durch den Klang seiner Harfe zu bezähmen. Versuchen Sie es, edele Porporina! eine so reine Seele, wie die Ihrige, muss durchaus einen heilsamen Einfluss auf alles umher ausüben.
Consuelo, gerührt, setzte sich an das Klavier und sang einen spanischen Hymnus zu Ehren »Unserer lieben Frau zum Troste«, den ihre Mutter ihr in ihrer Kindheit gelehrt hatte und der so anfing: »Consuelo de mi alma« (»Trost meiner Seele«).
Sie sang ihn mit so reiner Stimme und in einem so rührend frommen Tone, dass die Bewohner des alten Schlosses fast den Gegenstand, der sie beschäftigte, vergaßen, um sich ganz den Gefühlen der Hoffnung und des Vertrauens zu überlassen. Ein tiefes Schweigen herrschte innerhalb und außerhalb des Schlosses; man hatte Türen und Fenster geöffnet, damit Consuelo’s Stimme so weit als möglich dringen könnte, und der Mond warf ein grünliches Licht auf die Vertiefungen der ungeheuern Fenster. Alles schwieg, und eine Art seliger Heiterkeit war an die Stelle der Herzensangst getreten, als ein tiefer Seufzer, wie aus einer Menschenbrust gehaucht, dem letzten Ton antwortete, den Consuelo hören ließ.
Dieser Seufzer war so vernehmbar und so lang gezogen, dass alle Anwesenden ihn bemerkten, selbst Baron Friederich, der aus seinem Schlummer halb auffuhr und sich umsah, als ob ihn jemand gerufen hätte. Alle erbleichten und sahen einander an, als wollten sie sagen: ich war es nicht, wart ihr es? Amalie konnte einen Schrei nicht zurückhalten, und Consuelo, der es vorkam, als ob der Seufzer von dicht neben ihr ausgegangen wäre, obgleich sie ganz abgesondert von der übrigen Familie am Klavier saß, war so erschrocken, dass sie kein Wort hervorbringen konnte.
– Göttliche Güte! sagte das Stiftsfräulein vor Schreck zitternd, habt ihr diesen Seufzer vernommen, der aus den Eingeweiden der Erde zu kommen schien?
– Sagen Sie lieber, Tante! rief Amalie aus, dass er über unsern Häuptern hinging, wie ein Nachthauch.
– Eine Nachteule, vom Lichte angezogen, wird durch das Zimmer geflogen sein, während wir ganz in die Musik vertieft waren, und wir haben den leisen Schlag ihrer Flügel gehört, als sie durch das Fenster entwich, äußerte der Kaplan, dem jedoch die Zähne vor Furcht zusammenschlugen.
– Es war vielleicht Albert’s Hund, sagte Graf Christian.
– Ajax ist nicht hier, entgegnete Amalie. Wo Albert ist, da ist Ajax auch immer bei ihm. Es hat hier jemand seltsam geseufzt. Wenn ich mir nur getraute ans Fenster zu gehen, so würde ich nachsehen, ob nicht wer im Garten zugehört hat, aber wenn es mein Leben gälte, so hätte ich nicht so viel Kraft.
– Für ein so vorurteilsfreie Person, sagte Consuelo leise zu ihr, indem sie sich zu lächeln zwang, für eine kleine, französische Philosophin sind Sie gar nicht tapfer, liebe Baronin; ich will versuchen, ob ich es mehr sein werde als Sie.
– Gehen Sie nicht, Liebe! antwortete Amalie laut. Spielen Sie nicht die Heldin, denn Sie sind bleich wie der Tod, und Sie werden eine Ohnmacht davontragen.
– Was für Kindereien äffen deine Sorge, liebe Amalie! sagte Graf Christian und ging mit gemessenem, schwerem Schritt ans Fenster.
Er sah hinaus und gewahrte niemanden; ruhig machte er das Fenster zu und sagte:
– Es scheint, dass für die hitzige Einbildungskraft der Frauen die wirklichen Leiden noch nicht heiß genug sind; sie müssen immer noch die Schöpfungen ihres in Selbstqual nur zu erfinderischen Kopfes hinzutun. Dieser Seufzer hat gewiss nichts Wunderbares. Einer von uns, ergriffen von der herrlichen Stimme und dem unendlichen Talent der Signora, wird, ohne es selbst zu wissen, diese Art Ruf aus der tiefsten Seele ausgestoßen haben. Vielleicht bin ich es gewesen und habe es selbst nicht einmal wahrgenommen. Ach Porporina, wenn es Ihnen nicht gelingt, Albert zu heilen, so müssen Sie wenigstens einen himmlischen Balsam in so tiefe Wunden, wie die seinigen, gießen.
Das Wort dieses heiligen Greises, der unter allem häuslichen Unglück, das ihn drückte, stets weise und ruhig erschien, war selbst ein himmlischer Balsam und Consuelo empfand die Wirkung davon. Sie war versucht, sich vor ihm auf die Knie zu werfen und ihn um seinen Segen zu bitten, wie sie den des Porpora empfangen hatte, als sie von ihm schied, und den Marcellos an dem schönsten Tage ihres Lebens, der die Reihe ihrer unglücklichen und einsamen Tage angefangen hatte.
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