– Sie verstehen sie nur nicht, sagte Consuelo. Lassen Sie mich Ihnen ein paar Abschnitte vorsingen, um Ihnen zu zeigen, dass sie bewundernswürdig für die Stimme gesetzt ist, ganz des erhabenen Gedankens in der Erfindung zu geschweigen. Sie setzte sich an das Spinett und fing zu fingen an. Es war das erste Mal, dass sie den Wiederhall dieses alten Schlosses weckte, und der helle Schall, den die hohen kalten Mauern zurückgaben, verursachte ihr ein Vergnügen, dem sie sich ganz überließ. Ihre Stimme, die seit dem letzten Abend, wo sie in San Samuel sang und vor Ermattung und Schmerz zusammenbrach, geruht hatte, war von so vielen Leiden und Gemütsbewegungen keineswegs angegriffen, vielmehr schöner, herrlicher, gewaltiger denn je.
Amalie fühlte sich zugleich entzückt und niedergeschlagen. Jetzt sah sie ein, dass sie nichts konnte, und vielleicht auch, dass sie niemals etwas Rechts würde lernen können, als plötzlich vor den beiden jungen Mädchen mitten im Zimmer Albert’s bleiches, sinnendes Gesicht erschien und in wunderbarer Rührung unbeweglich aushielt bis das Stück zu Ende war. Erst jetzt bemerkte ihn Consuelo und fuhr ein wenig zusammen. Aber Albert, beide Knie beugend und zu ihr seine großen schwarzen Augen erhebend, die von Tränen überströmten, rief auf spanisch ohne den geringsten deutschen Akzent:
– O Consuelo, Consuelo! endlich bist du gefunden!
– Consuelo? rief das junge Mädchen bestürzt, und bediente sich derselben Sprache; weshalb, Herr! nennen Sie mich so?
– Ich nenne dich Trost, entgegnete Albert immer auf spanisch, weil ein Trost meinem trostlosen Leben verheißen ist, und weil du der Trost bist, den Gott endlich meinen verwaisten und unseligen Tagen schenkt.
– Ich hätte nicht gedacht, sagte Amalie mit zurückgehaltener Wut, dass die Musik eine so wunderbare Wirkung auf meinen Vetter hervorbringen könnte. Ninas Stimme ist geschaffen, Wunder zu wirken; ich gestehe es; aber ich will doch beiden bemerklich machen, dass es höflicher gegen mich und im Allgemeinen auch schicklicher wäre, sich in einer Sprache auszudrücken, die ich verstehen könnte.
Albert schien kein Wort von dem gehört zu haben, was seine Verlobte sagte. Er blieb auf den Knien, blickte Consuelo mit unsäglichem Staunen und Entzücken an und wiederholte stets mit bewegter Stimme: Consuelo, Consuelo!
– Aber warum nennt er Sie so? fragte Amalie ein wenig heftig ihre Gefährtin.
– Er bittet mich um ein spanisches Lied; das ich nicht kenne, antwortete Consuelo in großer Verwirrung; aber ich glaube, dass wir gut tun werden, aufzuhören; denn die Musik scheint ihn heute sehr anzugreifen. Hiermit stand sie auf, um fortzugehen.
– Consuelo! wiederholte Albert auf spanisch und fügte hinzu: wenn du von mir gehst, so ist es um mein Leben getan, und ich will nicht wieder auf die Erde zurückkehren.
Mit diesen Worten stürzte er besinnungslos zu ihren Füßen nieder, und die beiden jungen Mädchen riefen erschreckt nach der Dienerschaft, um ihn hinwegzutragen und ihm Beistand zu leisten.
3.
Graf Albert wurde sanft auf sein Bett niedergelassen; und während von den beiden Bedienten, welche ihn dahin geschafft hatten, der eine nach dem Kaplan lief, der im Notfall den Hausarzt machte, der andere nach dem Grafen Christian, der befohlen hatte, ihm von der geringsten Unpässlichkeit, die seinen Sohn befiele, augenblicklich Nachricht zu geben, suchten Amalie und Consuelo das Stiftsfräulein.
Aber noch ehe eine dieser Personen sich zu dem Kranken begeben hatte, was in der Tat so schleunig als nur möglich geschah, war Albert verschwunden. Man fand die Tür offen, sein Bett kaum eingedrückt durch die Ruhe eines Augenblicks, die er darauf gefunden hatte, und sein Zimmer ganz in der gewohnten Ordnung. Man suchte ihn überall, und er war, wie immer in dergleichen Fällen, nirgend zu finden; hiernach verfiel die Familie in einen jener Zustände von trauriger Resignation, welche Amalie geschildert hatte, und man schien bereit, in dem stummen Grauen, das man gewohnt war, nicht mehr in Worte zu kleiden, die stets gehoffte und stets ungewisse Rückkehr des fantastischen jungen Mannes abzuwarten.
Obgleich es Consuelo lieb gewesen wäre, wenn Albert’s Angehörige nichts von dem seltsamen Auftritte erfahren hätten, der in Amaliens Zimmer vorgegangen war, so unterließ die letztere doch nicht, alles zu erzählen und in lebhaften Farben die plötzliche und heftige Wirkung zu schildern, welche der Gesang der Porporina auf ihren Vetter hervorgebracht hatte.
– Es ist also ausgemacht, dass ihm die Musik schlecht bekommt! bemerkte der Kaplan.
– Wenn das ist, sagte Consuelo, so werde ich mich wohl hüten wieder zu singen, und wenn ich mit der jungen Baronin wieder Stunde halte, so wollen wir uns so gut einschließen, dass kein Ton zu dem Ohre des Grafen Albert dringen kann.
– Das wird ein außerordentlicher Zwang für Sie sein, meine liebe Demoiselle! sagte das Stiftsfräulein. Ach! meine Schuld ist’s nicht, dass Sie keinen angenehmeren Aufenthalt hier haben.
– Ich will Ihre Leiden und Ihre Freuden mit Ihnen teilen; entgegnete Consuelo, und ich wünsche mir keine andere Genugtuung, als durch Ihr Vertrauen und Ihre Freundschaft dazu berufen zu sein.
– Sie sind ein edeldenkendes Mädchen, sagte das Stiftsfräulein und reichte ihr ihre lange, dürre Hand, die wie gelbes Elfenbein glänzte. Aber hören Sie, setzte sie hinzu, ich bin nicht der Meinung, dass die Musik meinem lieben Albert wirklich nachteilig sei. Nach dem zu urteilen, was Amalie von dem Austritte dieses morgens erzählt, sehe ich im Gegenteil, dass er ein zu lebhaftes Vergnügen empfunden hat, und vielleicht rührte sein Leiden gerade daher, dass Sie Ihren bewundernswürdigen Gesang zu schnell für sein Gefühl abbrachen. Was sagte er Ihnen aus spanisch? Er spricht diese Sprache, habe ich gehört, vollkommen gut, wie er auch noch viele andere Sprachen auf seinen Reisen mit erstaunlicher Leichtigkeit sprechen gelernt hat. Wenn man ihn fragt, wie er es möglich gemacht habe, so viele verschiedenartige Sprachen zu behalten, so antwortet er, er habe sie schon vor seiner Geburt gewusst, und brauche sich ihrer nur wieder zu erinnern, denn die eine habe er vor zwölfhundert Jahren gesprochen,