– Ich glaube jetzt gern, Albert, dass Sie sich auf Zauberei verstehen; denn Sie dürfen nur einem Tröpfchen Wasser befehlen mir gut zu tun, so überträgt es gleich auf mich die Ruhe und die Kraft die ich an Ihnen sehe.
Albert fühlte sich zum ersten Male in seinem Leben glücklich, und als ob seine Seele mit derselben Heftigkeit die Freude wie den Schmerz ergriffe, war er in dieser Zeit des Entzückens und der Trunkenheit der glücklichste Mensch, den es auf Erden gab. Dieses Zimmer, wo er seine heiß Geliebte jeder Zeit und ohne lästige Zeugen sah, war für ihn ein Paradies geworden.
Nachts, wann er Scheines halber sich zurückgezogen hatte, und wann alles im Hause zu Bett gegangen war, schlich er leise durch die Gänge, und während die Wärterin, die am Bette der Genesenden wachen sollte, tief eingeschlafen war, stahl er sich hinter das Bett seiner geliebten Consuelo und sah sie schlummern, bleich und geknickt wie eine Blume nach dem Sturm.
Er nahm in einem großen Lehnstuhl Platz, den er immer dort stehen hatte, und verbrachte bei ihr die ganze Nacht, so leise schlummernd, dass er bei der geringsten Bewegung der Kranken zu ihr hinüber gebeugt war, um die schwachen Worte aufzufangen die sie lispelte, oder in seine stets bereite Hand die ihrige aufzunehmen die ihn suchte, wenn Consuelo, von irgend einem Traum erschreckt, einen Rest von Unruhe fühlte.
Wachte die Wärterin auf, so sagte ihr Albert jedes Mal, er sei so eben gekommen und sie bildete sich ein, dass er seine Kranke ein oder zweimal in der Nacht besuchte, während er in der Tat keine halbe Stunde in seinem eigenen Zimmer zubrachte. Consuelo teilte diese Einbildung. Obgleich sie Albert’s Gegenwart öfter als ihre Hüterin bemerkte, war sie doch noch so schwach, dass sie sich von ihm leicht über die Häufigkeit und Dauer dieser Besuche täuschen ließ. Manchmal mitten in der Nacht, wenn sie ihn bat schlafen zu gehen, sagte er ihr, es sei bald Morgen und er sei eben erst ausgestanden.
Dank diesen zarten Täuschungen, litt Consuelo niemals von seiner Abwesenheit und beunruhigte sich zugleich nicht über die Ermüdung, die er fühlen müsste. Diese Ermüdung war bei dem allen so gering, dass Albert sie gar nicht spürte. Die Liebe gibt dem Schwächsten Kräfte, und außerdem, dass Albert eine ungewöhnliche Stärke der Konstitution besaß, hatte nie in einer Menschenbrust eine gewaltigere, lebensvollere Liebe gewohnt.
Als bei der ersten Sonnenwärme sich Consuelo mühsam zu ihrer Chaise Longue am geöffneten Fenster geschleppt hatte, setzte sich Albert hinter sie und suchte in dem Zuge der Wolken oder in dem Purpur des Morgenlichtes die Gedanken zu erhaschen, die der Anblick des Himmels seiner schweigenden Freundin eingab. Manchmal nahm er verstohlen einen Zipfel des Schleiers, der ihren Kopf umhüllte und dessen Ende ein milder Lufthauch gegen die Lehne des Sophas wehete. Albert neigte seine Stirn wie um zu ruhen und presste seinen Mund auf den Schleier.
Eines Tages, als ihn ihm Consuelo wegzog, um ihn wieder über ihre Brust zu decken, war sie verwundert ihn warm und feucht zu finden, und sich lebhafter als sie seit ihrer Krankheit pflegte, umwendend, überraschte sie die Züge ihres Freundes in ungewöhnlicher Bewegung. Seine Backen waren gerötet, in seinen Augen flammende Glut und seine Brust von heftigem Klopfen gehoben.
Albert bemeisterte schnell seine Aufregung, er hatte aber Zeit gehabt, den Schreck sich auf Consuelo’s Antlitz malen zu sehen. Diese Bemerkung betrübte ihn tief. Er hätte sie lieber mit Verachtung und Strenge gewaffnet, als von einem Überreste von Furcht und Misstrauen beklommen sehen mögen. Er nahm sich vor, mit solcher Sorgfalt über sich zu wachen, dass keine Erinnerung an seinen Wahnsinn mehr sie, die ihn mit Gefahr und fast auf Kosten ihrer eignen Vernunft und ihres Lebens davon geheilt hatte, beunruhigen sollte.
Es gelang ihm vermöge einer Gewalt, die einem Menschen im gewöhnlichen Zustande des Bewusstseins nicht zu Gebote gestanden hätte. Seit langer Zeit daran gewöhnt, den Ungestüm seiner Gemütsbewegungen in sich zurückzudrängen und von seinem Willen einen umso wirksameren Gebrauch zu machen, als ihm diesen oft die rätselhaften Anwandlungen seines Übels streitig machten, übte er über sich selbst eine Herrschaft, die man ihm gemeinlich nicht hoch genug anrechnete. Man kannte nicht die häufige Wiederkehr und die Stärke der Anfälle, die er jeden Tag zurückschlug, bis zu dem Augenblicke, wo er von der Heftigkeit der Verwirrung und Verzweiflung übermannt, in seine verborgene Höhle floh, auch noch in seiner Niederlage Sieger, indem er soviel Achtung vor sich selbst bewahrte, um den Augen aller das Schauspiel seines Falles zu entziehen.
Albert litt an einem Wahnsinn der unglücklichsten und achtungswertesten Art. Er kannte seinen Wahnsinn und fühlte ihn kommen, bis er völlig von ihm umnachtet war. Auch dann noch behielt er inmitten seiner Anfälle eine dunkle Ahnung, ein verworrenes Bewusstsein von einer wirklichen Welt, in welcher er sich nicht eher zeigen wollte, als bis er seinen Zusammenhang mit ihr ganz wiederhergestellt fühlte.
Eine solche dumpfe Erinnerung an das wirkliche, bewusste Leben haben wir alle, wenn ängstliche Träume uns in der Welt der Einbildungen und des Wahns umherwerfen. Wir wehren uns manchmal gegen diese Trugbilder und Schrecken der Nacht, indem wir uns sagen, es sei ja nur ein Alpdrücken, und indem wir Anstrengungen machen uns zu ermuntern; aber eine feindliche Gewalt scheint uns immer wieder zu fassen und in die schreckliche Schwere des Schlafs unterzutauchen, wo immer grauenvollere Gesichte und immer bohrendere Schmerzen uns überfallen und uns martern.
In einem ähnlichen Schwanken verlief das überkräftige und jammervolle Leben dieses verkannten Menschen, den allein eine tätige, zarte, kluge Liebe aus dem Elende, das er sich selber schuf, zu reißen vermochte. Eine solche zärtliche Fürsorge hatte endlich in sein Dasein eingegriffen. Consuelo war in der Tat die lautere Seele, welche dazu geschaffen schien, den Zugang zu dieser düsteren und bis dahin jeder Teilnahme verschlossenen Seele zu finden. Es lag in der besorgten Teilnahme, die diesem jungen Mädchen Anfangs ein fantastischer Zug ihres Herzens aufgenötigt hatte, und in der rücksichtsvollen Freundschaft, welche seit ihrer Krankheit die Dankbarkeit ihr einflößte, etwas Lindes, Besänftigendes, Rührendes, wovon gewiss Gott wusste, dass es zu Albert’s Heilung ganz vorzüglich dienlich war.
Wenn Consuelo, des Vergangenen uneingedenk, die Glut seiner Leidenschaft geteilt hätte, so ist sehr wahrscheinlich, dass ein in seinem Leben so ganz neues Entzücken, eine so plötzliche Freude ihn höchst schädlich aufgeregt haben würde. Die bescheidene