Ihr Gespräch, zwanzigmal durch eine Art gegenseitiger Scheu unterbrochen und zwanzigmal mit Anstrengung beiderseits wieder aufgenommen, erstarb zuletzt in sich selbst. Der alte Christian schlummerte auf seinem Lehnstuhle ein und Albert verließ ihn, um sich nach Consuelo’s Befinden zu erkundigen, welches ihn immer mehr beunruhigte, je mehr man es ihm zu verbergen suchte.
Er irrte länger als zwei Stunden in den Corridoren des Schlosses umher, und fing das Stiftsfräulein und den Kaplan im Vorübergehen auf, um Nachricht von Consuelo zu erhalten. Der Kaplan antwortete ihm stets nur kurz und zurückhaltend; das Stiftsfräulein gab sich, sobald sie seiner ansichtig wurde, eine lächelnde Miene, und fing geflissentlich von anderen Dingen zu reden an, um ihn durch einen Schein von Gleichgültigkeit zu täuschen. Aber Albert bemerkte dennoch, dass sie sich zu beunruhigen anfing, dass sie häufigere Gänge nach Consuelo’s Zimmer machte; es fiel ihm auch auf, dass man kein Bedenken trug, jeden Augenblick die Türen zu öffnen und zu schließen, als ob dieser angeblich ruhige und so nötige Schlaf durch das Geräusch und Hin- und Hergehen nicht zu stören gewesen wäre. Er wagte sich bis an das Zimmer selbst, in welches er für sein Leben gern nur einen Augenblick eingetreten wäre. Man gelangte durch ein Vorgemach hinein und zwei feste Türen trennten es vom Corridor, welche weder dem Ohre noch dem Auge Zugang verstatteten.
Wenceslawa, die seine Versuche merkte, hatte alles verschlossen und verriegelt und ging zu der Kranken nur durch Amaliens Zimmer, wo Erkundigung zu holen Albert sich schwerlich überwinden konnte. Da sie ihn endlich ganz ungeduldig werden sah und einen Rückfall seines Übels fürchtete, entschloss sie sich, ihn zu belügen; und Gott in ihrem Herzen um Verzeihung bittend, erzählte sie ihm, es ginge mit der Kranken schon viel besser und sie hätte sich vorgenommen, herunter zu Tische zu kommen.
Albert setzte kein Misstrauen in das Wort seiner Tante, deren reine Lippen noch nie wie eben jetzt die Wahrheit offenbar verraten hatten, und ging zu dem alten Grafen, während er im Stillen sehnlich die Stunde herbeiwünschte, die ihm Consuelo und sein Glück wiedergeben sollte.
Aber die Stunde schlug vergebens; Consuelo erschien nicht. Das Stiftsfräulein, mit schnellem Fortschritt in der Kunst zu lügen, berichtete, sie wäre aufgestanden, hätte sich aber doch noch etwas schwach gefühlt und zöge es vor, auf ihrer Stube zu essen. Man trieb die Verstellung so weit, dass man einiges von den besten Gerichten auswählte und hinaufschickte. Diese Künste siegten über Albert’s Angst. Er war zwar äußerst niedergeschlagen und als ahnte er ein unerhörtes Unglück, aber er bezwang sich und gab sich Mühe, ruhig zu scheinen.
Am Abend kam Wenceslawa mit einer Heiterkeit, die fast wirklich nicht verstellt war, und sagte, die Porporina wäre wieder wohl, sie hätte keine Hitze mehr, ihr Puls wäre mehr schwach als voll, und sie würde gewiss ganz herrlich schlafen.
– Aber was macht mich nur starr vor Schreck, ungeachtet dieser erfreulichen Nachrichten? fragte sich der junge Graf, als er zur gewohnten Stunde seinen Angehörigen gute Nacht wünschte.
Die Sache war, dass das gute Stiftsfräulein, das ungeachtet seiner Magerkeit und Verwachsenheit niemals krank gewesen war, von Krankheiten nicht das geringste verstand. Sie hatte gesehen, wie Consuelo von flammender Röte zu einer bläulichen Blässe überging, wie das aufgeregte Blut in den Adern stockte, und die Brust, zu beengt, um sich in der Anstrengung des Atmens zu heben, still und unbeweglich schien. Sie hatte sie in diesem Augenblicke für hergestellt gehalten und sich beeilt, die gute Nachricht mit kindischer Zuversicht den anderen zuzutragen.
Aber der Kaplan, der etwas mehr von der Sache verstand, sah wohl ein, dass diese scheinbare Ruhe der Vorläufer einer heftigen Krise sein würde. Sobald Albert sich entfernt hatte, sagte er zu dem Stiftsfräulein, es sei nun Zeit, den Arzt holen zu lassen. Zum Unglück war es weit bis zur Stadt, die Nacht finster, der Weg abscheulich, und Hans, ungeachtet seines Diensteifers, sehr langsam. Es fing zu stürmen an und der Regen floss in Strömen herab. Der alte Gaul, den der alte Hausdiener ritt, scheute und strauchelte wohl zwanzigmal und verlief sich zuletzt im Walde mit seinem furchtsamen Reiter, der jeden Hügel für den Schreckenstein und jeden Blitz für den Flammenschweif eines bösen Geistes ansah. Es wurde Tag, ehe sich Hans wieder auf den Weg fand, und er ließ nun sein Tier austraben, so gut es konnte. Er erreichte die Stadt und fand den Doctor noch im besten Morgenschlafe; dieser wurde geweckt, zog sich gemächlich an und machte sich auf den Weg. Mit dem allen hatte man vierundzwanzig Stunden verloren.
Albert versuchte es, zu schlafen; umsonst! eine peinigende Unruhe und das Geheul des Sturms hielten ihn die ganze Nacht wach. Er wagte nicht, hinunterzugehen, aus Furcht, seiner Tante wieder Anstoß zu geben, die ihm schon am Morgen über die Unschicklichkeit, sich so zu der Wohnung der beiden Demoiselles zu drängen, den Text gelesen hatte; er ließ seine Tür offen stehen und hörte mehrmals in dem untern Stockwerke gehen. Er rannte zur Treppe, aber da er niemand sah und nichts mehr hörte, so zwang er sich, ruhig zu bleiben und das täuschende Geräusch, das ihn erschreckt hatte, dem Wind und Regen beizumessen.
Seit Consuelo es ihm befohlen hatte, wachte er über seine Vernunft, über seine geistige Gesundheit mit Geduld, mit Festigkeit. Er bekämpfte Unruhe und Angst und suchte über seine Liebe Herr zu werden durch die Macht seiner Liebe selbst.
Plötzlich aber dringt durch das Rollen des Donners und das Krachen des unter der Gewalt des Sturms ächzenden Gebälks hindurch ein langer, schneidender Schrei zu ihm auf, der ihm das Herz durchbohrt.
Albert, der sich angekleidet auf das Bett geworfen hatte, Willens einzuschlafen, springt empor, stürzt hinaus, wie ein Pfeil die Treppe hinab und klopft an Consuelo’s Tür. Alles still, es öffnet niemand.
Albert glaubte wiederum, geträumt zu haben, als ein zweiter Schrei, noch gellender, noch schrecklicher als der erste, ihm das Herz zerreißt. Er besinnt sich nicht, rennt durch einen dunkeln Corridor, erreicht und schüttelt Amaliens Tür, seinen Namen nennend. Er hört einen Riegel vorschieben und Amaliens Stimme ruft ihm gebieterisch zu, sich zu entfernen.
Inzwischen verdoppelt sich das Schreien und Wimmern: es ist Consuelo’s Stimme in der fürchterlichsten Fieberangst. Er hört seinen Namen sich verzweiflungsvoll dem angebeteten Munde entwinden.
Wütend wirft er sich auf die Tür, sprengt Schloss und Riegel, Amalien, die die gekränkte Schamhafte spielen will, weil sie sich im Damastschlafrock