Ja: konstatieren, protokollieren – wie Sie wollen, Herr X.
Und ich konstatiere und protokolliere, daß ich heute ein Täubchen getötet habe ...
Die Atmosphäre war so mit Elektrizität überladen, daß um ihn her ein Meer von Feuer zu schwanken schien.
Und er ging, eingehüllt in den wilden Sturm; er ging und grübelte.
Und mitten in diesem Zorn des Himmels ging er selbst als eine zürnende, unheimliche Macht einher, ein Satan, auf die Erde geschickt mit einer Hölle von Qualen, neue schaffende Zerstörung über sie auszusäen.
Plötzlich blieb er vor der Schlucht stehen.
Sie war ganz mit Wasser gefüllt. Ein Gießbach schien entsprungen zu sein und strömte reißend dem See zu.
Umgehen konnte er ihn nicht; da würde er auf die verfluchte Landstraße kommen.
Übrigens ist es ja gleichgültig: bißchen mehr Wasser, bißchen mehr Schüttelfrost und Fieber: nein, das tut nichts.
Das tut alles nichts. Alles ist gleichgültig; ganz, ganz gleichgültig.
Und er watete durch den Gießbach.
Das Wasser reichte ihm bis über die Knie.
Als Falk nach Hause kam und sich zu Bette legte, fiel er in ein heftiges Delirium; die ganze Nacht lag er und warf sich hin und her in den wüstesten Fieberphantasien.
XII.
Falk wachte gegen Mittag auf. Er konnte seinen Kopf nicht aus den Kissen heben; er war schwer wie eine Bleikugel, und sprühende Funken tanzten vor seinen Augen.
Mühsam schob er die Kissen zurecht, setzte sich schließlich hoch, und versuchte einen Gegenstand ins Auge zu fassen.
Es gelang ihm.
Aber eine furchtbare Zwangsidee legte sich auf seinen Organismus. Er war wie hypnotisiert: er mußte Marit etwas sagen.
Was?
Er wußte es nicht.
Aber es war etwas; er mußte um jeden Preis hin zu ihr, er mußte ihr etwas sagen.
Mit übermenschlicher Anstrengung kroch er aus dem Bett.
Ja, er mußte etwas sagen.
Er kontrollierte sich.
Das war gewiß eine Zwangsidee. Ja. Aber trotzdem: er mußte hin zu Marit.
Er stand auf, mußte sich aber wieder setzen.
Die Sohlen berührten die Diele. Eine wohltuende, beinahe schmerzhafte Kälte prickelte durch seinen Körper.
Oh, wie gut das war!
Ein wenig Luft mußte er noch haben, ein wenig Morgenluft. Ja, wie spät war es eigentlich?
– So spät, so spät; aber es wird wohl kühl sein draußen. War wirklich ein Gewitter gewesen? oder hat er es nur geträumt?
Seine Kleider lagen in einer Wasserlache auf dem Boden.
Eine große Angst ergriff ihn.
– Nein, nein: die Mutter kann es nicht gesehen haben, sonst lägen die Sachen nicht hier.
Er fühlte sich kräftiger, ging an den Kleiderschrank und tauschte den Anzug.
Gott, Gott, wie der Kopf ihm schmerzte.
Mühsam zog er sich an.
Wie ein Dieb schlich er sich an die Tür des Zimmers, das die Mutter bewohnte.
Sie war nicht da!
Falk atmete auf. Es tat ihm weh.
– Nur das eine sagen ... Marit sagen ... dann werd ich wieder ins Bett kriechen ... dann kann ich krank sein. Aber nur sagen.
Er ging hinaus.
Als Marit ihn sah, sprang sie bestürzt auf.
Falk lächelte gezwungen.
– Nein; es ist nichts; ich habe mich nur ein wenig in der Nacht erkältet. Ich habe ein wenig Fieber. Übrigens sollte ich zu Hause geblieben sein. Aber ich mußte durchaus her zu dir. Ich weiß nicht, warum. Gib nur schnell etwas Cognac ...
Er trank hastig ein großes Glas Cognac aus.
– Siehst du; ich bin aufgestanden; es ging so furchtbar schwer. Aber wenn ich auf dem Totenbette läge, hätte ich zu dir gemußt. Oh: Der Cognac hat sehr gut getan. Er setzt die Temperatur herunter. Das ist nämlich meine stehende Redensart. Ich begreife nur nicht: warum nicht liegende?
Falk fing an zu faseln, aber er beherrschte sich wieder.
Marit sah ihn entsetzt an.
– Nein, nein, laß mich; siehst du, es ist so schrecklich unheimlich, was für ein Tier so ein Übermensch ist. Ich bin nämlich ein Übermensch. Das verstehst du doch? Da bekomme ich plötzlich wahrscheinlich im Schlafe so Eingebungen. Ich erwache: ich weiß nichts von der ganzen Geschichte; ich erinnere mich nur an das Endergebnis. Nein; ich erinnere mich nicht; denn ich weiß nicht, ob ich etwas ähnliches geträumt habe; aber ich weiß, daß ich zu dir kommen mußte. Ich bin krank; sehr krank. Aber ich mußte zu dir.
Wieder verließen ihn die Kräfte.
Eine Feuergarbe sah er vor seinen Augen, eine rötlich grüne Feuergarbe; sie spaltete sich in sieben Blitze und zerfetzte eine Weide.
Marit starrte ihn an, in wachsender Verzweiflung.
– Erik mein Gott, was ist dir? Du bist krank – du mußt nach Hause zurück – o Gott, Gott, was starrst du mich so gräßlich an?
– Nein, laß nur. Am Wege steht eine Weide; sie ist in zwei Teile gespalten; als ich ging – zu dir –ja, zu dir – nicht wahr, ich bin doch bei dir? Ja richtig: als ich zu dir ging, da habe ich die Weide untersucht und in dem Stamm nach dem Donnerkeil gesucht. Das tat ich immer als Kind.
Ein Blitz, tausend Blitze töteten das Täubchen.
Aber, was ich dir sagen wollte. Ich muß dir nämlich etwas sagen. Gieß mir noch Cognac ein.
– Erik, ums Himmelswillen, du mußt nach Hause! Ich werde sofort anspannen lassen. Ich bringe dich nach Hause.
Marit lief hinaus ...
– Was er doch sagen mußte ... mußte?!
Täubchen und Blitze ... dann Haus, Traum ... Leben ... Zerstörung ... Ja! Zerstörung! Er – ein Sturmorkan – ein Übermensch – der über Leichen schreitet – und Leben zeugt.
Ja, ja: zerstören ... Zerstören!
Eine wilde, jauchzende Grausamkeit wuchs in ihm empor; eine freudige, wahnsinnige Lust zur Qual. Das mußte er sehen! ja: das, wie der Frosch sich unter seinem Skalpell wand, wie er an den vier Nägeln bis an die Nagelköpfe hinaufrutschte. Dann das Herz herausschneiden ... Wie es auf dem Tische zuckt, wie es springt!
Vor Falks Augen fingen die Gegenstände an zu tanzen.
Marit stand vor ihm, reisefertig, in ratloser Angst.
– Komm, Erik; komm! mein Einziger, komm!
Sie küßte ihn auf die Augen.
– Noch ... noch einmal ... Er bettelte wie ein kleines Kind.
– Komm jetzt! Komm, mein süßer, einziger Mann du.
– Nein – noch – laß! ich muß dir etwas sagen. Da setz dich hin – mir gegenüber – auf den Stuhl.
So, Marit, hör mal: Ich bin garnicht dein Mann, ich bin verheiratet. Ja, wirklich: verheiratet.