Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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Sie sind ein furchtbarer Mensch.

      – Bin ich? fragte Falk gedehnt; nein, was Sie sagen.

      – Ja, Sie brauchen nicht zu spotten. Sie haben mir alles genommen. Ich kann nicht mehr beten. Fortwährend muß ich an die furchtbaren Worte denken, die Sie mir gesagt haben. Ich kann nicht mehr denken, immer höre ich Sie in mir sprechen. Sehen Sie: Sie haben mir die Religion, Sie haben mir die Scham genommen ...

      – Nun, dann kann ich wohl gehen ...

      – Nein, Erik, sein Sie gut, tun Sies nicht mehr; es quält mich so schrecklich. Tun Sie, was Sie wollen; höhnen Sie, spotten Sie; nur das nicht mehr – verlangen Sie es nicht mehr von mir.

      Das kleine Kindergesicht war so vergrämt; ein schwerer Kummer sprach aus ihm, daß Falk unwillkürlich tiefes Mitleid empfand.

      Er stand auf, küßte ihr schweigend die Hand und ging im Zimmer auf und ab.

      – Gut, Marit; ich werde gut sein. Nur das Eine, Einzige: nenne mich Du. Siehst du, wir stehn uns doch so nah; wir sind am Ende wie Bruder und Schwester zu einander – du wirst es tun, nicht wahr?

      Falk blieb vor ihr stehen.

      – Ja, sie wolle versuchen, ob sie es fertig bringe.

      – Denn siehst du, Marit: ich kann mir wirklich nicht helfen: ich liebe dich so, daß ich völlig von Sinnen bin. Siehst du, den ganzen Tag geh ich herum, nur mit dem Gedanken an dich. In den Nächten kann ich nicht schlafen. Ja, ich gehe herum, wie ein drehkrankes Schaf. Na, und dann: was soll ich tun? Ich muß selbstverständlich trinken gehen, um mich zu beruhigen. Dann sitz ich unter diesen blödsinnigen Menschen in der Kneipe und höre sie das dumme Zeug reden, bis ich körperlichen Schmerz empfinde, und dann geh ich weg, und dann von neuem dieselbe Qual, dieselbe Unruhe ...

      Nein, mein Täubchen, du kannst nichts dafür; ich weiß. Ich mache dir auch keine Vorwürfe; aber du zerstörst mich einfach.

      Ja, ich weiß. Ich weiß, du könntest mir alles geben; alles. Nur das Eine, Einzige, das die Größe der Liebe ausmacht, das überhaupt ein Unterpfand der Liebe ist: nur das nicht.

      Ja, siehst du, du kannst reden, was du willst, aber wir stehen hier einfach vor dem einzigen Dilemma: Ist die Liebe nicht groß, dann hat sie selbstverständlich Vorbehalte, Bedingungen, Voraussetzungen. Ist die Liebe groß, d. h. ist sie wirklich Liebe – denn das andere ist keine Liebe: eine Liebschaft, eine Neigung, was du willst, nur keine Liebe – also, ich meine: ist Liebe Liebe, dann kennt sie keine Vorbehalte, keine Skrupel, keine Scham. Sie gibt einfach alles. Sie ist vernunftlos, skrupellos. Sie ist weder erhaben, noch niedrig. Sie hat keine Verdienste noch Makel. Sie ist eben Natur; groß, gewaltig, machtvoll, wie die Natur selbst.

      Falk kam in Stimmung.

      Ja, ich liebe unendlich diese Naturen, diese kühnen, mächtigen Gewaltnaturen, die alles niederreißen, zertreten, um dahin zu gehen, wohin sie die Instinkte stoßen, denn dann sind sie wirklich Menschen; das Innerste, das große Heiligtum der Menschheit sind die starken, mächtigen Instinkte.

      O, ich liebe diese Adelsmenschen, die Mut genug und Würde haben, ihren Instinkten zu folgen; ich verachte unendlich die Schwachen, die Moralischen, die Sklaven, die keine Instinkte haben dürfen!

      Er blieb vor ihr stehen; sein Gesicht kleidete sich in ein höhnendes, schmerzliches Lächeln.

      – Mein gutes, teures Kind; ein Adlerweibchen wollt ich haben, mit mir in meine wilde Einsamkeit hinauf, und bekam ein Täubchen, das noch obendrein verrostete blödsinnige Moral-Fußketten an hat; eine Löwin wollt ich und bekam ein ängstliches Kaninchen, das beständig tut, als sehe es den aufgesperrten Rachen einer Riesenschlange vor sich.

      Nein, mein Täubchen, mein Kaninchen – Falk lachte höhnisch – hab keine Angst; ich werde dir nichts tun.

      Marit brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus.

      – Marit! um Gotteswillen, weine nicht! Herrgott, weine nicht! Ich werde ganz verrückt, wenn du so weiter weinst! Ich wollte dir nicht wehtun, aber alles zittert, stöhnt in mir – nach dir, nach dir, mein süßer, heiliger Liebling.

      Marit schluchzte unaufhörlich.

      – Nein, Marit, laß! Ich werde dir so wunderbare Dinge erzählen. Ich werde dir alles geben. Ich werde nun so gut, so gut sein.

      Falk kniete hin; er küßte ihr das Kleid, die Arme, er nahm ihr die Hände vom Gesicht, küßte ihr die Tränen von den Fingern leidenschaftlich.

      – Weine nicht – weine nicht!

      Er umschlang sie, zog sie an sich, küßte ihr die Augen, preßte ihr Gesicht in seine Arme, streichelte und küßte ihren blonden Kopf.

      – Mein teures, süßes Kind – mein einziger Liebling – mein ...

      Sie preßte sich an ihn; ihre Lippen fanden sich in einem langen, wilden, ächzenden Kuß.

      Sie riß sich endlich los.

      Falk stand auf.

      – Nun ist alles gut! Lach mir ein bißchen! lach, mein Liebling, lach.

      Sie versuchte zu lächeln.

      Falk schien sehr lustig zu sein; er erzählte eine Menge Anekdoten, machte gute und schlechte Witze, plötzlich trat eine Pause ein. Eine schwüle Unruhe schwoll wie eine Luftwelle an und schien das ganze Zimmer zu erfüllen. Beide sahen sich scheu in die Augen und atmeten schwer.

      Es dunkelte. Ein Dienstmädchen kam und rief Marit weg.

      Falk stierte ihr nach.

      In seiner Seele empfand er plötzlich eine gierige Grausamkeit. Es war da etwas Hartes, Verbissenes; es war da ein Stein, der rollte, der wußte, daß er in einen Abgrund stürzt, aber der wußte, daß er fallen muß.

      Es wurde dunkler und dunkler im Zimmer; die kurze Dämmerung färbte alles ringsum mit schweren, schwimmenden Schatten.

      Der Himmel war bewölkt; es war unerträglich schwül.

      Falk stand auf und ging unruhig auf und ab. Marit blieb so lange aus!

      – Bitte zu Tisch!

      Falk schrak auf. Mitten in sein Grübeln war die Stimme gefallen, wie losgerissen vom Körper; eine Stimme, schwebend in der Luft und plötzlich lautbar.

      – Nein, du darfst mich nicht so erschrecken, liebe Marit ... ja, ich bin doch beinah zu nervös.

      Er nahm Marits Arm und preßte ihn an sich; sie küßten sich.

      – Sst ... Mein Bruder ist auch da.

      Bei Tisch erzählte Falk wieder; weder er noch Marit konnte etwas essen. Umso eifriger aß der kleine Bruder, dabei ganz in seinen Katechismus versunken. Sie ließen ihn bald allein.

      Sie kamen wieder in den Salon zurück. Auf dem Tisch brannte die Lampe und füllte das Zimmer mit Licht.

      – Ob sie nicht einen Lampenschirm habe? Er könne das brutale Licht nicht vertragen.

      Marit brachte den Schirm.

      Das Gespräch stockte fortwährend.

      – Du darfst mir nicht übel nehmen, Marit, wenn ich heute länger bei dir bleibe. Ich kann ja doch nicht schlafen; und dann, weißt du, wenn ich so allein bin ... hm ... Ich störe dich doch nicht?

      Marits Gesicht färbte sich mit hektischer Röte. Sie konnte nicht sprechen; sie nickte ihm nur zu.

      Sie saßen eine Weile schweigend. Das ganze Dorf schlief. Das große Haus war wie ausgestorben. Das Gesinde hatte sich schon zur Ruhe gelegt. Die Schwüle war fast unerträglich. Eine stickige Ruhe lastete auf beiden, die dumpfe Luft draußen drückte bis ins Zimmer, und das regelmäßige Ticken der Uhr verursachte beinah einen körperlichen Schmerz.

      – Es ist merkwürdig, wie man hier einsam ist; es ist unheimlich. Hast du nicht manchmal Angst, wenn du so ganz allein in diesem großen Hause bist?

      – O ja,