Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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die Erde vergraben möchte.

      – Aber heute fühlst du dich nicht verlassen?

      – Nein!

      Wieder trat eine Pause ein; eine lange, schweratmige Pause.

      – Hör mal, Marit, hast du noch die Gedichte, die ich dir im vorigen Frühling geschrieben habe? Ich möchte sie so gerne wieder lesen.

      – Ja, ich habe sie auf meinem Zimmer; ich werde sie sofort herunterholen.

      – Nein, Marit; ich werde mit hinaufgehen. Es ist viel gemütlicher in deinem Zimmer; so wunderbar gemütlich. Hier ist es so unheimlich, und ich, siehst du, bin sehr, sehr nervös.

      – Ja, aber, es könnte jemand hören, daß du mit gehst; das würde mir schrecklich sein.

      – O, er werde ganz still, ganz leise gehen; kein Mensch solle ihn hören. Übrigens schlafe das ganze Haus.

      Sie sträubte sich noch.

      – Süßes Täubchen, du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Ich werde dir nichts tun – nichts, gar nichts. Ich werde still neben dir sitzen und die Gedichte lesen.

      Es donnerte.

      – Ja, ganz still; und wenn das Gewitter vorbei ist, werd ich ruhig nach Hause gehen ...

      Sie traten in Marits Zimmer; sie fühlten sich wie festgewurzelt. Es war zwischen ihnen eine Atmosphäre, die zu leben schien.

      Plötzlich fühlte sich Marit von ihm umschlungen. Vor ihren Augen quirlten feurige Blasen, wieder sah sie das heiße Jauchzen über dem Abgrund tanzen, sie flocht ihre Arme um ihn und stürzte sich kopfüber in das grausige Glück.

      Auf einmal schrak sie hoch.

      – Nein, Erik! nur das nicht ... Erik, nein! Nein!

      Sie keuchte.

      Falk ließ sie los.

      Er bewältigte sich mühsam.

      Eine lange Pause.

      – Hör mal Marit – seine Stimme klang rauh und hart – nun müssen wir uns trennen. Siehst du, du bist feig. Du bist ein Täubchen, ein Kaninchen; und ich bin ein guter Mensch. Ich bin der gute, liebe Erik. Nun, Marit, du hast nicht den Mut, mir zu sagen: Geh, laß mir mein reines Gewissen, laß mir die blödsinnige Jungfräulichkeit. Diesen Mut hast du nicht. Nun bin ich aber ein Mann; und so geh ich; mag kommen, was will.

      Ja, ich gehe. Ich lasse dir deine Moral, ich lasse dir dein religiöses Gewissen, ich lasse dir deine Jungfräulichkeit, und erspare dir die sogenannte Sünde. Nun sei glücklich; sehr, sehr glücklich ...

      Das Gewitter wurde lauter; im Fenster sah man grüne Furchen von Blitzen.

      Falk wandte sich zur Tür.

      – Erik, Erik, wie kannst du so grausam, so tierisch grausam sein?!

      Der ganze mühsam unterdrückte Jammer ihrer Seele brach empor. Sie krümmte sich vor Schmerz.

      – Erik! Erik! wimmerte sie.

      Falk kriegte eine wahnsinnige Angst.

      Er lief zu ihr, nahm den zuckenden Mädchenkörper in die Arme.

      – Nein, Marit, nein; es ist ja Wahnsinn. Ich bleibe bei dir. Ich werde dich niemals verlassen. Ich kann ja nicht weg von dir. Siehst du, ich glaubte, ich könnte. Aber ich kann nicht. Ich muß bei dir sein; ich muß. Ich werde dich niemals verlassen. Nein, Marit; du mein einziges Glück.

      Der Donner wälzte sich immer näher.

      – Ich bleibe immer bei dir. Immer. Ewig. Du bist mein Weib, meine Braut, alles, alles.

      Eine wüste Inbrunst fing in seinem Kopf zu wirbeln an.

      Und er wiegte sie in seinen Armen hin und her und sprach unaufhörlich von dem großen Glück, und vergaß alles.

      – Ja, ich werde dich glücklich machen ... so glücklich ... so glücklich ...

      Eine Sturzregenwelle klatschte gegen die Fensterscheiben.

      Nun waren sie wirklich allein in der Welt. Der Regen, die Blitze umgitterten sie.

      Marit umschlang ihn.

      – Erik, wie gut, wie gut du bist! Ja: nicht weg! Wir bleiben immer zusammen. Wir werden so glücklich sein.

      – Wir bleiben immer zusammen! wiederholte Falk, wie abwesend.

      Plötzlich kam er zur Besinnung. Wieder fühlte er das Harte, Grausame in sich, den Stein, der in Abgründe stürzt.

      Er preßte sie fester und fester.

      Sie hörten nicht das Donnern, sie sahen nicht das Feuer des Himmels. Alles drehte sich, alles verschmolz zu einer großen, tanzenden Feuerkugel.

      Falk nahm sie ...

      Das Gewitter schien sich verziehen zu wollen. Es war drei Uhr morgens.

      – Nun mußt du gehen!

      – Ja.

      – Aber nicht auf der Landstraße. Du mußt am See entlang gehn und dann über den Klosterzaun klettern. Man könnte dich sonst sehen, und morgen würde die ganze Stadt davon reden.

      Als Falk an den See kam, zog ein neues Gewitter herauf.

      Er sollte sich eigentlich irgendwo unterstellen. Aber er hatte keine Energie dazu. Es war ja übrigens auch gleichgültig, ob er ein bißchen naß würde.

      Der Himmel bedeckte sich mit dickem Gewölk; die Wolken ballten sich zusehends zu schwarzen, hängenden Massen.

      Ein langer, krachender Donner folgte auf einen Blitz, der wie ein glühender Graben den ganzen Himmel auseinanderriß.

      Wieder ein Blitz und Donner, und dann ein Platzregen wie ein Wolkenbruch.

      Im Nu fühlte Falk Wasserströme über seinen Körper schießen. Es war aber kein sonderlich unangenehmes Gefühl.

      Plötzlich sah er eine ungeheure Feuergarbe aus dem Wolkenhaufen spritzen; er sah sie sich in sieben Blitze spalten und im selben Augenblick eine Weide lichterloh in Flammen stehen. Sie war von oben bis unten zerfetzt und fiel auseinander.

      – Leben und Zerstörung!

      Der Schreck hatte seine Logik aufgerüttelt; er mußte auch das Angstgefühl beschwichtigen, das schon wieder in ihm hoch wollte.

      – Ja, freilich, hm: Zerstörung muß es geben.

      Marit ... Ja ... zerstört ...

      Falk hatte plötzlich dieses deutliche, blitzhelle, visionäre Bewußtsein, daß er Marit zerstört habe.

      – Warum auch nicht? Ich bin Natur und zerstöre und gebe Leben. Ich schreite über tausend Leichen: weil ich muß! Und ich zeuge Leben über Leben: weil ich muß!

      Ich bin nicht Ich. Ich bin Du – Gott, Welt, Natur – oder was du bist, du ewiger Blödsinn, ewiger Hohn.

      Ich bin kein Mensch. Ich bin der Übermensch: gewissenlos, grausam, herrlich und gütig. Ich bin Natur: ich habe kein Gewissen, sie hat es nicht ... ich habe keine Barmherzigkeit, sie hat keine ...

      – Ja: der Übermensch bin ich.

      Falk schrie die Worte.

      Und er sah sich als die tödliche Feuergarbe, die da aus dem schwarzen Gewölk gespritzt war: in sieben Blitze hatte er sich gespalten und ein Täubchen am Wege zerfetzt. In tausend Blitze müsse er sich noch spalten und noch tausend Täubchen, tausend Kaninchen zerreißen, und so werde er ewig gehen und zeugen und töten.

      Weil es nötig ist.

      Weil ich muß.

      Weil meine Instinkte es wollen.

      Weil ich ein Nicht-Ich bin, ein Übermensch.

      Braucht man sich darum zu quälen?

      Lächerlich!