Eigentliche Heldengesinnung sucht man in den meisten klassischen Schriften (ganz im Gegensatz zu den alten echten Dokumenten und Monumenten) vergebens. Die überlieferte Ansicht des Konfuzius geht dahin: daß Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit sei und ein unangebrachtes Einsetzen seines eigenen Lebens dem Weisen nicht zieme. Die tiefe Befriedung des Landes zumal seit der Mongolenherrschaft hat diese Stimmung sehr gesteigert. Das Reich wurde nunmehr ein Reich des Friedens. »Gerechte« Kriege gab es in seinen Grenzen, da es ja als Einheit galt, nach Mencius überhaupt nicht. Die Armee war im Verhältnis zu seinem Umfang schließlich geradezu winzig geworden. Daß die Kaiser nach Loslösung der Literatenschulung vom Zusammenhang mit der ritterlichen Bildung neben den literarischen Staatsprüfungen auch sportliche und literarische Wettkämpfe um Militärdiplome[251] beibehielten – deren Erlangung übrigens seit langem mit der wirklichen Militärkarriere in fast keinem Zusammenhang mehr stand[252] –, hatte daran nichts geändert, daß der Militärstand ebenso verachtet blieb wie in England seit zwei Jahrhunderten, und daß ein literarisch Gebildeter mit Offizieren nicht auf gleichem Fuß verkehrte[253].
Der Mandarinenstand, aus deren Mitte sich alle Klassen der chinesischen Zivilbeamten rekrutierten, war in der Zeit der Einheitsmonarchie eine Schicht diplomierter Pfründenanwärter geworden, deren Amtsqualifikation und Rang nach der Zahl der bestandenen Prüfungen sich richtete. Diese Prüfungen gliederten sich in drei Hauptstufen[254], welche jedoch zufolge der Zwischen-, Wiederholungs- und Vorprüfungen, sowie der zahlreichen Sonderbedingungen um ein vielfaches vermehrt wurden: es gab allein zehn Arten von Prüflingen ersten Grades. »Wieviel Examina er bestanden habe?«, war die Frage, welche an einen Fremden, dessen Rang unbekannt war, gestellt zu werden pflegte. Nicht: wieviele Ahnen man hatte, bestimmte also – trotz des Ahnenkults – den sozialen Rang. Vielmehr genau umgekehrt: vom eigenen amtlichen Rang hing es ab, ob man einen Ahnentempel (oder, wie die Illiteraten, nur eine Ahnentafel) haben und wieviel Ahnen darin erwähnt werden durften[255]. Selbst der Rang eines Stadtgottes im Pantheon hing von dem Rang des Mandarinen der Stadt ab.
Der konfuzianischen Zeit (6./5. Jahrh. n. Chr.) war diese Möglichkeit des Aufstiegs zu Beamtenstellen und vollends das Prüfungswesen noch unbekannt. Die »großen Familien« waren, wie es scheint, in den Feudalstaaten zum mindesten in aller Regel im Besitz der Macht. Erst die Han-Dynastie, – selbst durch einen Parvenü begründet, – stellte den Grundsatz der Verleihung der Aemter nach der Tüchtigkeit auf. Und erst die Tang-Dynastie schuf (690 n. Chr.) das Reglement für die Prüfung höchsten Grades. Es darf – wie schon gesagt – als höchstwahrscheinlich gelten, daß die literarische Bildung, vielleicht von Einzelausnahmen abgesehen, zunächst faktisch und vielleicht auch rechtlich ebenso Monopol der »großen Familien« blieb, wie die vedische Bildung in Indien. Reste davon bestanden bis zuletzt. Die Kaisersippe war zwar nicht von allen Prüfungen, wohl aber von der Prüfung ersten Grades entbunden. Und die Bürgen, welche jeder Prüfungskandidat zu stellen hatte, mußten bis zuletzt auch seine Abstammung aus »guter Familie« bezeugen (was in der Neuzeit nur den Ausschluß der Abkömmlinge von Barbieren, Bütteln, Musikern, Hausdienern, Trägern usw. bedeutete). Aber daneben bestand das Institut der »Mandarinats-kandidaten«: Abkömmlinge von Mandarinen genossen bei der Kontingentierung der Maximalzahl der Prüflinge der Provinzen eine Sonder- und Vorzugsstellung. Die Promotionslisten brauchten die offizielle Formel »aus einer Mandarinenfamilie und aus dem Volk«. Die Söhne verdienter Beamter hatten den untersten Grad als Ehrentitel: alles Reste älterer Zustände.
Wirklich voll durchgeführt seit Ende des 7. Jahrhunderts, war das Prüfungswesen eines der Mittel, durch welche der Patrimonialherrscher die Bildung eines ihm gegenüber geschlossenen Standes, der das Recht auf die Amtspfründen nach Art der Lehensleute und Ministerialen monopolisiert hätte, zu hindern wußte. Seine ersten Spuren scheinen sich in dem später alleinherrschend gewordenen Teilstaat Tsin etwa in der Zeit des Konfuzius (und Huang Kong) zu finden: wesentlich nach militärischer Tüchtigkeit bestimmte sich die Auslese. Indessen schon das Li Ki und Tschou Li[256] verlangen ganz rationalistisch: daß die Bezirkschefs ihre Unterbeamten periodisch auf ihre Moral hin prüfen, um sie danach dem Kaiser zum Avancement vorzuschlagen. Im Einheitsstaat der Han begann der Pazifismus die Richtung der Auslese zu bestimmen. Die Macht des Literatenstandes konsolidierte sich ganz gewaltig, seit es ihm (21 n. Chr.) gelungen war, gegen den populären »Usurpator« Wang mang den korrekten Kuang wu auf den Thron zu erheben und zu erhalten. In den später zu besprechenden wütenden Pfründenkämpfen der Folgezeit schloß er sich ständisch zusammen.
Nachdem die noch heut vom Glanz: der eigentliche Schöpfer von Chinas Größe und Kultur gewesen zu sein, umstrahlte Tang-Dynastie die Stellung der Literaten erstmalig reglementiert und Kollegien für die Ausbildung eingerichtet (7. Jahrhundert), auch das Han lin yüan, die sog. »Akademie«, zunächst zur Redaktion der Annalen für die Gewinnung von Präzedenzien, und an deren Hand: Kontrolle der Korrektheit des Kaisers, geschaffen hatte, wurden nach den Mongolenstürmen durch die nationale Ming-Dynastie im 14. Jahrhundert die, im wesentlichen, abschließenden Statuten erlassen[257]. In jedem Dorf sollte auf je 25 Familien eine Schule gegründet werden. Da sie nicht subventioniert wurde, blieb dies toter Buchstabe, – oder vielmehr: wir sahen früher, welche Gewalten sich der Schule bemächtigten. Beamte wählten die besten Schüler aus und nahmen sie in bestimmter Zahl in die – in der Hauptsache verfallenen, zum Teil neu entstandenen – Kollegien auf. 1382 wurden für diese »Studenten« Reisrente-Pfründen