Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Max Weber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Weber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027212828
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was hier Impotenz, war dort höchste Tugend. Die Edikte der Kaiser selbst über Verwaltungsmaßregeln hatten meist jene lehrhafte Form, welche päpstlichen Bullen des Mittelalters eignet, nur ohne deren dennoch meist vorhandenen präzisen rechtlichen Gehalt. Die bekanntesten von ihnen stellten Kodifikationen von ethischen, nicht von rechtlichen Normen dar und zeichneten sich durch literarische Gelehrsamkeit aus. Noch der vorletzte Kaiser gab z.B. die Wiederauffindung des Dekrets eines entfernten Vorfahren in der Peking Gazette kund, dessen Publikation als Lebensnorm er in Aussicht stellte. Die ganze kaiserliche Verwaltung stand – soweit sie orthodox orientiert war – unter dem Einfluß einer dem Wesen nach theokratischen, etwa einer Kongregation der päpstlichen Kurie entsprechenden Literatenbehörde: der sog. »Akademie« (Han-lin-yuan), der Hüterin der reinen (konfuzianischen) Orthodoxie, die uns mehrfach begegnet ist.

      Die Justiz blieb demgemäß weitgehend »Kadi«-und eventuell »Kabinet«-Justiz[233]. Das war zwar, den unteren Klassen gegenüber, z.B. auch in der Friedensrichterjustiz Englands der Fall. Aber für die kapitalistisch wichtigen Vermögenstransaktionen bestand dort das unter dem stetigen, schon durch die Rekrutierung der Richter aus den Advokaten garantierten, Einfluß der Interessenten geschaffene, nicht rationale, aber berechenbare und der Vertragsautonomie weitgehenden Spielraum gebende Präjudizienrecht mit der ihm entsprechenden Kautelarjurisprudenz. In der patriarchalen chinesischen Justiz war dagegen für Advokaten im okzidentalen Sinn gar kein Platz. Als Anwälte fungierten für die Sippengenossen etwaige literarisch gebildete Mitglieder; sonst fertigte ein Winkelkonsulent die Schriftsätze. Es war eben die in allen spezifischen Patrimonialstaaten, am meisten in den theokratischen oder ethisch-ritualistischen Patrimonialstaaten orientalischen Gepräges, wiederkehrende Erscheinung: daß zwar neben der wichtigsten, aber nicht »kapitalistischen« Quelle der Vermögensakkumulation: der rein politischen Amts- und Steuerpfründe, auch »Kapitalismus«: der Kapitalismus der Staatslieferanten und Steuerpächter, also: politischer Kapitalismus, blühte und unter Umständen wahre Orgien feierte, daß ferner auch der rein ökonomische, d.h. vom »Markt« lebender Kapitalismus des Händlertums sich entwickeln konnte, – daß dagegen der rationale gewerbliche Kapitalismus, der das Spezifische der modernen Entwicklung ausmachte, unter diesem Regime nirgends entstanden ist. Denn die Anlage von Kapital in einem gewerblichen »Betrieb« ist viel zu empfindlich gegen die Irrationalitäten dieser Regierungsformen, und viel zu sehr auf die Möglichkeit angewiesen, das gleichmäßige rationale Funktionieren des staatlichen Apparats nach Art einer Maschine kalkulieren zu können, um unter einer Verwaltung chinesischer Art entstehen zu können. Aber warum blieb diese Verwaltung und Justiz so (kapitalistisch angesehen) irrational? – dies ist die entscheidende Frage. Einige im Spiel befindliche Interessen lernten wir kennen. Aber sie bedürfen der vertieften Erörterung.

      Wie die von materialer Individualisierung und Willkür unabhängige Justiz, so fehlten für den Kapitalismus auch politische Vorbedingungen. Es fehlte zwar nicht die Fehde: – im Gegenteil ist die ganze Geschichte Chinas voll von großen oder kleinen Fehden bis zu den massenhaften Kämpfen der einzelnen Dorfverbände und Sippen. Aber es fehlte, seit der Befriedung im Weltreich, der rationale Krieg und, was noch wichtiger war, der diesen ständig vorbereitende bewaffnete Friede mehrerer miteinander konkurrierender selbständiger Staaten gegeneinander und die dadurch bedingten Arten von kapitalistischen Erscheinungen: Kriegsanleihen und Staatslieferungen für Kriegszwecke. Die partikulären Staatsgewalten des Okzidents mußten um das freizügige Kapital konkurrieren, in der Antike (vor dem Weltreich) sowohl wie im Mittelalter und der Neuzeit. Wie im römischen Weltreich, so fiel das auch im chinesischen Einheitsreich fort[234]. Ebenso fehlten diesem die Uebersee-und Kolonialbeziehungen. Das bedeutete ein Hemmnis für die Entfaltung auch aller derjenigen Arten von Kapitalismus, welcher im Okzident der Antike und dem Mittelalter mit der Neuzeit gemeinsam war: jener Abarten des Beutekapitalismus, wie sie der mittelländische, mit Seeraub verbundene Ueberseehandels-und der Kolonialkapitalismus darstellten. Dies beruhte zum Teil auf den geographischen Bedingungen eines großen Binnenreichs. Aber zum Teil waren, wie wir sahen, die Schranken der Ueberseeausdehnung auch umgekehrt Folge erscheinungen des allgemeinen politischen und ökonomischen Charakters der chinesischen Gesellschaft.

      Der rationale Betriebskapitalismus, dessen spezifische Heimat im Okzident das Gewerbe wurde, war eben außer durch das Fehlen des formal garantierten Rechts und einer rationalen Verwaltung und Rechtspflege und durch die Folgen der Verpfründung auch durch das Fehlen gewisser gesinnungsmäßiger Grundlagen gehemmt worden. Vor allem durch diejenige Stellungnahme, welche im chinesischen »Ethos« ihre Stätte fand und von der Beamten- und Amtsanwärterschicht getragen wurde. Davon zu reden ist unser eigentliches Thema, zu dem wir nunmehr endlich gelangen.

      V. Der Literatenstand.

      In China bestimmte seit zwölf Jahrhunderten, weit mehr als der Besitz, die durch Bildung, insbesondere: durch Prüfung, festgestellte Amtsqualifikation den sozialen Rang. China war das Land, welches am exklusivsten, noch weit exklusiver als die Humanistenzeit Europas oder als zuletzt Deutschland, die literarische Bildung zum Maßstab sozialer Schätzung gemacht hatte. Schon im Zeitalter der Teilstaaten, reichte die literarisch – das hieß zunächst nur: durch Schrift kenntnis – vorgebildete Amtsanwärterschicht, als Träger der Fortschritte zur rationalen Verwaltung und aller »Intelligenz«, durch die sämtlichen Teilgebilde hindurch und bildete – wie das Brahmanentum in Indien – den entscheidenden Ausdruck der Einheitlichkeit der chinesischen Kultur. Solche Gebiete (auch: Enklaven) welche nicht nach dem Muster der orthodoxen Staatsidee von literarisch geschulten Beamten verwaltet wurden, galten der Staatstheorie als heterodox und barbarisch, ganz ebenso wie die nicht von Brahmanen reglementierten Stammesgebiete innerhalb des Gebietsbereichs des Hinduismus diesem, oder wie die nicht als Polis organisierten Landschaften dem Hellenen dafür galten. Diese zunehmende bureaukratische Struktur der politischen Gebilde und seiner Träger hat auch den Charakter der ganzen literarischen Ueberlieferung geprägt.

      Die – mit Unterbrechungen und unter oft heftigen Kämpfen, aber doch stets erneut und stets zunehmend – herrschende Schicht in China sind und waren, endgültig seit reichlich zweitausend Jahren, die Literaten. Sie, und nur sie, redete, 1496 nach der Annalistik zum erstenmal, der Kaiser mit »meine Herren« an[235]. Es ist nun von unermeßlicher Wichtigkeit für die Art der Entwicklung der chinesischen Kultur gewesen, daß diese führende Intellektuellenschicht niemals den Charakter der Kleriker des Christentums oder Islam, auch nicht der jüdischen Rabbinen, auch nicht der indischen Brahmanen oder der altägyptischen Priester oder der ägyptischen oder indischen Schreiber gehabt hat. Sondern daß sie herausgewachsen ist zwar aus ritueller Schulung, doch aber aus einer vornehmen Laien bildung. Die »Literaten« des Feudalzeitalters, damals offiziell: puo tsche, »lebendige Bibliotheken«, genannt, waren zwar vor allem Kenner des Rituals. Aber im Gegensatz zu Indien waren sie weder aus Priesteradelsgeschlechtern (wie die Rischi-Sippen des Rigveda) noch aus einer Zauberergilde (wie, wahrscheinlich, die Brahmanen des Atharva-Veda) hervorgegangen, sondern, wenigstens dem Schwerpunkt nach, Abkömmlinge, meist wohl jüngere Söhne, feudaler Familien, welche sich literarische Bildung, vor allem: Schriftkunde, angeeignet hatten und deren soziale Stellung auf dieser Schrift-und Literaturkunde beruhte. Die Schriftkunde konnte sich – wenn auch bei dem chinesischen Schriftsystem nur schwer – auch ein Plebejer aneignen, und dann nahm er an dem Prestige des Schriftgelehrtentums teil: es ist schon in der Feudalzeit die Literatenschicht kein erblicher Stand und nicht exklusiv gewesen, im Gegensatz zu den Brahmanen. Im Gegensatz zur wedischen Bildung, welche bis tief in historische Zeiten auf der Ueberlieferung von Mund zu Mund beruhte und die schriftliche Fixierung der Tradition, wie alle zunftmäßige Kunst von Berufsmagiern dies zu tun pflegt, geradezu perhorreszierte, reicht die Schriftlichkeit der Ritualbücher, des Kalenders und der Annalistik in China in vorgeschichtliche Zeiten zurück[236]. Schon der ältesten Ueberlieferung galten die alten Schriften als magische Objekte[237] und die Schriftkundigen als Träger magischen Charismas. Und, wie wir sehen werden, ist dies so geblieben. Aber nicht das Charisma magischer Zauberkraft, sondern die Schrift- und Literaturkenntnis als solche, daneben ursprünglich vielleicht astrologische Kenntnisse,


<p>233</p>

Noch in den letzten Jahrzehnten hatten sich kaiserliche Reskripte damit zu befassen, daß die Richter die Prozesse auf Grund von Privatbriefen einflußreicher Persönlichkeiten entschieden (Peking Gazette vom 10. 3. 94). Die Endlosigkeit der Prozesse war derart, daß kaiserliche Reskripte ungünstige Witterungsverhältnisse nebst der dadurch herbeigeführten Dürre und die Vergeblichkeit der Gebete darauf zurückführten (Peking Gazette vom 9. 3. 99). Irgendwelche sicheren Rechtsgarantien fehlten völlig. Welchen antagonistischen Parteiintriguen im Beamtentum überdies die Gründung einer Fabrik ausgesetzt war, lassen kaiserliche Reskripte (Peking Gazette vom 4. 3. 95) zwischen den Zeilen lesen.

<p>234</p>

Diesen wichtigen Grund für den Zusammenbruch des (politisch orientierten) Kapitalismus hat inzwischen, soviel ich weiß, nur J. Plenge (auf Grund eigener Gedankengänge) gelegentlich (ich kann die Stelle im Augenblick nicht finden) so erwähnt, daß es fraglos ist, daß er seine Bedeutung weitgehend erkannt hat.

<p>235</p>

Yu tsiuan tung kian kang mu, Gesch. der Ming von Kaiser Khian Lung, h. a. (p. 417).

<p>236</p>

Dies bestreitet zwar eine so bedeutende Autorität wie v. Rosthorn, The Burning of the Books (im Journal of the Peking Oriental Society, Vol. IV, Peking 1898, p. 1 ff.). Er glaubt an mündliche Ueberlieferung der heiligen Texte bis in die Han-Zeit, also so wie sie im älteren Indien tatsächlich ausschließlich herrschte. Dem Außenstehenden kommt kein Urteil zu, und es darf vielleicht nur das gesagt werden: daß wenigstens die Annalistik nicht auf mündlicher Ueberlieferung beruhen kann und, wie die Nachrechnung der Sonnenfinsternisse ergibt, bis ins 2. Jahrtausend zurückgeht. Ebensowenig würde damit – wenn man nämlich diese Ansicht des hervorragenden Kenners über die rituelle (und doch wohl: die in poetische Form gebrachte) Literatur hinaus erstrecken würde – sehr vieles, was sonst über die Archive der Fürsten und die Bedeutung der Schrift und der Schriftlichkeit des Verkehrs der Literaten (nach der üblichen Annahme: zuverlässig) berichtet ist, vereinbar sein. Indessen können hier natürlich nur die sinologischen Fachleute das letzte Wort sprechen und eine »Kritik« seitens eines Nichtfachmanns wäre eine Anmaßlichkeit. Das Prinzip der strikt mündlichen Tradition hat fast überall nur für charismatische Offenbarung und charismatische Kommentierung dieser gegolten, nicht für Poesie und Didaktik. Das sehr hohe Alter der Schrift als solcher tritt nicht nur in ihrer bildhaften Form, sondern auch in ihrer Anordnung hervor: die senkrechten, durch Linien geteilten Kolumnen wiesen noch spät auf den Ursprung aus nebeneinandergelegten gekerbten Bambus stock-Scheiben zurück. Die ältesten »Kontrakte« waren Bambuskerbhölzer oder Knotenschnüre; – die Ausfertigung jedes Kontrakts und aller Akten in je 2 Exemplaren gilt wohl mit Recht als Rest davon (Conrady).

<p>237</p>

Dies erklärt auch die Stereotypierung der Schrift in einem entwicklungsgeschichtlich so überaus frühen Stadium und wirkt also noch heute nach.