Aber in den beiden Jahrtausenden seit Schi Hoangti waren die Bodenbestellungspflicht aller »ting«, d.h. aller Arbeitsfähigen, und daher auch Fronpflichtigen, und die Fron- und Steuerhaftungsgemeinschaften der Sippen und der aus ihnen gebildeten Zehnschaften, das Bodenbesitzmaximum und das Recht der Umsiedelung immerhin nicht bloße Theorie, sondern gelegentlich recht fühlbare Realitäten gewesen. Soweit die Steuer und die Fronlasten auf die Familien umgelegt wurden[175] – und dies war, sahen wir, tatsächlich immer wieder der Fall, weil die Schaffung eines Bodenkatasters überaus schwierig schien – begünstigte, ja erzwang der Fiskus mit aller Macht Familien teilungen, um die Zahl der Pflichtigen nach Möglichkeit zu erhöhen. Auf die Entstehung der für China typischen Zwerg betriebe dürfte das von erheblichem Einfluß gewesen sein. Aber sozial angesehen, hatte die Wirkung ihre feste Grenze.
Alle diese Maßregeln hemmten zwar die Entstehung von größeren Betriebs einheiten. Aber sie förderten – dem tatsächlichen Ergebnis nach – das Zusammenhalten der altbäuerlichen Sippen als Träger des Bodeneigentums (oder, soweit ein Bodenregal in Anspruch genommen wurde, des Bodennutzungsrechts): die Sippen[176] waren die tatsächlichen Kaders für die Haftungsverbände[177]. Alle Versuche, wirkliche Besitzgleichheit im Sinne des Nadjel-Prinzips zu schaffen, scheiterten immer aufs neue an den völlig unzulänglichen Verwaltungsmitteln. Und die letztlich rein fiskalisch motivierten »staatssozialistischen« Experimente des 11. Jahrhunderts und einzelner späterer Herrscher hinterließen offensichtlich nur eine intensive Abneigung gegen alle und jede Intervention der zentralistischen politischen Gewalten, in der sich die lokalen Amtspfründner mit allen Bevölkerungsschichten zusammenfanden. Das entscheidende Verlangen der Zentralregierung (z.B. im 10. Jahrhundert): daß nicht feste Pauschalien, sondern alle Ueberschüsse der Auflagen (Fronden und Steuern) über den Lokalbedarf zu ihrer Verfügung zu stehen hätten, ist nur durch ungewöhnlich energische Kaiser zeitweise effektiv durchgeführt worden, kollabierte immer wieder und wurde – wie erwähnt – unter den Mandschus schließlich aufgegeben. – Wenigstens einige Seiten dieser fiskalischen Agrarpolitik mögen im Anschluß an das Gesagte noch herausgehoben werden, um das Bild zu vervollständigen.
Eine Sonderstellung innerhalb der Agrarverfassung nahm zunächst die für den Eigenbedarf des Hofs, aber auch für den Außenhandel wichtige Seiden zucht, dann die »nasse« (bewässerte) Reis kultur ein. Die erstere – ein sehr alter Zweig der Gartenkultur und hausgewerblichen Arbeit – wurde in Verbindung mit Obstpflanzungen nach der Annalistik im 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung den bäuerlichen Haushaltungen in bestimmtem Verhältnis zum Landanteil oktroyiert. Die letztere aber dürfte die reale oder doch die ursprüngliche Grundlage des sog. »Brunnen«-Systems sein, welches bei chinesischen Autoren eine Art von Klassizität als eigentlich nationales Landteilungssystem genoß[178]: ein durch Drittelung der Seiten eines Quadrats in 9 Teile zerlegtes Feld, dessen mittelster Teil von den 8 Umliegern für den Fiskus (eventuell: den Grundherren) zu bestellen war. An eine irgendwie universelle Verbreitung ist gar nicht zu denken, – sie stände, abgesehen von der inneren Unwahrscheinlichkeit, mit den annalistisch feststellbaren Daten über die Schicksale des Bodenrechts im Widerspruch. »Abschaffung« des Brunnensystems (so z.B. unter den Tsin im 4. Jahrhundert n. Chr.) – diese wohl identisch mit Ersatz des Systems des »Königsfeldes« überhaupt durch Abgaben – und (zugestandenermaßen erfolglose) »Wiedereinführung« desselben wechselten ab. Fest steht wohl, daß es nur lokal: zweifellos wesentlich bei Bewässerung von Reisfeldern, bestand, allenfalls von da gelegentlich auf Ackerland übertragen worden ist. Jedenfalls war es historisch nicht die agrarische Grundinstitution Chinas, wie zuweilen früher angenommen wurde, sondern eben nur eine auf die nasse Reiskultur gelegentlich angewendete Form des alten Kong-tien-(Königsland-)Prinzips.
Rechtlich nahmen in allem Wechsel der Agrarverfassung die immer wieder geschaffenen lebenslänglichen, aber den Nachkommen im Fall der Eignung und Uebernahme der Pflichten regelmäßig wiederverliehe nen Apanagen- und Lehengüter eine Sonderstellung ein. Teils waren sie offensichtlich Pfründen, welche den Unterhalt der Bewidmeten als Krieger decken sollten: daher die Bestimmung, daß der Betreffende mit 60 Jahren ins Altenteil zu gehen habe (wie beim japanischen inkyo). Diese Militärlehen treten – nach Klassen der Krieger abgestuft – besonders seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. und in der Zeit vom 7.-9. Jahrhundert auf und haben bis in die Ming-Dynastie ihre Rolle gespielt. Erst die Mandschus haben sie verfallen lassen oder vielmehr durch ihre eigenen »Bannerlehen« ersetzt. Ebenso hat es in den verschiedensten Epochen Dienstland für Beamte (statt der Deputate, besonders bei Verfall des Magazinsystems, der Grundlage der Naturaldeputate) gegeben. Teils waren sie plebejische Kleinlehen, belastet mit Leiturgien aller Art (Wasser-, Wege-, Brückenfronden, ganz wie in der Antike: lex agraria von 111, und mehrfach im Mittelalter). Solche Besitzstände sind noch im 18. Jahrhundert neu begründet worden[179].
Im übrigen lassen sich, nach der sog. Schaffung des »Privateigentums« (Schi Hoang Ti), die verschiedensten Wandlungen der Bodenverteilung feststellen. Zeiten starker innerer Unruhen sahen, wie erwähnt,