Aber noch andere und weiter reichende Wirkungen gingen auf diesen Zustand zurück. Zunächst: die Machtstellung der Zentralverwaltung gegenüber den Personen der Beamten wurde allerdings durch das System der Versetzungen auf das wirksamste gesichert. Jeder Beamte war infolge dieser fortwährenden Umschichtungen und des steten Wechsels seiner Chancen der Konkurrent jedes anderen um die Pfründe. Ihre Lage war infolge dieser Unmöglichkeit, ihre persönlichen Interessen zu vereinigen, gänzlich prekär nach oben: die ganze autoritäre innere Gebundenheit dieses Beamtentums hing damit zusammen. Zwar gab es unter den Beamten »Parteien«. Zunächst nach Landsmannschaften und, damit zusammenhängend, nach der überkommenen Eigenart der Schulen, die sie erzogen hatten. Der »konservativen« Schule der nördlichen Provinzen stand in den letzten Jahrzehnten die »fortschrittliche« der mittleren Provinzen und die »radikale« der Kantonesen gegenüber; von dem Gegensatz der Anhänger der Erziehung nach der Methode der Sung gegen die der Han innerhalb eines und desselben Yamen sprachen kaiserliche Edikte noch in dieser Zeit. Indessen infolge des Grundsatzes der Fremdbürtigkeit der Beamten und der steten Versetzung von Provinz zu Provinz und weil überdies die Anstellungsbehörde sorgsam auch darauf hielt, die rivalisierenden Schulen und Landsmannschaften in einem und demselben Amtsbezirk und derselben Aemterstaffelung möglichst zu mischen, konnte sich wenigstens auf dieser Basis kein landsmannschaftlicher Partikularismus entwickeln, der die Einheit des Reichs gefährdet hätte: – dieser hatte ganz andere Grundlagen, wie gleich zu erwähnen ist. Auf der anderen Seite war aber die Schwäche der Beamten nach oben mit ihrer schon erörterten ebenso großen Schwäche nach unten erkauft. Und eine noch weit wichtigere Folge der Struktur dieses Pfründentums war der extreme administrative und wirtschaftspolitische Traditionalismus, den sie mit sich führte. Soweit dieser gesinnungs mäßig begründet war, ist später von ihm zu sprechen. Aber er hatte daneben auch höchst »rationale« Gründe.
Jeglicher Eingriff irgendwelcher Art in die überkommene Wirtschafts- und Verwaltungsform griff in unabsehbar viele Sportelund Pfründeninteressen der ausschlaggebenden Schicht ein. Und da jeder Beamte einmal in die mit Verkürzung der Einnahmechancen bedrohte Stellung versetzt werden konnte, so stand die Beamtenschaft in solchen Fällen wie ein Mann zusammen und obstruierte mindestens ebenso stark wie die Steuerträger gegen den Versuch, Aenderungen des Sportel- oder Zoll- oder Steuersystems durchzuführen. Die okzidentale Art der dauernden Appropriation von Zoll-, Geleit-, Brücken- und Wegegeld-, Stapel- und Straßenzwang-, Sportel- und anderen Einnahmechancen machte dagegen die im Spiel befindlichen Interessen übersehbar und ermöglichte es in aller Regel, bestimmte Interessentengruppen zusammenzuschließen und mit Gewalt oder durch Kompromiß oder Privileg die einzelnen Verkehrsobstruktionen abzulösen. Aber davon war in China keine Rede. Diese Einnahmechancen waren ja dort, soweit die Interessen der obersten, ausschlaggebenden, Beamtenschicht in Betracht kamen, nicht individuell appropriiert, sondern: dem Stande dieser versetzbaren Beamten als Ganzem. Geschlossen stand er daher jedem Eingriff entgegen und verfolgte die einzelnen rationalistischen Ideologen, welche nach »Reform« riefen, solidarisch mit tödlichem Haß. Nur eine gewaltsame Revolution, sei es von unten, sei es von oben, hätte hier Wandel schaffen können. Die Beseitigung des Tributtransports auf dem Kaiserkanal mit Kähnen zugunsten des um ein Vielfaches billigeren Dampfertransports zur See, die Aenderung der überkommenen Arten der Zollerhebung, Personenbeförderung, Erledigung von Petitionen und Prozessen, alle und jede Neuerungen überhaupt konnten die Sportel??interessen jedes einzelnen, gegenwärtige oder künftig mögliche, gefährden. Wenn man etwa die Reihe der Reformprojekte des Kaisers aus dem Jahre 1898 überblickt und sich klar macht, welche ungeheuren Umwälzungen der Einkommensverhältnisse der Beamten sie bei auch nur teilweiser Durchführung herbeigeführt hätten, so kann man ermessen, welche ungeheuren materiellen Interessen gegen sie engagiert waren und wie völlig aussichtslos sie, in Ermangelung irgendwelcher außerhalb der Interessenten selbst stehenden Organe der Durchführung, sein mußten. In diesem Traditionalismus lag auch die Quelle des »Partikularismus« der Provinzen. Er war in erster Linie Finanzpartikularismus und dadurch bedingt, daß die Pfründen der Provinzialbeamten und ihres unoffiziellen Anhangs durch jede Zentralisierung der Verwaltung auf das schwerste gefährdet werden mußten. Hier lag das absolute Hemmnis einer Rationalisierung der Verwaltung des Reichs vom Zentrum aus ebenso wie einer einheitlichen Wirtschaftspolitik.
Es war aber ferner – und dies zu erkennen ist prinzipiell wichtig – das allgemeine Schicksal rein patrimonialer Staatsgebilde, wie die Mehrzahl der orientalischen es waren: daß gerade die Durchführung der Geld wirtschaft den Traditionalismus stärkte, statt ihn zu schwächen, wie wir erwarten würden. Deshalb, weil gerade