Die Befriedung des Reichs im Zusammenhang mit dieser Steuerkontingentierung und ihren Folgen: der Entbehrlichkeit und dem Wegfall der Fronausnutzung, des Paßzwangs und aller Freizügigkeitsschranken, aller Kontrolle über Berufswahl, Hausbesitzverhältnisse und Produktionsrichtung, hat eine gewaltige Vermehrung der Bevölkerung im Gefolge gehabt. Während es scheint, daß die nach den freilich zum Teil äußerst problematischen Katasterziffern sehr stark schwankende Volksdichte Chinas zu Beginn der Mandschu-Herrschaft nicht wesentlich höher war als unter Schi-Hoang-Ti fast 1900 Jahre zuvor, jedenfalls aber die angebliche Volkszahl jahrhundertelang zwischen 50 und 60 Millionen schwankte, wuchs sie von Mitte des 17. bis Ende des 19. Jahrhunderts von 60 auf etwa 350-400 Millionen[151], entfaltete sich der sprichwörtliche chinesische Erwerbstrieb im kleinsten wie im größten und wurden auch sehr bedeutende Einzelvermögen akkumuliert. Was nun aber als etwas höchst Auffallendes an dieser Epoche erscheinen muß, ist: daß trotz dieser erstaunlichen Entwicklung der Volkszahl und ihres materiellen Befindens nicht nur die geistige Eigenart Chinas in eben dieser Zeit gänzlich stabil blieb, sondern auch auf ökonomischem Gebiet, trotz jener scheinbar so überaus günstigen Bedingungen, nicht der geringste Ansatz zu einer modern-kapitalistischen Entwicklung sich findet. Daß ferner auch der einst bedeutende Eigenhandel Chinas nach außen keinerlei Neubelebung erfuhr, sondern nur Passivhandel in einem einzigen, den Europäern unter strenger Kontrolle geöffneten Hafen (Kanton) stattfand. Daß auch von einem von innen, aus eigenem kapitalistischen Interesse der Bevölkerung heraus, entstandenen Streben, diese Schranke zu sprengen, nicht das mindeste (sondern ausschließlich: das Gegenteil) bekannt ist. Und daß überhaupt auf dem Gebiet der Technik, Wirtschaft und Verwaltung auch nicht die geringste, im europäischen Sinn, »fortschrittliche« Entwicklung einsetzte, vollends aber die Steuerkraft des Reichs, wenigstens dem Anschein nach, keinem ernsten Stoß gewachsen war, als die Erfordernisse der Außenpolitik dies gebieterisch erheischt hätten. Wie ist dies alles angesichts jener bei aller Kritik doch nicht zu bezweifelnden ganz ungewöhnlich mächtigen Volkszunahme zu erklären? Das ist unser Zentralproblem.
Es hatte sowohl ökonomische wie geistige Ursachen. Die ersteren, von denen jetzt zunächst zu sprechen ist, waren durchaus staatswirtschaftlicher und also politisch bedingter Natur, teilten aber mit den »geistigen« den Umstand: daß sie aus der Eigenart der führenden Schicht Chinas: des Beamten- und Amtsanwärterstandes (der »Mandarinen«), hervorgingen. Von ihnen ist jetzt zu reden, und zwar zunächst von ihrer materiellen Lage.
Der chinesische Beamte war, sahen wir, zunächst auf Naturalpräbenden aus den königlichen Magazinen angewiesen. Später traten in zunehmendem Maß Geldgehalte an die Stelle. So blieb es. Formell also zahlte die Regierung ihren Beamten Gehalt. Aber einmal zahlte sie nur einem kleinen Bruchteil der wirklich in der Verwaltung tätigen Kräfte aus ihren eigenen Mitteln Gehalt, und dann bildete dies Gehalt nur einen kleinen, oft geradezu einen verschwindenden Teil ihres Einkommens. Der Beamte hätte davon gar nicht leben und noch weniger die ihm amtlich obliegenden Kosten der Verwaltung daraus bestreiten können. Das Verhältnis war vielmehr in Wahrheit stets dies: daß der Beamte, ebenso wie ein Feudalherr oder Satrap, der Zentralregierung (und der Unterbeamte der Provinzialregierung) für die Ablieferung bestimmter Abgabenbeträge haftete, seinerseits aber fast alle Kosten seiner Verwaltung aus den von ihm wirklich erhobenen Abgaben: Steuern und Gebühren, bestritt und den Ueberschuß für sich behielt. So wenig dies, in voller Konsequenz wenigstens, offiziell anerkanntes Recht war, so zweifellos galt es tatsächlich, und zwar definitiv infolge der seit der Kontingentierung der Regierungseinnahmen bestehenden Verhältnisse.
Die sogenannte Fixierung der Grundsteuer im Jahre 1713 war der Sache nach eine finanzpolitische Kapitulation der Krone vor den Amtspfründnern. Denn in Wahrheit wurde ja nicht etwa die Steuerpflichtigkeit der Grundstücke in eine feste Grundrente verwandelt (wie z.B. in England), sondern es wurde vielmehr dasjenige, was den Provinzialbeamten von der Zentralverwaltung als Steueraufkommen ihres Bezirks angerechnet wurde: der Betrag also, von welchem sie einen Pauschalquotienten als Tribut an die Krone abzugeben hatten, fixiert und so – auf den Effekt gesehen – nur die Höhe der Besteuerung der Pfründen dieser Satrapen durch die Zentralverwaltung für alle Zeiten festgelegt[152]. Dem genuinen Charakter aller spezifisch patrimonialen Verwaltung entsprechend wurde das Einkommen, welches der Beamte aus der Verwaltung seines Bezirks zog, als seine Pfründe behandelt, die von seinen Privateinkünften nicht wirklich geschieden war[153]. Die Inhaber der Amtspfründen ihrerseits dagegen waren soweit wie möglich davon entfernt, die Grundsteuer (oder irgendwelche andere Pflichtigkeit) der Steuerzahler als in ihrem Gesamtaufkommen pauschaliert zu behandeln. Und es konnte auch praktisch gar keine Rede davon sein, daß die Reichsregierung eine solche Festlegung hätte ernstlich beabsichtigen können. Der Amtsinhaber mußte ja, wiederum dem patrimonialen Prinzip entsprechend, von den ihm zur Verfügung stehenden Einnahmen nicht nur alle sachlichen Bedürfnisse der bürgerlichen Verwaltung und Rechtspflege seines Bezirks bestreiten, sondern, und zwar vor allem, auch seinen unoffiziellen – von Kennern selbst für die kleinste Verwaltungseinheit (hsien) auf zwischen 30 und 300 schwankend geschätzten, gar nicht selten aus dem Abhub der Bevölkerung rekrutierten – Beamtenstab, ohne den er, wie wir sahen, in der ihm fremden Provinz die Verwaltung zu führen gar nicht in der Lage war. Seine persönlichen waren von den Verwaltungsausgaben nicht geschieden. Die Zentralverwaltung hatte also keinerlei Uebersicht über die wirklichen Bruttoeinkünfte der einzelnen Provinzen und Bezirke, der Provinzialstatthalter keine über diejenigen der Präfekten usw. Auf seiten der Steuerzahlenden andererseits stand nur der eine Grundsatz fest: sich nach Möglichkeit der Erhebung nicht traditionell feststehender Abgaben zu widersetzen, und wir werden sehen, daß und warum sie dies innerhalb weiter Grenzen mit großem Erfolg zu tun in der Lage waren. Indessen abgesehen von der prekären Natur dieses wesentlich von der Machtlage abhängigen Widerstands gegen die trotz allem stets erneut versuchten Uebererhebungen hatten die Beamten zwei Mittel, die Einkünfte zu steigern. Einmal die Erhebung eines Zuschlags für die Erhebungskosten (mindestens 10%) und für jegliche Nichtinnehaltung