Ich sprach eine ungeheuerliche Beschuldigung aus, die sich dann als ganz falsch erwies. Doch es war ja keine Behauptung gewesen, nur eine Ansicht, ich hatte nach einem Grunde gesucht, und schließlich war die Hauptsache, daß ich dadurch Blodwen wirklich widerstandslos machte.
»Die? So eine Tänzerin, so eine feile Person?« versuchte sie es noch einmal.
»Blodwen, es ist ein Mensch und ein Weib so gut wie du, und ich habe von Ballerinen erzählen hören, welche hochanständige Frauen waren.«
Da war ihr Widerstand besiegt. Sie wußte nicht mehr, was sie sagen sollte.
Außerdem waren die Boote jetzt schon ziemlich bis ans Schiff herangekommen, wir hätten sie in grobem Tone geradezu abweisen müssen, und dessen war wohl auch die eigensinnige Blodwen doch nicht fähig.
Ich sah eine recht ansehnliche junge Dame mit hübschem, interessantem Gesicht, brünett, schon mehr braun, sicher eine Kreolin, wenn nicht auch etwas afrikanisches oder indianisches Blut in ihren Adern war, aber einen schrecklich verwilderten Eindruck machend. Ihr Haar mußte sie sich lange nicht mehr gemacht haben, die blauschwarzen Strähnen, die ihr ums Gesicht hingen, hatten sich schon förmlich verfilzt, und auch das elegante Kostüm, das sie trug, war in einer Unordnung, die sich nicht weiter beschreiben läßt – ich wenigstens kann’s nicht, ich bin kein Schneider oder Modenschreiber – und der weiße Rock, der drunter hervorsah, war einfach dreckig, der Spitzensaum an vielen Stellen abgerissen, der Stiefel vorn aufgeplatzt.
Ich muß gleich bemerken, daß man auf Passagierschiffen seine Ansichten über menschliche Sauberkeit und dergleichen um einige Pflöcke zurückstecken muß, will man nicht ungerecht sein. Die Passagiere, so weit sie nicht schon mehrere Reisen gemacht haben, kommen in eine ihnen unbekannte Welt, und sie brauchen gar nicht seekrank zu werden – es ist ihnen eben alles fremd, sie wissen sich nicht zu helfen, werden hin und her geworfen – kurz – da wird auch der patenteste Kavalier zum sogenannten Schweinigel, der sich nicht mehr wäscht, an Rasieren gar nicht zu denken, an den Anzug denkt man erst recht nicht mehr, und dasselbe gilt vielleicht noch mehr von den Damen, denen es jetzt ganz gleichgültig ist, wenn sie einmal ihr Gebiß und den falschen Zopf verlieren.
Blodwen war auf ihrer ersten Ueberfahrt von New-York nach London tüchtig seekrank gewesen, auf der ›Sturmbraut‹ war sie es nicht geworden, trotzdem hatte sie sich in den ersten beiden Tagen, die etwas stürmisch gewesen, in einer nicht minder traurigen Verfassung befunden, bis sie sich in der neuen Welt zurechtgefunden, und es gibt Menschen, welche dies niemals können. An Land die adrettsten Herren und Dämchen, und an Bord sind und bleiben es ausgemachte Schweinigel, was man ihnen aber eben nicht verübeln darf.
Nun, seekrank konnte die nicht sein, denn wie eine Katze kletterte sie das Fallreep empor, und mit einem Male lag sie auch schon auf den Knien und himmelte mit gefalteten Händen empor.
»O, Gott sei gepriesen und die Jungfrau Maria – endlich wieder zwischen richtigen Menschen – endlich wieder auf einem Schiffe, wo man sich als ein richtiger Mensch fühlen kann!!«
Mir waren diese Worte, die sie da gejauchzt hatte, gar nicht so unverständlich. Doch ich hatte weiter keine Zeit, darüber nachzudenken, sie war schon wieder auf, und ich dachte schon, sie wollte dem ersten Steuermann um den Hals fallen.
»Der Herr Kapitän, nicht wahr?«
Der Steuermann, der seine Uniform anhatte, holte erst bedächtig einen Kloß Kautabak aus dem Munde, ehe er der Dame die Antwort gab.
»Nee, der Kapitän steht dort.«
Also jetzt war ich ihr Ziel, auf das sie zutanzte.
»O, Herr Kapitän, wenn Sie wüßten … «
Ich weiß nicht, was für einen Wortschwall sie über mich ergoß. Reden konnte die, wie ich noch nie ein Weib hatte reden hören.
Jetzt erst schien sie auch Blodwen zu bemerken, sie stutzte, ihr Benehmen war gleich ein ganz anderes, ein reservierteres.
»Ihre Gattin?«
»Lady Blodwen von Leytenstone.«
Sofort bemerkte ich an ihren beweglichen Gesichtszügen, daß sie diesen Namen schon kennen mußte. Sie hatte eben von der ›tollen Lady‹ schon gehört.
Unterdessen hatten meine Leute das Gepäck heraufgeholt, und da sah ich die beiden Boote auch schon wieder zurückrudern, ohne daß ich mit einem Manne der kleinen Jacht ein Wort gewechselt hätte – mir machte es fast den Eindruck, als ob die fürchteten, die Donna könnte ihren Entschluß doch noch ändern und wieder mit zurückkommen – und in dem einen Boote saß Karlemann, welcher sich wohl einmal die winzige Jacht ansehen wollte.
Es stand ihm ja gar nichts im Wege, dies zu tun; aber mir gar nichts von seiner Absicht zusagen, das sah dem kleinen Seezigeuner so ganz ähnlich.
Dann saßen wir drei in der Kajüte, die Donna hatte sich in der ihr angewiesenen Fremdenkabine etwas zurechtgetakelt, der Steward aufgetragen.
Sie erzählte mit einem Wortschwulst, den ich gar nicht wiedergeben kann, obgleich ich hatte Pastor werden sollen.
Vor sechs Wochen, in einem New-Yorker Theater auftretend, hatte sie von einem Verehrer ihrem Wunsche gemäß eine Jacht geschenkt bekommen – die ›Farewell‹, dort jenes reizende Spielzeug, aber dabei vollständig gebrauchsfähig.
Wie es nun in dem Kopfe solch eines Frauenzimmers aussehen mag – kurz, sie wollte die professionelle Tanzerei an den Nagel hängen, nur noch auf ihrer Jacht leben, wollte so eine Seeheldin werden, von der alle Welt sprechen mußte, ihr Tagebuch sollte in sämtliche Sprachen der Erde übersetzt werden.
Mit einem tüchtigen Jachtkapitän und den besten Jachtmatrosen bemannt, ging die Fahrt los. Das erste Ziel sollte die Westküste Afrikas sein. Ihr freigebiger Liebhaber mußte wohl schon einige Erfahrung haben, daß er Krankheit vorschützte, um sie nicht begleiten zu müssen, was sie aber überhaupt abgelehnt hätte.
»O Gott, o Gott,« jammerte sie noch jetzt, »wenn Sie wüßten, was ich in den fünf Wochen ausgestanden habe! Wenn ich mich ausstreckte, lag ich mit dem Kopfe in der Küche und mit den Füßen in der Segelkammer. Mein Kopf ist ganz verbeult… «
Ich weiß nicht, ob für den Leser diese Andeutungen genügen, was die Dame auf dieser winzigen Jacht auszustehen gehabt hatte. Für mich genügten sie, obgleich ich selbst auf einer so kleinen Jacht noch keine Fahrt gemacht hatte. Aber als Seemann konnte ich mich in alles lebhaft hineindenken.
Da mußte es eben fürchterlich eng zugehen, und solch ein Dingelchen tanzt ja schon beim leisesten Seegang wie ein toller Bock, und ein Aufenthalt an Deck ist kaum jemals möglich, immer alles unter Gaffer, und das dringt natürlich auch bis in die unterste Kammer, da ist nichts dicht zu halten, alles und jedes muß selbst wasserfest sein, und sind es die Menschen nicht selbst, sind es nicht geborene Wasserratten da hört eben jede Gemütlichkeit auf.
Mehr kann ich sonst nicht erklären, was der Aufenthalt in solch einer Miniaturjacht zu bedeuten hat.
Dazu nun noch fortwährend seekrank, aber mit Zwischenpausen, gewissermaßen ruckweise. Zuerst war sie drei Tage seekrank gewesen, sie hatte sich erholt, glaubte sich ganz gesund, war an das Schlingern und Stampfen gewöhnt – da dreht sich der Wind, die Segeljacht wendet, das Schlingern und Stampfen nimmt einen anderen Takt an, und sofort bricht die Seekrankheit mit neuer Macht aus, und so immer wieder, sobald die Jacht über Stag geht und dadurch eine neue Schaukelbewegung annimmt.
Wie die spanische Kreolin noch dazu in ihrer lebhaften Weise all die ausgestandenen Leiden vorzutragen wußte – wirklich, sie dauerte mich. Bei Blodwen schien das weniger der Fall zu sein. Sie blickte die Tänzerin immer so eigentümlich an, ohne ein einziges Wort zu sagen. Aber auch die Donna blickte während des Erzählens die Dame des Schiffes immer so merkwürdig an. Ich wurde lebhaft an zwei Katzen erinnert, die sich in Gegenwart eines Katers begegnen. Die sitzen sich auch so gegenüber und blicken sich so herausfordernd an, die eine miauend, die andere stumm