»Dies Reiten«, begann sie, »ist nicht das, was man ›guten Ton‹ nennt. Ich überlasse es Ihnen selbst, Ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Sie kennen die Welt. Sie sind Herr Harnish, der Millionär – –«
»Der Spieler«, unterbrach er sie barsch.
Sie nickte ihre Zustimmung zu diesem Ausdruck und fuhrt fort:
»Es ist eine ganz einfache und recht gewöhnliche Situation, in der wir uns befinden. Ich stehe in Ihren Diensten. Es kommt nicht darauf an, was Sie oder ich, sondern was andere Menschen darüber denken. Und darüber brauche ich Ihnen weiter nichts zu sagen, das wissen Sie selber.«
Ihre kühle Art, die Sache zu behandeln, stimmte nicht ganz mit ihren wirklichen Gefühlen überein – das meinte Daylight wenigstens, als er jetzt die Anzeichen weiblicher Erregung, die weichen Linien ihrer Gestalt, die wogende Brust und die Röte sah, die die Bewegung auf ihren Wangen hervorgerufen hatte.
»Es tut mir leid, daß ich Sie verscheucht habe«, sagte er scheinbar zusammenhanglos.
»Sie haben mich nicht verscheucht«, erwiderte sie eifrig. »Ich bin kein Schulkind. Ich habe lange für mich sorgen müssen, und ich bin nie bange gewesen. Wir waren zwei Sonntage zusammen, und ich habe mich wahrlich weder vor Ihnen noch vor Bob gefürchtet. Das ist es nicht. Ich kann schon lange für mich einstehen, aber die Welt will auch mitreden. Das ist das Unglück. Was würde die Welt sagen, wenn mein Chef und ich uns jeden Sonntag in den Bergen träfen und miteinander ritten. Es ist albern, aber es ist nun einmal so. Mit einem von den Kontoristen könnte ich ohne weiteres reiten, aber mit Ihnen – nein.«
»Aber die Welt weiß es ja gar nicht und braucht es auch nicht zu wissen«, rief er.
»Das macht es gewissermaßen nur schlimmer, wenn man weiß, daß man auf heimlichen Wegen herumschleicht und immer das Gefühl hat, etwas Verkehrtes zu tun. Es wäre richtiger und besser, wenn ich öffentlich ...«
»Wochentags mit mir frühstücken ginge«, erriet Daylight den Sinn ihres unvollendeten Satzes.
Sie nickte.
»Es ist zwar nicht ganz, was ich dachte, aber wir können es sagen. Ich würde vorziehen, offen zu handeln, so daß alle Menschen es sehen können, statt etwas im geheimen zu tun. Es wird ja doch entdeckt. Nicht, daß mir etwas an einer Einladung zum Frühstück läge«, fügte sie lächelnd hinzu. »Ich bin sicher, daß Sie meine Lage begreifen.«
»Aber warum dann nicht offen mit mir durch die Berge reiten?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf, wie er sich einbildete, mit einem Hauch von Bedauern, und sein Verlangen nach ihr wuchs so schnell, daß es ihm fast die Besinnung raubte.
»Sehen Sie, Fräulein Mason, ich verstehe, daß Sie über so etwas nicht im Geschäft reden mögen. Ich auch nicht. Das gehört auch dazu, denke ich, ein Mann darf mit seiner Sekretärin nicht über andere Dinge im Geschäft sprechen. Wollen Sie nächsten Sonntag mit mir reiten, dann können wir weiter über die Sache reden und vielleicht einen Ausweg finden. In den Bergen ist der richtige Ort. Ich denke, Sie kennen mich genügend, um zu wissen, daß ich ein einigermaßen anständiger Mensch bin. Ich – ich achte und ehre Sie, und ich ...« Er begann zu stottern, und die auf dem Löscher ruhende Hand zitterte sichtbar. Er nahm sich zusammen. »Heißer habe ich mir noch nie etwas in meinem Leben gewünscht. Ich – ich – ich kann nicht erklären, was ich meine, aber es ist, wie ich sage. Wollen Sie? – Nächsten Sonntag? Morgen?«
Aber er ließ sich nicht träumen, daß er ihr kaum hörbares Ja mehr als allem anderen den Schweißtropfen auf seiner Stirn, seiner zitternden Hand und seiner allzu augenscheinlichen Bedrängnis verdankte.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
»Aus dem, was die Leute sagen, erfährt man natürlich nie, was sie eigentlich wollen.« Daylight berührte Bobs rebellische Ohren mit der Peitsche und dachte unzufrieden über seine letzte Äußerung nach. Sie drückte nicht aus, was er eigentlich gemeint hatte. »Ich möchte, daß Sie mir rein heraus sagten, Sie wollten mich nicht mehr treffen, und daß Sie mir Ihre Gründe dafür angäben. Aber wie kann ich denn wissen, ob es Ihre wirklichen Gründe sind. Vielleicht haben Sie keine Lust, näher mit mir bekannt zu werden, und wollen es nur nicht sagen aus Furcht, mich zu verletzen. Können Sie es nicht einsehen? Ich bin der letzte auf der Welt, der sich aufdrängen will, wenn andere nichts von ihm wissen wollen. Und wenn ich wüßte, daß Sie sich nicht das geringste aus mir machten, so würde ich mich schleunigst zurückziehen.« Dede lächelte über seine Worte, ritt aber schweigend weiter. Und das Lächeln dünkte ihn das wunderbarste Lächeln, das er je gesehen. So konnte nur jemand lächeln, der einen ein bißchen gern hatte. Natürlich war sie sich dessen, wie er sich im nächsten Augenblick selbst sagte, ganz unbewußt. Es mußte eben so kommen, wenn zwei Menschen ein wenig miteinander zu tun hatten ... Jeder Fremde, jeder Geschäftsmann, Angestellte oder sonst wer würde nach einigen zufälligen Begegnungen dieselbe Freundlichkeit gezeigt haben. Aber es machte in diesem Fall besonderen Eindruck auf ihn, denn es war ein so süßes, wunderbares Lächeln. Andere Frauen hatten nie so gelächelt; das war sicher.
Es war ein glücklicher Tag gewesen. Daylight hatte Dede auf dem Wege nach Berkeley getroffen, und sie hatten mehrere Stunden zusammen verbracht. Erst jetzt, als der Tag auf die Neige ging und sie sich dem Gattertor bei Berkeley näherten, begann er den Gegenstand zu berühren, der ihn so beschäftigte.
Sie ging zuerst auf seine letzte Bemerkung ein, und er lauschte dankbar.
»Wenn ich nun aber wiederhole, daß die Gründe, die ich Ihnen genannt habe, die einzigen sind – daß nicht die Rede davon ist, daß ich Ihre Bekanntschaft nicht machen wollte?«
»Dann werde ich Sie weiterquälen wie der Teufel«, sagte er schnell. »Aber wenn Sie heimlich einen andern Grund haben, wenn Sie mich nicht kränken wollten, weil Sie eine gute Stellung bei mir haben ...« Hier wich seine ruhige Betrachtung einer furchtbaren Angst, der Angst, daß es wirklich so wäre, und er verlor den Faden. »Na, einerlei, Sie brauchen nur ein Wort zu sagen, und ich geh' meiner Wege. Ohne Bitterkeit; es wäre eben ein Unglück für mich. Seien Sie deshalb ehrlich gegen mich. Fräulein Mason, ich bitte Sie, und sagen Sie mir, ob das der Grund ist – ich bin beinahe überzeugt davon.«
Sie warf ihm einen schnellen Blick zu, ihre Augen waren plötzlich feucht geworden, halb aus Kränkung, halb aus Reue.
»Oh, das ist kein ehrliches Spiel«, rief sie. »Sie stellen mich vor die Wahl, zu lügen und Sie zu kränken, um Sie auf diese Weise loszuwerden, oder Ihnen meine einzige Waffe auszuliefern und Ihnen die Wahrheit zu erzählen.«
Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen zitterten, aber sie blickte ihm immer noch frei in die Augen.
Daylight lächelte grimmig, aber doch mit einer gewissen Befriedigung.
»Ich freue mich, Fräulein Mason, freue mich wirklich über diese Worte.«
»Aber sie helfen Ihnen nichts«, fuhr sie hastig fort. »Sie können Ihnen nichts helfen. Ich will nicht mehr. Dies ist unser letzter Ritt, und – hier ist das Gatter.« Sie lenkte das Pferd auf die Seite, beugte sich hinab, drückte die Klinke herunter und ritt durch das offene Tor.
»Nein, bitte nicht«, sagte sie, als Daylight sich anschickte, ihr zu folgen.
Er fügte sich demütig ihrem Willen und zog Bob zurück, während das Tor sich zwischen ihnen schloß. Aber sie hatten sich noch mehr zu sagen, und sie ritt nicht gleich weiter.
»Hören Sie, Fräulein Mason«, sagte er mit leiser, vor Aufrichtigkeit bebender Stimme. »Ich will Ihnen nur eines versichern. Ich will nicht versuchen, Sie zum Narren zu halten. Ich hab' Sie gern, ich brauche Sie, und mir ist noch nie im Leben etwas so ernst gewesen wie dies. Ich habe nicht Böses im Sinne. Ich meine es ehrlich –«
Aber ihr Ausdruck ließ ihn innehalten.