Er erkundigte sich bei Morrison, dem Kontoristen, der erst seiner persönlichen Antipathie gegen Fräulein Mason Luft machen mußte, ehe er das wenige, was er wußte, berichtete.
»Sie stammt aus Siskiyou. Es läßt sich gut mit ihr zusammen arbeiten, gewiß, aber sie ist sehr von sich eingenommen – exklusiv, verstehen Sie.«
»Wie äußert sich das?« fragte Daylight.
»Ja, sie fühlt sich zu gut, um mit ihren Kollegen zu verkehren. Ich hab' sie ein paarmal eingeladen, ins Theater und so. Aber es ist nichts zu machen. Sie sagt, daß sie viel Schlaf braucht und nicht spät aufbleiben kann und einen weiten Weg bis Berkeley – da wohnt sie – hat.«
Dieser Teil des Berichts gefiel Daylight ausnehmend. Sie war etwas Besonderes, daran war nicht zu zweifeln. Aber Morrisons nächste Worte schlugen ihm eine böse Wunde.
»Das ist aber alles Unsinn. Sie läuft immer mit Studenten herum. Ins Theater gehen, das kann sie nicht, weil sie zuviel Schlaf braucht; aber mit denen tanzen, das kann sie immer. Ich finde, das ist ein bißchen zu vornehm für eine Bureaudame. Und dann hält sie sich noch ein Pferd. Sie reitet und treibt sich immer in den Bergen drüben herum. Ich habe sie selbst eines Sonntags gesehen. Oh, sie will hoch hinaus, und ich möchte bloß wissen, wie sie das macht. Mit fünfundsechzig Dollar im Monat kommt man nicht weit. Und dabei hat sie noch einen kranken Bruder.«
»Wohnt sie bei ihrer Familie?« fragte Daylight.
»Nein, sie hat keine. Die Leute sollen übrigens mal wohlhabend gewesen sein, wie ich gehört habe. Sie müssen es gewesen sein, sonst hätte der Bruder nicht die Kalifornien-Universität besuchen können. Ihr Vater hat eine große Viehfarm gehabt, ließ sich aber in dumme Minenspekulationen ein und ging pleite, ehe er starb. Ihre Mutter war schon lange tot. Ihr Bruder muß ein schönes Stück Geld kosten. Er war ein tüchtiger Kerl, spielte Fußball, war ein guter Jäger, kletterte in den Bergen herum und ähnliches. Er kam zu Schaden, als er Pferde zuritt, und dazu bekam er noch Rheumatismus. Das eine Bein ist kürzer als das andere und etwas eingeschrumpft. Er ging an Krücken. Ich hab' sie mal zusammen gesehen – sie wollten mit der Fähre übersetzen. Die Ärzte haben jahrelang an ihm herumgedoktert, und jetzt ist er, glaube ich, im französischen Hospital.«
Alle diese Streiflichter erhöhten Daylights Interesse für Dede Mason. Aber so sehr er es auch wünschte, gelang es ihm doch nicht, näher mit ihr bekannt zu werden. Er dachte daran, sie zum Frühstück einzuladen, besaß aber die angeborene Ritterlichkeit des Hinterwäldlers, und so blieb es bei der Absicht. Er wußte, daß ein Mann von Selbstachtung kaum seine Sekretärin zum Frühstück einladen konnte.
Hinter allen Gründen Daylights aber lag eine gewisse Furcht. Das einzige, was er je gefürchtet hatte, waren Frauen, aber vor denen hatte er auch sein ganzes Leben lang Angst gehabt. Und jetzt, da er den ersten aufglimmenden Drang und das erste Verlangen nach dem Weibe spürte, war diese Furcht auch nicht leicht zu verjagen. Die Angst vor den Schürzenbändern war immer noch da und ließ ihn Entschuldigungen dafür finden, daß er mit Dede Mason nicht weiter kam.
Einundzwanzigstes Kapitel
Da Daylight keine Gelegenheit fand, Dede Masons nähere Bekanntschaft zu machen, schlief sein Interesse für sie allmählich ein. Das war nur natürlich, denn er steckte tief in Spekulationen.
Ein erbitterter Kampf mit der Coastwise Steam Navigation Company, der Hawaiian, der Nicaraguan und der Pacific-Mexican Steamship Company war in vollem Gange. Die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, drohte ihm über den Kopf zu wachsen, und er erschrak über die weiten Verzweigungen und die vielen einander anscheinend widersprechenden Interessen, die hineingezogen wurden. Alle Zeitungen San Franziskus wandten sich gegen ihn. Anfangs hatte zwar eine oder die andere erkennen lassen, daß sie nicht abgeneigt wäre, Subsidien von ihm anzunehmen, aber Daylight war der Ansicht gewesen, daß die Situation solche Ausgaben nicht erforderte. War die Presse ihm gegenüber bisher scherzhaft tolerant und gutmütig sensationell gewesen, so sollte er jetzt erfahren, welcher giftigen Bosheit und Verleumdung sie fähig war. Jede Episode seines Lebens wurde ausgegraben und entstellt. Daylight amüsierte sich köstlich über die neue Art, wie seine Erfolge und Taten ausgelegt wurden. Aus dem großen Alaskahelden wurde er zum Alaskaschurken, -lügner, -räuber, schlechthin zum »gemeinen Kerl«. Er antwortete nie auf ihre Anwürfe, wenn er auch einmal einem halben Dutzend Reportern die Wahrheit sagte.
»Macht, was ihr wollt«, sagte er zu ihnen. »Burning Daylight ist schon mit anderen Dingen fertig geworden als mit euren dreckigen verlogenen Zeitungen. Und ich tadle euch gar nicht, Jungens – das heißt nicht allzusehr. Ihr habt keine Schuld daran. Ihr müßt ja leben. Es gibt eine Menge Weiber auf der Welt, die ihr Brot auf dieselbe Weise verdienen wie ihr, weil sie nichts Besseres können. Irgendeiner muß ja schließlich die schmutzige Arbeit tun. Ihr werdet dafür bezahlt, und euch fehlt das Rückgrat, reinlichere Arbeit zu verrichten.«
Die sozialistische Presse der Stadt münzte diese Äußerung triumphierend aus und verbreitete sie in Tausenden von Zeitungen über ganz San Franzisko. Und die an ihrer wundesten Stelle getroffenen Journalisten rächten sich mit dem einzigen Mittel, das in ihrer Macht stand – mit Druckerschwärze. Die Angriffe wurden giftiger als je, Haß und Wildheit wuchsen immer mehr. Das arme Mädchen, das sich das Leben genommen hatte, wurde aus seinem Grabe gezerrt und paradierte in Tausenden von Zeitungsspalten als Märtyrerin und Opfer der fürchterlichen Brutalität Daylights. Es erschienen ganz sachliche Artikel, in denen nachgewiesen wurde, daß er die armen Minenarbeiter ihrer Claims beraubt und zuletzt einen verräterischen Treubruch an den Guggenhammers in der Ophir-Geschichte begangen und damit den Grund zu seinem Vermögen gelegt hatte. In Leitartikeln wurde er ein Feind der Gesellschaft mit den Manieren und der Kultur eines Höhlenbewohners genannt, ein Aufwiegler, der den Wohlstand der Stadt vernichtete. –
Mit dem Angriff auf zwei Dampfergesellschaften fing es an, und bald hatte sich eine Küstenlinie daraus entwickelt. Das war, was er wünschte, und er fühlte, wie recht er gehabt hatte, als er Klondike verließ, denn hier ging es um höhere Einsätze, als Yukon ihm je hätte bieten können. Auf seiner Seite focht für ein glänzendes Honorar Rechtsanwalt Larry Hegan, ein junger Irländer, der sich einen Namen machen wollte, und dessen Begabung Daylight entdeckt hatte. Hegan besaß keltische Phantasie und Kühnheit, und zwar in dem Maße, daß Daylights kühler Kopf ihn bisweilen zügeln mußte. Hegan war ein juristischer Napoleon ohne Gleichgewicht, und gerade darin ergänzte ihn Daylight. Er besaß auch nicht mehr menschliches und bürgerliches Gewissen als Napoleon.
Hegan war es, der Daylight durch das Labyrinth der modernen Politik, der Arbeiterorganisation, der bürgerlichen Gesetzgebung führte. Hegan, der durch seine Fähigkeiten und Ideen Daylight die Augen für ungeahnte Möglichkeiten in der Kriegführung des zwanzigsten Jahrhunderts öffnete; und Daylight wiederum, der den Kriegsplan verwarf oder annahm, ausarbeitete und ausführte. Die ganze pazifische Küste von Puget Sound bis Panama, war in Aufruhr, San Franzisko wütete gegen ihn, und es mußte scheinen, als ob die beiden großen Schiffahrtsgesellschaften den Sieg davontrügen, als würde Daylight langsam auf die Knie gezwungen. Und da langte er aus – nach den Schiffahrtsgesellschaften, nach San Franzisko, nach der ganzen pazifischen Küste.
Es fing ganz harmlos an. Während einer Versammlung des Christlichen Vereins in San Franzisko machte die Gepäckträgervereinigung Nr. 927 Spektakel über einen kleinen Gepäckhaufen im Fuhrgebäude. Das Ergebnis waren ein paar Löcher in den Köpfen, einige Verhaftungen und Auslieferung des Gepäcks. Keiner hätte erraten, daß hinter diesem Scharmützel der gewandte Irländer und Daylights Gold standen. Es war eine völlig gleichgültige Affäre, oder vielmehr – schien es zu sein. Aber da mischte sich der Fuhrleute-Verband hinein, hinter den sich wieder die ganze Hafenarbeiter-Gewerkschaft stellte. Die Weigerung der Köche und Kellner, die