So kam es, daß Daylight ein erfolgreicher Kapitalist wurde, wenn auch kein Sklavenhalter und Blutsauger. Bedrückung der Schwachen erschien ihm verächtlich. Aber im Hinterhalt liegen und dem erfolgreichen Räuber die Beute abjagen, das war ein lustiger, aufregender Sport, wie er ihn liebte.
Das harte Leben am Yukon hatte nicht vermocht, Daylight zu einem harten Manne zu machen. Dieser Erfolg blieb der Zivilisation vorbehalten. In dem wilden, grausamen Spiel, das er jetzt spielte, schwand das Wohlwollen, das ihn bisher gekennzeichnet hatte, ganz unmerklich und auf gleiche Weise wie sein schleppender Dialekt. Und scharf und nervös wie seine Sprechweise wurde auch seine Seele. In dem rasenden Tempo des Spiels fand er immer weniger Zeit, gutmütig zu sein. Die Veränderung zeichnete sogar seine Züge. Die Linien wurden strenger. Seltener erschien das lustige Lächeln auf seinen Lippen und in seinen Augenwinkeln. Die Augen selbst, schwarz und feurig wie die eines Indianers, funkelten zuweilen vor Grausamkeit und brutalem Machtbewußtsein. Die von seiner ganzen Persönlichkeit ausstrahlende, überwältigende Lebenskraft blieb, aber es war jetzt die des Siegers, des schonungslosen Bezwingers. Seine Kämpfe mit der elementaren Natur waren gewissermaßen unpersönlich gewesen; jetzt kämpfte er mit den Männchen seiner Rasse, und diese unerbittlichen Kämpfe zeichneten ihn mehr, als es die Mühen seiner Schlittenreisen und Flußfahrten getan.
Zwanzigstes Kapitel
Da trat Dede Mason in sein Leben. Fast unmerklich. Er hatte sie ganz unpersönlich engagiert, so wie er seine Bureaueinrichtung angeschafft, seinen Laufjungen und Morrison, den einzigen Kontoristen und sein Faktotum, engagiert hatte. In den ersten Monaten wäre er nicht imstande gewesen, die Farbe ihrer Augen oder ihres Haares anzugeben. Ebensowenig hatte er eine Ahnung, wie sie sonst aussah. Für ihn war sie »Fräulein Mason«, und das war alles, wenn er sie auch als gewandte und zuverlässige Sekretärin schätzte.
Als er aber eines Morgens einige Briefe unterschrieb, fiel ihm eine grammatikalische Wendung auf, die er, wie er bestimmt wußte, nicht beim Diktieren gebraucht hatte. Er drückte zweimal auf den Klingelknopf, und einen Augenblick später trat Fräulein Mason ein.
»Hab' ich das gesagt, Fräulein Mason?« fragte er, indem er ihr den Brief reichte und ihr die fragliche Stelle zeigte.
Ein verlegener Ausdruck trat in ihre Züge, als wäre sie auf frischer Tat ertappt worden.
»Es ist mein Fehler«, sagte sie. »Es tut mir leid. Aber eigentlich ist es kein Fehler«, fügte sie schnell hinzu.
»Wie meinen Sie das?« fragte Daylight herausfordernd. »Meiner Ansicht nach ist es nicht richtig.«
Sie stand schon in der Tür, drehte sich aber mit dem unglückseligen Briefe in der Hand um.
»Richtig ist es doch«, antwortete sie dreist. »Aber wenn Sie es wünschen, ändere ich es.« Und damit nahm sie den Brief und ging an ihre Schreibmaschine. Am nächsten Morgen trat Daylight auf dem Wege ins Bureau in eine Buchhandlung und kaufte eine englische Grammatik; und eine geschlagene Stunde saß er, mit den Beinen auf dem Schreibtisch, und arbeitete sich durch das Buch hindurch.
»Ich will gehenkt sein, wenn das Mädel recht hat«, murmelte er. Als aber die Stunde um war, wußte er, daß sie recht hatte, und zum ersten Male fand er, daß etwas Besonderes an seiner Sekretärin sei. Bisher hatte er sie nur als ein beliebiges weibliches Wesen, als einen Teil seiner Bureauausstattung angesehen, jetzt aber wurde sie in seinen Augen plötzlich eine Persönlichkeit. Sie wußte offenbar manches, wovon er keine Ahnung hatte, und er begann, Notiz von ihr zu nehmen.
Als sie an diesem Nachmittag das Bureau verließ, bemerkte er zum erstenmal, wie gut sie gewachsen war, und daß sie sich zu kleiden verstand. Er kannte nichts von den Einzelheiten der Frauenkleidung und sah denn auch nichts an ihrer hübschen Bluse und dem gutsitzenden Rock. Er sah nur die Wirkung im allgemeinen. Sie sah aus, wie man aussehen mußte. Aber das kam eben daher, daß nichts Auffallendes an ihr war.
»Netter kleiner Käfer«, war sein Urteil, als die Kontortür sich hinter ihr schloß.
Als er ihr am nächsten Morgen Briefe diktierte, bemerkte er, daß ihr Haar hellbraun mit einem Goldschimmer war. Die blasse Sonne ließ das Gold wie schwelendes Feuer schimmern, was sehr anziehend war. Er wunderte sich, daß er dieses Spiel der Natur noch nicht beachtet hatte.
Mitten im Briefe kam derselbe Satzbau vor, der am vorigen Tage den Zwischenfall veranlaßt hatte. Er erinnerte sich der Grammatik und diktierte den Satz in derselben Weise, wie sie ihn verbessert hatte.
Fräulein Mason blickte schnell auf. Sie tat es ganz unwillkürlich und tatsächlich überrascht. Im nächsten Augenblick senkte sich ihr Blick wieder. Aber in dieser Sekunde hatte Daylight bemerkt, daß ihre Augen grau waren. Später fand er heraus, daß zuzeiten ein goldener Schimmer in ihnen sein konnte; aber fürs erste genügte, was er gesehen, um ihn zu überraschen, denn er wurde sich plötzlich klar, daß er bisher immer geglaubt hatte, eine Brünette müsse auch braune Augen haben.
Als er eines Tages an ihrem Schreibtisch vorbeiging, fand er einen Band Gedichte von Kipling und guckte verblüfft auf die Seiten.
»Sie lesen gern, Fräulein Mason?« fragte er und legte das Buch wieder hin.
»Ja,« lautete die Antwort, »sehr.«
Ein andermal war es ein Buch von Wells »The Weels of Chance«.
»Wovon handelt es?« fragte Daylight.
»Ach, es ist nur ein Roman, eine Liebesgeschichte.«
Sie schwieg; er aber blieb wartend stehen, und sie fühlte, daß sie noch etwas sagen mußte.
»Es handelt von einem kleinen Londoner Kommis, der in den Ferien einen Ausflug macht und sich in ein Mädchen verliebt, das sehr hoch über ihm steht. Ihre Mutter ist eine beliebte Schriftstellerin und so weiter. Die Situation ist sehr eigenartig und traurig, teilweise direkt tragisch. Möchten Sie es lesen?«
»Kriegt er sie?« fragte Daylight.
»Nein, das ist es ja eben. Er war nicht – –«
»Er kriegt sie nicht, und da lesen Sie dreihundert Seiten, bloß um das herauszufinden?« murmelte Daylight erstaunt.
Fräulein Mason ärgerte sich, war aber doch belustigt. »Sie sitzen ja auch stundenlang da und lesen Bergwerks- und Geschäftsberichte«, erwiderte sie.
»Aber davon habe ich was. Das ist Geschäft und ganz was anderes. Ich schlage Geld daraus. Was haben Sie von Ihren Büchern?«
»Neue Gesichtspunkte, neue Ideen, Leben.«
»Das ist alles nicht einen Pfennig wert.«
»Das Leben ist mehr wert als Geld«, meinte sie.
»Mag sein«, sagte er mit einem Unterton männlicher Duldsamkeit. »Solange man Freude daran hat. Das ist meiner Ansicht nach das Wesentliche; aber über den Geschmack läßt sich nicht streiten.«
Trotz seiner Überlegenheit hatte er eine Ahnung, daß sie eine Menge wußte, und zugleich das Gefühl, daß er ein Barbar war, der hier den Zeugnissen einer mächtigen Kultur gegenüberstand. Ihm war Kultur etwas Wertloses, aber er hatte dennoch immer wieder eine unbestimmte Vorstellung, daß sie mehr bedeutete, als er sich denken konnte.
Einige Tage später bemerkte er wieder ein Buch auf ihrem Schreibtisch. Diesmal blieb er nicht stehen, denn er hatte den Einband erkannt. Es war das Buch eines Zeitungskorrespondenten über Klondike, und er wußte, daß von ihm darin die Rede war, und zwar in einem sensationellen Kapitel, das vom Selbstmord einer Frau handelte, an dem er die Schuld tragen sollte.
Seitdem sprach er nicht wieder mit ihr über Bücher. Der Gedanke, daß sie irrige Schlüsse aus dem betreffenden Kapitel gezogen haben mußte, ärgerte ihn um so mehr, je unverdienter es war. Das war denn doch der Gipfel: er – Burning Daylight – ein Herzensbrecher, und eine Frau sollte sich aus Liebe zu ihm