Gesammelte Werke. Robert Musil. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Musil
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788026800347
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gingen daneben, und viele an ihm vorbei. Er gewann mühsam den ersten Satz gegen das junge tschech. Phänomen Közeluh, verlor glatt den zweiten, knickte ein und gab auf. Ich hatte nicht den Eindruck, daß sein Gegner besser spielte als der Froitzheim von 1914, noch daß Froitzheim, wie die ihm freundlichen Berichterstatter schreiben, gegen die Jugend des Zwanzigjährigen unterlag, denn er hat sich einen prächtigen Körper bewahrt, und hier beginnen die Fragen.

3.

      Nachdem ich lange selbst auf keinem Turniergrund mehr stand, bin ich wieder so naiv geworden, zu fragen: Wodurch verliert man ein Spiel? Die Antwort lautet: durch die eigenen Bälle, die man «aus» oder ins Netz schlägt und nicht durch die Schärfe des Gegners. Ich kann das nur gefühlmäßig behaupten, aber ich glaube, eine Statistik würde es bestätigen, daß selten ein Ball so scharf oder die Taktik des Gegners so überraschend ist, daß man nicht darauf erwidern kann, und daß in den meisten Fällen der Zuschauer an einer undefinirbaren Eigenheit der Bewegung voraus weiß, daß der Ball fehlgehen wird. Es stimmt damit überein, daß fast alle Spieler im «Einzel» unter ihrem Können auf sicher spielen und den Gegner (aber auch das Publikum) zu Tod langweilen. Es stimmt ferner damit überein, daß sie im Doppelspiel weit amüsanter sind, weil sie die geteilte Verantwortung beruhigt und sie gewißermaßen von einer perpetuellen Ausrede auf ihren Mitspieler zehren.

      Diese Frage scheint also eine psychologische zu sein.

      Der Praterpreis

[1925/26 oder später]

      Sportbericht. Ich will über .. schreiben. Aber ich weiß nicht, ob ich dazu komme.

      Wenn der Titel einmal groß gedruckt da steht, kann man ja zugeben, daß er falsch ist; der wahre müßte heißen: X. Internationales Lawn-Tennis-Turnier veranstaltet vom Wiener Athletiksport-Club, Herren-Einzelspiel um die Meisterschaft von Österreich usw. Aber die Plätze dieses Clubs liegen unter schönen alten Bäumen im Prater, eines der den Hauptkampf umrahmenden Wettspiele hieß der Parkpreis, und so kam es eben.

      Ich lese seit Jahren alle Sportberichte, deren ich habhaft werden kann. Man lernt sehr viel dabei. Vor allem verschiedene Sprachen. Das Landen eines Kinnhackens, das Eintreten eines Balls, das Bedecken einer Strecke in so und soviel Sekunden sind im Vergleich zu andren gutartige Neubildungen. Ich liebe diese Ausdrücke und sammle sie gelegentlich. Die einwandfreie Leiche (eines gesunden Toten) ist ein schönes Beispiel aus der Ärztesprache, das bei Knochentransplantationen seine Rolle spielt. Es ist bekannt, daß das Wälsch der Landstreicher, der Jäger, der Seeleute von sprachbelebendem Einfluß war; unsre Sportsprachen haben auch noch Schöpfungskraft, aber ihr Unglück ist, daß die Dichter nicht Sport treiben (Fußnote dazu:…) u. die Zeitungsberichterstatter über ihn schreiben. Dadurch geht das immer aus der Physiognomie eines Sports und im Kreis von wenigen hundert Menschen geborene Wort, die ihn aktiv ausüben, nicht den Weg durch einen Menschen, der es mit allen Sinnen aufnimmt, sondern unmittelbar durch das Gedächtnis hinaus zu Millionen Zeitungslesern, die seit einigen Jahren in allen Zungen des babylonischen Sportturms reden lernen. Ich will den Sportberichterstattern nicht nahetreten, aber ich glaube nicht, daß viele unter ihnen wirklich Sportleute sind. In der Mehrheit dürften viele von diesen Journalisten noch die heute glücklicherweise abnehmende Überzeugung haben, daß ein guter Journalist über alles schreiben können muß, so wie man in der alten österr. Armee dem kuk. Lt. einprägte, daß er, so er den Befehl dazu bekomme die Peterskirche zu bauen, imstande sein müsse, sich zu orientieren u. dann mit seinem Zug den Auftrag auszuführen. Das ist ein schöner esprit du corps, aber er führt nicht zu sachlichen Leistungen. Er führt nur dazu, daß sich der Berichter mit raschem Eifer die verschiedenen Stalljargons aneignet und sich dann bestrebt, in dieser Ausdrucksweise Weltgeschichte zu schreiben. In Deutschland ist man darin noch nicht so weit wie in Österreich, wo die Zeitungen glauben, durch tägliche seitenlange Fußballberichte Lesermassen zu gewinnen. Es ist ihm nicht zu verdenken, daß der Berichterstatter, auf diesem Gebiet übrigens oft wirklich zu Hause u kritischer Würdigung fähig, hier in den Fehler verfällt, da ihm mehr Raum zur Verfügung steht, als allen Künsten u Wissenschaften zusammen, vom genialen Ferdl Swatosch zu schreiben oder die Heroen des Radrennens aufzuzählen. Irgendwo hat er natürlich heute noch das Gefühl, daß das nicht ganz wörtlich zu nehmen sei, aber wenn es so weitergeht, wird er ein Bahnbrecher neuen Geistes gewesen sein. Immerhin ist das kein Ernst. Und wenn ich meine Eindrücke zusammenfasse, der ich fast? jeden Sport ausgeübt habe u. heute alle Sportberichte lese, deren ich habhaft werden kann, so muß ich sagen: Wenn ich die Sache nicht aus eigener Erfahrung kennen würde, würde ich sie (mir) nach den Berichten (vorstellen können) verstehn; so aber nicht. So kann man über Theater schreiben, aber bei einer so ernsten u reellen Sache, wie es der Sport ist, ist es schade.

      Normung des Geistes

[1927 oder später]

      1. Erklärung der Normung an Werkzeugen, Koffern usw.

      2. Man hat darüber bisher übersehen, wie wichtig es wäre, auch die geistigen Erscheinungen zu normen.

      3. Die Amerikaner Ansätze versucht – Tayl ..

      4. Glücklicherweise hat sich bei den kompliziertesten geistigen Produkten, denen der Wiss. u Kunst eine weitgehende Normisierung u Typisierung ganz von selbst angebahnt.

      5. Wir normen.

      Für ältere Leser, welche noch ungenormt aufgewachsen sind, sei eine Erklärung vorausgeschickt: Normung heißt in der Industrie, daß man alles, was sich ebensogut so wie anders machen läßt, in einer zwischen allen Fabriken vereinbarten u. gleichen Weise macht. Das hat große Vorteile, räumt eine völlig zwecklose Unordnung weg, verbilligt und macht das Leben zur Lust. Wenn man das Farbband seiner Schreibmaschine auswechseln will, wird man nicht mehr nach einem Geschäft suchen müssen, welches gerade dieses Schreibmaschinensystem führt, denn alle Schreibmaschinen werden Bänder von gleicher Breite u Länge haben, u. wenn man an einem Pedal eines Fahrrads den Gummi verliert, wird man nicht mehr beim Fahrradhändler 400 verschiedene Ausführungen von Pedalgummis angezeigt finden, unter denen gerade die eine fehlt, von der man ein vereinsamtes Exemplar am zweiten Pedale besitzt. Eine große Menge Dinge wird heute schon genormt, Gewinde, Passungen, Durchmesser, Armaturen, Konstruktionsteile von Rohrleitungen, Krankenhausbedarf u Laboratoriums gerät, Werkzeuge, Koffer eine noch größere Menge wird genormt werden, es gibt Ausschüsse mit herrlichen Namen wie bei Fanok u. Dechema, u. wir stehen an den Anfängen einer großen geistigen Bewegung, welche der Renaissance nichts nachgeben wird.

      Es sei darum erlaubt, wenige vorschnelle Ausblicke auf die Zeit zu tun, wo die Normungsbewegung nicht nur das Produkt, sondern auch den Menschen ergriffen haben wird. Es kann ja gar kein Zweifel darüber bestehn, daß der genormte Mensch große Vorteile gegenüber dem ungenormten bieten wird, aber obgleich starke dahinzielende Bestrebungen im Gange sind, setzen sich ihnen noch unnötige Widerstände entgegen. Fragen wir uns deshalb zuerst, wie wird der genormte Mensch aussehen? Er wird auswechselbar sein. Da heute alle schönen Menschen bei uns dünn sind, im Orient aber dick, kann die Unterwerfung der Natur in der Durchmesserfrage für gesichert gelten. Das gleiche gilt von der Normung auf bestimmte Größenstufen, welche die Konfektionsindustrie von den Eltern verlangen wird; die Japaner erzeugen heute schon durch bestimmte Fütterung große fette Ringkämpfertypen neben dem trocken-breit-kleinen Dschiudschitsutypus. In seiner Kleidung wird der Mensch alle Vierteljahre anders, aber immer gleich ausschauen; auch das ist heute schon angenähert erreicht; das Luxusbedürfnis läßt sich ohne Schwierigkeiten durch bestimmte Stufen der Ausführung typisieren, ähnlich den Steuerstufen, u. in einer sehr verfeinerten Gesellschaft wird sich der Rang durch einen Preiszettel symbolisieren (befriedigen) lassen, der angibt, daß man 3 x so viel für seinen Anzug gezahlt hat, wenn es selbst der gleiche Anzug sein sollte.

      Das sind einfache Probleme. Aber sind der gute, der moralische, der normale, der verwendbare Mensch sind der ideale Patriot, der disziplinierte Parteigänger, der vollkommene Staatsbürger nicht schon genormte Menschen? Hier öffnen sich Zukunftsblicke für alle normativen Institutionen. Was sie immer getan haben, werden sie nun mit den Hilfsmitteln u der unbestrittenen Autorität der Wissenschaft u Technik tun. Der Strom der Zeit hat eine ihnen günstige Richtung, die individuellen Reste, die er mit sich führt, schleifen sich ab. Die Liebe, dieses Urwaldgebiet der Eigenbrötelei, wird zur reinen Verlegenheit. Wer kann heute noch mit gutem Gewissen «Du Einzige» sagen? Jedermann weiß, daß es richtig «Du Typische»