Gesammelte Werke. Robert Musil. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Musil
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788026800347
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für deren Behagen, aber es ist eigentlich nicht viel anders wie wenn ein Fabrikherr jovial mit seinem Arbeiter spricht. Irgendwann ohne daß sie im geringsten den Zeitpunkt ahnen – denn man handelt geheim u mit List um ihrem Fleisch nicht zu schaden – erhalten sie plötzlich einen Schlag ins Genick. Nur manche, die man bei Zeremonien braucht, werden mit ihrem Wissen getötet. Im ersten Fall ist der Unterschied gegen unser Leben eigentlich nur der, daß unser Schicksal nicht bürgerlich personifiziert ist u. daß wir keinen persönlichen Verkehr mit ihm haben. (Natürlich auch, daß wir etwas länger leben; aber etwa die Situation eines Lungenkranken). Diesem rein ideellen und eigentlich recht belanglosen minus steht als großes plus eine Zartheit des Verkehrs gegenüber, die aus den Bedingungen einer Mastkur folgt.

      .. ist tatsächlich von einer unglaublichen Zartheit im Verkehr mit seinen Sklaven u Sklavinnen. Es ist ein priesterlicher Beruf. Er hat oft Gelegenheit über diese Dinge nachzudenken u zu sprechen im Verkehr mit arabischen Händlern, die sie perhorreszieren, aber als gute Kaufleute in der Diskussion nicht zu hartnäckig sind.

      Interessant ist ihm die Willenlosigkeit der Sklaven. Auch die bei Festen geschlachtet werden, lassen sich ohne Widerstand führen. Es ist eine Willensstumpfheit, eine Atrophie des Willens durch das vorangegangene Leben, vielleicht aber auch ein gar nicht zum Widerstand kommen, weil alles sich so zivilisiert u gewohnt vollzieht. Man sieht die bekannten Gesichter, es ist ein angenehmer Morgen, der Gedanke, daß einem etwas geschehen wird, kann nicht recht Wurzel fassen, bleibt abstrakt. –

      Ev: Träumereien eines Phtysikers, oder -in

      In einem Sanatorium der Schweiz, dem Hochland des common sense. Journal der Ärzte: exitus Sachbehandlung durch die Ärzte. Tochter eines Fabrikanten?

      Das Schlieferl

[1922/23?]

      In 6 Tagen schuf Gott Himmel und Erde. Am siebenten schuf er nichts. Er hatte bloß sein Gefallen an allem. Und doch entstand an diesem Tag noch ein Geschöpf. Das war das Schlieferl. Es entstand aus Gefälligkeit.

      Der hohe Herr wollen wenn ich es der hohen Einsicht anheimstellen darf, erwägen, daß ich eigentlich aus nichts bestehe, begann das Schlieferl, und da Gott allgütig ist, erwog er es. Er setzte das Schlieferl an einen Ort, wo nichts geschah und also auch dem S. nichts geschehn könnt, unter die Juristen der kk. Ministerien. Er nahm ihm vorsichtig alle Knochen aus dem Leib, gab ihm eine Haut, die so glatt und zäh ist wie das feinste Konzeptpapier, und ein Ölklystier als Seele. Mit Hilfe dieser Ausrüstung wurde das Schlieferl sehr angenehm und unterschied sich auf das Vorteilhafteste von einem gemeinen Kriecher. Auf einem Kriecher tritt man herum, was immerhin eine, wenn auch geringe Anstrengung bereitet, wenn man Schlieferl hat, bleibt man bequem im Amtsstuhl sitzen, und bei dieser Gelegenheit, also bei der Sitzgelegenheit, dringt das Schlieferl hinein und erobert sich das Innere seines Vorgesetzten. Man merkt es gar nicht, aber einmal da angelangt, wird das Schlieferl eine unentbehrliche Annehmlichkeit.

      Das Schlieferl ist liebenswürdig, das zeigt schon der Diminutiv; einen Schliefer gibt es überhaupt nicht. Es hat niemals eine eigene Meinung, sondern immer die seiner Vorgesetzten, und wenn ein Sch (besonders) geschickt ist, hat es die Meinung seiner Vorgesetzten früher als diese. Im Zweifelsfall erledigt es einen Akt so, daß man jede Meinung darin finden kann; für diesen Zweck hat es den Ministerialstil erfunden, der so ist wie wenn man einen Apfel in einer einzigen langen Spirale schält und diese dann hinlegt: tritt einer drauf, so rutscht er schon aus, da steht aber das Schlieferl schon und fängt den Vorgesetzten auf, wohin immer u stellt es der hohen Einsicht des Vorgesetzten anheim, in seine Arme zu fallen

      Eine besondre Stärke des S. ist sein Gedächtnis für Vorakten. Da es selbst, wie eingangs erzählt, nur auf Grund früherer Akte Gottes entstand, kennt es kein Ding der Welt, das es nicht mit Hilfe von Vorakten erledigte. Niemals wird ein S. seinem Chef eine neue Entscheidung zumuten, und gälte es die Welt neu zu erschaffen, es würde wissen, daß das schon einmal da war, wie es der Herr Min. Rat X. gemacht hat u wie es aufgenommen wurde. (Denn) auch für alle Personaldaten hat daher das S. ein besonders gutes Gedächtnis; die Welt verachtet es, erst was der u jener da u dann darüber gesagt hat, ersetzt ihm die Sache, wo ein Vorakt fehlt Es versteht sich von selbst, daß /.. da die geringste Rauheit mit solchem Vorwärtskommen unverträglich wäre./ denn es gehört eine unverwüstliche Liebenswürdigkeit zu dieser Laufbahn

      Die großen Erfolge, welche die S. in den Ministerien erzielten – nach einer Behauptung des Abg L. die dieser bei Begrüßung des Abg. Wense machte, sollen sie es sogar – obgleich dies durchaus die private Meinung Herrn L’s bleiben möge – bis zum S Ch. bringen – haben dazu beigetragen, daß sie sich in alle Berufe verbreiteten. Es gibt heute Schlieferin auch unter den Politikern, unter den Dichtern, den Kritikern, den Journalisten, ja es gibt sogar Schlieferin der Aufrechtheit und Überzeugungstreue. Sie passen sich natürlich jeweils ihrem Milieu an, und es ist sehr schwer sie einheitlich so zu kennzeichnen, daß jeder sie sofort herausfinden kann. Man muß die Nase für sie haben, denn sie sind wie Gerüchte, deren hauptsächlichste Eigenschaft ja auch die Substanzlosigkeit ist und die Fähigkeit durch jedes Schlüsselloch zu dringen. Sie haben nichts Festes und sind deshalb immer dort, wo etwas los ist. Sie tun niemals Übles und niemals Gutes, aber sie halten die Beziehungen zwischen allen Üblen u allen Guten der Welt aufrecht Sie bestehen überhaupt nur aus Beziehungen, denen sogar der Beziehungspunkt fehlt. Man kann an ihnen erkennen, ob es einem gut geht oder die Leute von einem sprechen oder nicht ob man augenblicklich u mehr oder weniger einen wichtigen Punkt in der Welt einnimmt (oder nicht) ob er im Mittelpunkt des Interesses steht oder passé ist.

      Deshalb sind sie unentbehrlich. Selbst der liebe Gott wüßte wahrscheinlich nicht, wie sein Ansehn wie man über ihn denkt, wenn er sie nicht aus Versehen erschaffen hätte

      Archivar

[1922/23?]

      Wo Volksgarten – Burgplatz – altes Gemäuer der alten Burg – zu den Museen, der Reitschule schweifender Blick – Portier groß u schlank – seit der Revolution ein kleiner Schnurrbart od. schon früher? – Langer blauer oder schwarzer Mantel – ein rechtwinkeliges niederes Parallelepiped als Kappe, mit breiter Goldborde.

      Einfahrt – links u rechts aufschwingende Treppen hinter Glastüren – belegte Stufen – Säle wie diese Säle sind – die man einst nur für Zimmer ansah – Man geht durch Wien, an einem regnerischen Abend – irgendwo in einer engen Gasse werden im ersten Stock Fenster geöffnet – Aufräumfrauen zünden Licht an u. eine wundervolle Decke erstrahlt, unter der man die Besenstiele u. von den Tischen in die Luft ragende Sesselbeine gewahrt.

      Wenn man aber am Min. d Aus. vorbeigeht, denkt man immer Daun, Laudon, Kaunitz – man weiß nicht warum – man erinnert sich nicht mehr.

      Eine große Glastüre mit einer kleinen Glastüre darinnen führt in den Hof – der ist weniger schön – eigentlich schon unschön – Man bemerkt, daß die Erbauer u. ersten Benutzer doch schon eine Menschenart aus zweiter Hand waren.

      Dann kommt noch ein Hof, u. in einem Winkel, bei einem großen Holzstapel führt eine enge, finstere, gewundene – man möchte glauben, schmutzige, aber schmutzig ist sie nicht! – Treppe zu den Büros des Pressedepartements.

      Es führt auch noch eine zweite breite Treppe hinauf, aber die Pressebeamten benutzen die erste, wo man unter sich bleibt u. keinem Diplomaten, sondern höchstens einem Amtsdiener begegnet.

      Oben im zweiten Stock läuft ein Gang, der zweimal einen rechten Winkel macht, einen hölzernen Fußboden hat, nicht mit Teppichen belegt u. muffig dunkel ist. Es gibt dort eine Reihe von Zimmern die auf den Minoritenplatz gehn – sie sind schön, wenn auch nicht so schön wie die Zimmer 1. Klasse.

      Es gibt in diesem Amt mehrere bürokratische Schichten – die Diplomatie – die Konsularabt – die Hilfsämter u. zw. diesen beiden od. vielleicht als letztes das Presse Dep. – Man merkt es an allem.

      Die Zimmer der Journalisten (? – eines Mitteldings …) gehn auf einen düsteren Hof – schmucklos usw –

      Im schlechtesten Zimmer – einem Kasten mit dunklem Eingang – einer geräumigen bürokratischen Hundehütte ..

      In diesem Zimmer saß an einem herrlichen Frühlingstag der Held dieser Geschichte (ich erzähle das altmodisch, weil ich eine steckenbleibende