Sybilla fühlt, wie es ihr heiß in die Wangen steigt. Das ist der alte Ton, den sie so schmerzlich an ihm vermißt hat. Sie hört immer nur: Doktor Romberg ist da. Das bedeutet, daß er ihm vertraut.
»Danke, Herr Professor«, stammelt sie, und Becker betrachtet sie nicht ohne Belustigung.
»Liegt gar keine Ursache vor.« Er schmunzelt. »Es sei denn, Sie freuen sich, daß Ihrem Herzallerliebsten kein Haar gekrümmt wird.«
»Aber – aber, Herr Professor!« Sybilla möchte vor Scham in die Erde sinken: Er hat sie durchschaut. Er weiß, daß sie Romberg mit der ganzen Glut ihres leidenschaftlichen Herzens liebt.
Wie ein Vater, gütig, wohlwollend, legt er seine Hand auf ihre Schulter. »Habe ich an etwas gerührt, dessen Sie sich selbst noch nicht richtig bewußt geworden sind? Sagen Sie dem Romberg, er sei ein ausgemachter Esel. Natürlich betrifft das sein Privatleben. Ich möchte nicht noch einmal falsch verstanden werden.«
Hilflos öffnet und schließt sie den Mund und stolpert beinahe zur Tür, die ihr der Professor galant öffnet.
Wie eine Traumwandlerin geht sie den Weg zurück zu Doktor Romberg. Bei ihrem Eintritt hebt sie ein wenig den Kopf. Gramzerfurcht sind seine Züge, und der bittere Zug um den Mund tritt deutlicher denn je hervor.
»Ich war bei Professor Becker«, springt es ihr übergangslos von den Lippen.
Er sieht sie zunächst an, als begreife er nicht. Dann geht ein Zucken über sein Gesicht. »Soo?« fragt er unbeeindruckt. »Hat er Sie zu sich gerufen?«
»Nein, ich habe ihn aufgesucht, weil – weil…« Sie kommt ins Stottern und streicht sich über die brennenden Augen.
»Was hat er denn gesagt?«
Die Gleichgültigkeit schmerzt Sybilla tief. Ist es schon soweit mit ihm, daß ihn alles nicht mehr stört? Selbst ein Urteil des Professors?
»Warum antworten Sie nicht? Sicher haben Sie über mich gesprochen. Es muß nichts besonders Gutes gewesen sein«, sagt er verächtlich.
»Der Professor meinte, Sie seien ein ausgemachter – Esel.«
Sekundenlang starrt er sie ungläubig an, dann verzieht sich sein Mund, und was sie wollte, hat sie erreicht. Doktor Romberg lacht laut und dröhnend auf. Er kann sich gar nicht wieder finden, und Sybilla tut das einzig Richtige, sie lacht mit.
*
Professor Becker besteigt vor dem Portal seinen Wagen. Gegen seine Gewohnheit hat er seinen Chauffeur schlafen geschickt, da er sich vorgenommen hatte, die Nacht im Krankenhaus zu verbringen.
Jetzt hat er sein Vorhaben aufgegeben. Er wird hinausfahren zu Christiana. Er muß sich Gewißheit holen. Er hat das Gefühl, viel versäumt zu haben. Während er von einem Kongreß zum anderen gereist ist, haben sich Dinge hinter seinem Rücken abgespielt, durch die er nicht mehr hindurchsteigt. Er geht ehrlich mit sich zu Rate. Er hat einseitig geurteilt, weil er Christiana und Martin wie seine eigenen Kinder betrachtet hat. Diese Zugehörigkeitsgefühl hat sein klares, sonst unbestechliches Urteil getrübt.
Er befindet sich in keiner rosigen Stimmung, als er durch das Tor biegt und die Auffahrt zur Stückerschen Villa nimmt.
Martin muß wach sein. Er hat ja um sechs Uhr seinen Dienst anzutreten.
Aber er kommt zu spät. Als ein verschlafenes Hausmädchen ihm die Tür öffnet, erfährt er, daß der junge Herr schon vor einer halben Stunde ins Krankenhaus gefahren sei. Die Gnädige sei spät ins Bett gekommen.
»Danke!«
Becker klettert wieder in seinen Wagen. Er wird diese unumgänglich notwendige Unterredung auf später verschieben. Er fühlt sich todmüde. Langsam erkennt er, daß er nicht mehr der vitale Mann von einst ist. Die Jugend überspielt ihn, und er ist gewillt, dem Nachwuchs die Bahn freizumachen.
*
Als Doktor Freytag, übermüdet, mißgestimmt und von Angst getrieben, durch die Halle des Krankenhauses geht, zeigt die elektrische Uhr die fünfte Morgenstunde an. Noch eine Stunde Zeit. Sie dürfte genügen, mit Magda ins reine zu kommen.
Er ist völlig durcheinandergeraten. Seine Gedanken streifen mehr Anitas Fortlaufen, als Magdas verstörtes, jammervolles Aussehen.
Wenn er es sich recht überlegt, dann hat noch keine Frau ihm so ungeschminkt die Wahrheit gesagt wie diese kleine, dunkelhaarige Person mit den funkelnden Kirschenaugen. Er hat geglaubt, über alle Frauen Macht zu gewinnen. Bei Anita sieht er sich schwer enttäuscht.
Sie ist ihm ein Rätsel. Einmal weich und anschmiegend, dann wieder kalt und abweisend und wütend auf ihn. Sie ist voller Widersprüche.
Sicher ist es das, was ihn an ihr so reizt. Noch nie hat er sich so intensiv mit einer Frau befaßt wie mit diesem jungen Ding. Woher es wohl diese Sicherheit ihrer Urteile hat? Mit einer Treffsicherheit hat sie ihm auf den Kopf zugesagt, was er anderen monatelang verheimlichen konnte.
Sie muß ihn scharf beobachtet haben. Aber das tut man doch nur mit einem Menschen, an dem man besonderes Interesse hat.
Natürlich! Sie hat ja zugegeben, daß sie ihn liebt! Aber sie hat diese Liebe sofort verleugnet oder vergessen, als er sich in ihren Augen nicht ehrlich benommen hat. Das muß er richtigstellen. Er will nicht als ein Mensch mit labilem Charakter in ihren Augen erscheinen.
Diese Gedanken beherrschen ihn, als er fast lautlos die Stufen zu der Chirurgischen Abteilung nimmt. Schritt vor Schritt setzt er. Ihm graust vor der nächsten Stunde. Nur jetzt nicht Romberg oder dieser Ärztin Sanders in die Arme laufen. Er muß mit Magda sprechen. – Anita hat lange grübelnd am Bett der ruhig schlafenden Magda gesessen. Doktor Müller meinte, sie würde einige Stunden tief ruhen. Sie möchte das kleine Abendkleid, das sie mit soviel Freude angelegt hat, nicht mehr sehen. Sie hat wonnige Stunden darin verlebt, in einer für sie völlig neuen Welt. Es war nur ein Hauch der eleganten Welt, aber er hat sie gestreift und wie betäubt. Aber was hinterher gekommen ist, das möchte sie gern aus ihrem Gedächtnis streichen.
Sie eilt in das Schwesternzimmer, wo sie auch ihren Schrank besitzt, reißt sich die blumige Seide fast vom Körper und schlüpft in das blauweiß gestreifte Schwesternkleid.
So, jetzt ist sie fertig für den Dienst. Sie fühlt keine Müdigkeit. Im Gegenteil, sie ist erregt bis in die Fingerspitzen, und sie ist sich ganz der Schwere ihres Auftrages bewußt. Vielleicht hängt sogar ein Menschenleben dar-
an?
Magda ist vorzeitig aus ihrem Schlaf erwacht. Aber auf ihre Lider drückt es wie Blei, so daß sie kaum die Augen öffnen kann. Sie will es auch gar nicht. Sie hört eine leise geführte Unterhaltung und strengt sich an, jedes Wort zu vernehmen.
Auch die Stimmen hat sie erkannt. Es ist Doktor Müller und Schwester Anita. Merkwürdig, alles läßt sie kalt und gefühllos, nicht einmal das Gefühl der Rache arbeitet mehr in ihr. Alles ist gleichgültig geworden.
Doktor Freytag hat ihre Liebe verraten, jedenfalls das, was sie törichterweise für Liebe hielt. Sie hat so fest an das späte Glück geglaubt, wenn es auch kein reines Glück war.
Allmählich nimmt sie Anteil an dem, was sie hören muß. Doktor Müllers warme Stimme dringt tief in ihr Bewußtsein ein und auch Anitas anfänglich benommene, dann immer sicher werdende.
Alles hört sie, was die beiden ihretwegen verhandeln.
Seit langer, langer Zeit zieht Ruhe in ihr Herz. Hier kann ihr nichts geschehen. Doktor Müller wacht über sie, und Schwester Anita ist mit im Bun-
de.
Es stört sie auch nicht, daß sie die Tür öffnen und schließen hört. Schwester Anita ist ja bei ihr. Sie muß ihr ein paar liebe Worte sagen, denn sie hat ihr bitter unrecht getan.
Einen kleinen Spalt nur öffnet sie die