»Magda! Hörst du mich nicht?« dringt eine Stimme auf sie ein, die sie einst betört hat, vor der sie heute Abscheu empfindet und merkwürdigerweise keine Angst.
Sie liegt reglos, als sei jedes Leben aus ihr geflohen, nachdem er sie unsanft in die Kissen zurückgleiten ließ.
Nein! Heute kann er ihr keine Angst mehr einflößen. Heute fürchtet sie ihn nicht mehr. Aber sie hängt auch nicht mehr von ihm ab. Sie sehnt sich nicht mehr nach seinen Zärtlichkeiten. Die leiseste Berührung von seiner Seite verursacht ihr körperliches Unbehagen.
»Magda!« ruft er ihren Namen in beschwörendem Ton. Sie hört, wie er sich auf den Stuhl neben ihrem Bett setzt. Nur um eine weitere Berührung seinerseits zu verhüten, öffnet sie die Lider.
Sie sieht ihn kühl aus großen, dunkelumrandeten Augen an.
»Gott sei Dank«, hört sie ihn erleichtert sagen. »Ich wollte dich um Entschuldigung bitten, Magda. Natürlich bleibt alles zwischen uns, wie es war. Du wirst doch nicht auf die kleine Schwester Anita eifersüchtig sein?«
Groß hängen ihre Augen an seinem Mund. Sie spürt die ungeheure Spannung hinter seinen Worten und gleichzeitig die immer mehr um sich greifende Müdigkeit, die ihr beinahe die Augen zudrückt.
Und doch arbeitet ihr Gehirn klar wie immer.
»Eifersüchtig?« Es kommt zwar wie ein Hauch aus ihrem Munde, doch er versteht sie gut, da er sich tief zu ihr hinunterneigt.
»Dann war es wohl auch nur Eifersucht, mit der du mich aus deinem Zimmer jagtest?«
»Magda«, versucht er sie umzustimmen. Er fühlt, daß er eine völlig veränderte Frau vor sich hat. »Vergiß doch die kleine Szene bei mir. Mein Gott! Du kennst mich doch. Manchmal weiß ich selbst nicht, was ich tue.«
»Was willst du eigentlich von mir?« fragt sie, alle Kraft zusammenreißend.
»Dich um Verzeihung bitten, ich sagte es bereits«, wiederholt er leicht ungeduldig.
»Ich habe dir nichts zu verzeihen. Du kannst zukünftig tun und lassen, was du willst.« Jetzt hebt sie den Kopf ein wenig, so schwer es ihr auch fällt. Mitten hinein in seine blauen Augen spricht sie, die sie einmal bezaubernd schön, für einen Mann viel zu schön fand. »Aber laß mich in Zukunft auch zufrieden, wenn es sich um Befriedigung deiner Gier handelt. Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Hoffentlich hast du mich richtig verstanden. Und nun bitte ich dich, geh! Wir haben uns nichts mehr zu sagen.«
Er lächelt nur ungläubig. Aber es ist nicht echt. Es kostet ihn einigermaßen Überwindung, harmlos auszusehen. Innerlich spürt er, daß sie ihm völlig entglitten ist.
Wer steckt wohl dahinter? Im selben Augenblick taucht Anita auf, sieht Freytag am Bett sitzen und kämpft mit Unbehagen und leisem Grauen.
»Du hier?« fragt er auch sofort, als sie neben ihm steht.
Sie lächelt ihn an, als sei nichts zwischen ihnen geschehen, was ihr Verhältnis zueinander getrübt hätte. »Oberschwester Magda fühlt sich nicht wohl, und da ich etwas Zeit habe, kümmere ich mich ein bißchen um sie. Wie kommt es«, lenkt sie geschickt ab, »daß du so früh schon im Krankenhaus bist?«
»Ach«, sagt er, erhebt sich und macht eine ziellose Handbewegung. »Ich hatte das unangenehme Gefühl, mich abscheulich gegen Magda benommen zu haben.«
Sie lacht leise, unterdrückt, gibt sich ganz den Anschein völliger Ahnungslosigkeit. »Ach so, das sogenannte schlechte Gewissen. Nun, wie du
siehst, hat Oberschwester Magda dein schlechtes Benehmen ganz gut überstanden. Übrigens, gleich ist es sechs Uhr. Der Oberarzt kann sehr unangenehm werden, wenn man nicht pünktlich seinen Dienst antritt. Ich werde dich bis in die Chirurgische Abteilung begleiten.« Und zu Magda gewandt, erklärt sie: »Ich hole Ihnen etwas Tee und Toast. Das wird Ihnen gut bekommen.«
Wütend, aber Anitas Energie nicht gewachsen, geht er mit ihr davon. Draußen faßt er sie am Arm.
»Anita, du kennst mein Verhältnis zu Magda«, erklärt er ihr flüsternd, denn auf den Gängen setzt der morgendliche Betrieb ein. »Bist du deshalb fortgelaufen? Ich glaube, dir einige Erklärungen schuldig zu sein.«
»Aber nicht doch«, wehrt sie leicht ab und hängt sich sogar in seinen Arm. »Was dich mit Magda verbindet, ist doch sicherlich etwas ganz anderes, als was du für mich empfindest. Oder?«
»Natürlich, ich habe es dir bereits gesagt und das ist die Wahrheit«, beteuert er, dabei hat er die elektrische Uhr im Auge. Er befindet sich in einem scheußlichen Zustand. Magda hat ihm die kalte Schulter gezeigt, und mit Anita darf er es nicht verderben. Ganz langsam muß er sie dahinbringen, wohin er sie haben will. Ob es ihm aber bei ihr gelingen wird? Teufel nochmal – denkt er, und seine Gedanken verwirren sich. Eine einzige Ampulle könnte ihn jetzt retten. Warum hat Anita ihn so einfach von Magdas Bett weggelotst?
In wenigen Minuten muß er seinen Dienst antreten, und er fühlt sich dazu außerstande.
Er wischt sich mit der Hand über die Stirn, auf der kleine Schweißtropfen stehen. Anita bemerkt es nach einem schnellen Seitenblick.
»Wer vertritt heute die Oberschwester?« ringt er sich die Frage ab. Er spürt selbst, wie unsicher seine Stimme klingt.
»Ich«, erwidert sie kurz. »Ich bringe nur schnell der Oberschwester ein leichtes Frühstück. Dann bin ich zur Stelle.«
Vor der Treppe, die zur Küche führt, trennen sie sich und unsicheren Schrittes geht er weiter.
Er fühlt sich nicht mehr wohl. Über-all spürt er Verrat und scharfe Beobachtung. Magda – denkt er – sie muß mir helfen! Sie muß!
Wenig später läßt er sich von Doktor Romberg über die eingelieferten Fälle unterrichten und nimmt dessen Anordnungen entgegen. Alles dauert ihm viel zu lange. Seine Hände zittern. Er steckt sie tief in die Taschen seines Kittels.
Erst als sich die Tür hinter den beiden Ärzten geschlossen hat, atmet er auf.
Nichts hat mehr Interesse für ihn. Kein Patient, kein Doktor Müller, der heute mit ihm Dienst tut. Er grübelt nur darüber nach, wie er in den Besitz des Giftes gelangen kann.
Magda – Anita – immer wieder kommt er auf die beiden Frauen zurück. Schließlich springt er auf und stürmt den Gang entlang. Kopfschüttelnd sieht Doktor Müller hinter ihm her, der soeben für die Patientin, die man in der Nacht operiert hat, ein Medikament holen will. Langsam folgt er dem jungen Arzt. Irgend etwas stimmt doch da nicht –?
Freytag orientiert sich mit aller Vorsicht, ob keiner auf dem Gang zu Magdas Zimmer zu sehen ist, dann verschwindet er rasch hinter der Tür.
Keuchend lehnt er sich gegen den Rahmen und reißt mit seinem Anruf Magda aus einem leichten Schlaf.
»Du mußt mir helfen, hörst du?« Ganz nahe kommt er zu ihr ans Bett, daß sie ängstlich bis an die Wand rückt.
»Ich kann dir nicht helfen – und ich will es auch nicht«, flüstert sie, und allmählich springt seine Erregung auf sie über.
»Du mußt, Magda, hörst du?« quält er sich die Worte ab. »Gleich muß ich arbeiten. Ich kann nicht – ich kann nicht. Hilf mir! Noch ein einziges Mal hilf mir.«
Aus geweiteten Augen betrachtet sie ihn. Sie weiß, dieser Mann ist fertig, erledigt. Er wird ihr nichts antun. Aber da begegnet sie seinem Blick, sie sieht das Flackern darin, und ihr ist, als umschlinge eine eiskalte Faust ihren Hals.
»Ich kann nicht, bitte, sieh es doch ein«, wimmert sie und zieht die Decke höher.
Da nähern sich ihr seine Hände, diese gutgeformten Arzthände, die schon so manchem Menschen das Leben gerettet haben und die jetzt nach ihr greifen, sie vernichten wollen.
»Hilfe!« schreit sie halb ohnmächtig auf. »Hiiilfe.«
Freytag