»Ich verstehe nicht«, wirft Romberg, hellhörig geworden, dazwischen. »Was soll mit ihm nicht in Ordnung sein?«
Doktor Sanders lächelt. Es ist ein Lächeln, in dem sich alle Erfahrungen eines Menschenlebens zu spiegeln scheinen.
»Sie sind ein tüchtiger Arzt«, erklärt er in seiner bedächtigen Art. »Sie kennen nur Ihren Beruf. Nehmen Sie sich auch die Zeit, die Menschen zu erforschen, die neben und mit Ihnen arbeiten?«
»Sie sagen selbst, mir bleibt keine Zeit.«
»Die sollten Sie sich aber nehmen. Es würde sich lohnen.« Er seufzt und sieht Romberg offen an. »Schade, lieber Romberg, daß Sie so dickfellig sind. Ich hätte Sie gern als meinen Nachfolger gesehen.«
»Doktor Romberg wird es sich überlegen«, mischt Sybilla sich erneut ins Gespräch. Sie blickt auf die Uhr an ihrem Handgelenk. »Jetzt müssen wir dich verlassen, Papa. Unser Dienst beginnt Punkt zwanzig Uhr.«
Doktor Sanders begleitet seine Besucher bis zum Wagen. Schade, denkt er bedauernd, sie gäben ein großartiges Paar ab. Aber der Mann scheint wirklich nur seine Arbeit zu ken-
nen.
*
Als Romberg seine Wohnung betritt, bleibt er wie angewurzelt in der Tür stehen. In einem der tiefen Sessel lehnt Christiana, graziös, die schlanken Beine übereinandergeschlagen.
»Du hier?« preßt er unangenehm berührt hervor. »Was willst du von mir?«
Ihr Lächeln wird spöttisch. »Ich bin sozusagen in höherem Auftrag hier. Meine Mutter schickt mich. Sie ist der Meinung, ich sei dir Dank schuldig, ich und auch Martin.«
Er macht eine herrische Handbewegung. »Ich kann mich nicht erinnern, etwas getan zu haben, wofür ihr mir danken müßtet. Überdies möchte ich von der ganzen Angelegenheit nichts mehr hören.«
»Aber du hast uns doch nun einmal geholfen«, beharrt sie mit aller Hartnäckigkeit, die er zur Genüge an ihr kennt.
Er wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Leider muß ich dich bitten, mich zu verlassen. Mein Dienst beginnt um zwanzig Uhr. Ich habe mich verspätet und muß mich noch umziehen.«
Das ist ein glatter Hinauswurf, denkt sie, und sie erblaßt.
»Und wenn ich dich nun bitte, mir wenigstens auf eine Zigarettenlänge zuzuhören?« Das klingt beinahe de-mütig.
Abermals ein Blick auf seine Uhr. Er seufzt ein wenig und setzt sich ihr gegenüber. Er reicht ihr die Zigarettendose.
»Gut, auf ein paar Minuten kommt es nicht an«, entscheidet er und gibt ihr und sich Feuer. »Was hast du mir zu sagen?«
»Hast du – Angst vor mir?« Unter langen, dunklen Wimpern trifft ihn ein werbender Blick.
»Nein!«
»Das glaube ich nicht, Wolf.« Sie zögert und schießt dann ihren Pfeil ab, der ihn verwunden soll. »Ich erinnere dich nur an den plötzlichen Tod meines Mannes.«
Ihm ist, als habe man ihm plötzlich eine Binde von den Augen gerissen. »Also Erpressung?« sagt er kalt. »So stammen wohl auch die Gerüchte um den Tod deines Mannes von dir und Martin?«
»Und wenn es so wäre?« Mit einer heftigen Bewegung drückt sie ihre Zigarette in der Aschenschale aus und springt auf. »Wolf, ich liebe dich.« Ihre Stimme ist weich und lockend, und sie ist gefährlich schön und sich ihrer Schönheit voll bewußt. »Jetzt, da alle Hindernisse beseitigt sind und ich reich bin, sehr reich sogar.«
»Hör auf«, sagt er grob und erhebt sich ebenfalls. Ihr erregter Atem, ihr schweres Parfüm streifen ihn. »Ich liebe dich längst nicht mehr und dein Geld schon gar nicht. Es ist besser, du gehst, ehe ich vergesse, daß du eine Frau bist.«
»Wolf!« Langsam füllen sich ihre Augen mit Tränen. Aber sie rühren ihn nicht. Ihn würgt der Ekel.
»Geh, bitte, geh«, preßt er hervor. »Zwischen uns liegen Welten, die uns voneinander trennen.«
Hochaufgerichtet, mit blitzenden Augen steht er vor ihr, und nie hat sie ihn mehr geliebt als in diesem Augenblick, da sie sich so sehr vor ihm demütigt.
»Wolf!«
»Es ist mein letztes Wort.« Das klingt endgültig.
Sie läßt den Schleier über das verweinte Gesicht gleiten. »Wie du willst, Wolf«, hört er sie mit tonloser Stimme sagen. »Hoffentlich spürst du es nicht einmal am eigenen Leib, was es heißt, zu lieben und die Liebe mit Füßen zu treten.«
Er hört, wie die Haustür krachend ins Schloß fällt, und geht langsam in sein Schlafzimmer hinüber. Mit wenigen Minuten Verspätung trifft er im Krankenhaus ein, wo bereits Doktor Sanders, zur Visite bereit, auf ihn wartet.
Es ist den beiden Ärzten zu einer lieben Gewohnheit geworden, um
diese Zeit noch einmal durch die
Krankenzimmer und Säle zu ge-
hen, sich davon zu überzeugen, daß alles in Ordnung ist, daß die Schwe-
stern ihre Posten für die Nachtwache bezogen haben und keiner der Kranken mit Sonderanliegen vergessen wird.
Eine Stunde später kehren sie in das Ärztezimmer zurück.
Wohltuende Ruhe macht sich in dem großen Haus breit.
Im Ärztezimmer brennt die Stehlampe und wirft einen Kreis warmen Lichtes in den Raum.
*
Christiana ist, erregt bis in die Fingerspitzen, in ihr Haus zurückgefahren. Sie hat den Wagen dem Chauffeur überlassen und eilt ins Haus.
Unschlüssig verharrt sie in ihrem Wohnzimmer, entzündet sich eine Zigarette und beginnt eine ruhelose Wanderung. Immer vom Fenster zur Tür und umgekehrt.
Schließlich kommt ihr ein Gedanke, dem sie sofort nachgeht. Sie verläßt ihr Zimmer, schlendert den Flur hinunter und sucht den linken Flügel der Villa auf, wo Martin seine Zimmer hat.
Bei ihrem Eintritt erhebt sich eine Frau aus einem Sessel.
»Guten Abend«, grüßt Christiana. »Ich wußte nicht, daß mein Bruder Besuch hat. Ich bin Christiana Stücker.«
Oberschwester Magda ringt mühsam um Fassung. »Ich weiß«, erwidert sie leise. »Ich sah Sie damals im Krankenhaus, nachdem Ihr Gatte…«
Sie verstummt, und Christiana betrachtet sie neugierig. Dann macht sie eine einladende Handbewegung. »Nehmen Sie doch wieder Platz, bitte«, sagt sie äußerst freundlich. Suchend blickt sie sich um. »Wo steckt denn mein Bruder?«
»Ich – ich erwarte ihn.« Magda nimmt auf der äußersten Kante des Sessels Platz. Sie errötet unter den prüfenden Blicken der eleganten Frau.
Hm! überlegt Christiana. Wie kommt Martin zu einer so wenig hübschen Frau? Er, der bisher nur die schönsten und begehrenswertesten Frauen um sich zu versammeln pflegte? Auf einmal weiß sie, wer diese Frau ist.
»Sind Sie nicht die Oberschwester, die damals bei der Operation meines Mannes dabei war?«
Magda nickt. »Die bin ich.« Krampfhaft sucht sie nach einer glaubwürdigen Erklärung ihres Besuches in Martin Freytags Zimmer. Aber ihr will nichts einfallen.
»Sie sind mit meinem Bruder – befreundet?« Christiana hat die Situation längst durchschaut. Ob Martin sich in dieser Schwester eine Stütze herangebildet hat?
Es muß tiefere Gründe haben, überlegt sie. Laut sagt sie sehr höflich: »Darf ich Ihnen eine Erfrischung schicken? Sie werden doch sicherlich auf meinen Bruder warten wollen.«
»Allerdings, das wollte ich. Wenn ich um