Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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war zu erregt, um gleich zu bemerken, wie still die Mutter an meiner Seite im Wagen saß; erst als wir zu Hause angekommen, erkannte ich, daß ihr etwas geschehen sein müsse.

      »Mutter, was ist dir? Was hast du?« rief ich erschrocken.

      Aber in einer Bewegung, die ihr zu sprechen verwehrte, verließ sie mich. Später suchte ich sie in ihrem Schlafzimmer auf. Sie schloß mich in ihre Arme und stammelte, wie sie schon einmal getan: »Mein armes, armes Kind.«

      Ich verstand sie nicht.

      Es lag eine drückende Stimmung im Hause, die mir meine Unbefangenheit nahm. In den nächsten Tagen fehlte auf dem Frühstückstisch die Zeitung. Da ich danach fragte, wurde mir irgend etwas entgegnet. Als ich am dritten Abend in meine Garderobe trat, hatte eine menschenfreundliche Hand, wie mir schien, sämtliche Zeitungen der Residenz auf dem Toilettentische aufgelegt. Das, was ich lesen sollte, war schön rot angestrichen. Arglos nahm ich ein Blatt zur Hand und las – –

      Ein Feuilletonartikel: Die Leseprobe der Antigone bei seiner königlichen Hoheit. Ich las und las – – Das Blatt entsank meinen Händen, ich schlug sie vor mein Gesicht. Welche Welt!

      Die Klänge der Ouvertüre schreckten mich auf. Hastig kleidete ich mich an, der Inspizient kam. Ich trat heraus und spielte – Emilia Galotti.

      Ich hatte nie so ruhig gespielt, nie so kühl. Fernow und die Mutter waren im Theater.

      Das Publikum benahm sich an jenem Abend auffallend zurückhaltend gegen mich, sogar kalt. Nun, ich kannte die Ursache. Trotzdem war man hinter den Kulissen ungemein höflich gegen mich. Seine Exzellenz zeichnete mich mit Ostentation aus. Einige Kolleginnen, zweiten und dritten Ranges, die sich bisher die Freude gemacht hatten, mich anzufeinden, wo sie nur konnten, zeigten sich beinahe liebenswürdig. Dagegen war unsere vorzügliche Tragödin, die Orsina, die mich nicht gerade liebte, hoheitsvoll.

      Ich blieb durchaus gelassen, bemerkte und beobachtete alles und dachte wieder: Welche Welt! Diesmal jedoch ohne Schmerz.

      Ich weiß nicht wie es kam; aber ich spielte den letzten Akt durchaus anders als sonst: viel zu unbewegt, viel zu römisch virginenhaft.

      Das Publikum machte diese völlig neue Auffassung stutzig. Aber nicht nur, daß es beim Schluß lebhaft applaudierte: es bereitete mir eine völlige Ovation. Ich wußte auch davon den Grund.

      Ohne die ganze Reihe der übrigen Blätter berührt zu haben, begab ich mich nach Haus. Fernow war da. Die Mutter schloß mich zärtlich in die Arme. Dennoch herrschte zwischen uns nicht die alte, innige Stimmung.

      Da Fernow nicht von meinem Spiel sprach, sprach ich davon.

      »Trotzdem haben Sie falsch gespielt,« erwiderte er ruhig. »Die Tochter des alten Republikaners Galotti ist weit mehr Weib, als die Tochter des Römers Virginius es war. Emilia Galotti wird den Prinzen lieben und weiß das sehr wohl; wie sie auch sehr wohl weiß, was daraus entstehen wird. Der Dolchstoß des Vaters ist völlig motiviert. Emilia Galotti hat nur die Wahl: entweder die Geliebte des uneigentlichen Mörders ihres Gemahles zu werden, oder zu sterben.«

      »Mag es falsch sein,« erwiderte ich ebenso gelassen. »Heute abend dünkte mir diese falsche Auffassung die richtige. Sie wird den Prinzen nicht lieben. Bei der nächsten Vorstellung werde ich wieder zu meiner alten Auffassung zurückkehren.«

      Die Mutter seufzte, Fernow lenkte das Gespräch ab.

      Eine Zeitlang schien es, als solle die Vorstellung der Antigone nicht stattfinden. Durch die Zeitungen erfuhr ich scharfsinnige, nein: pikante Andeutungen des Warum und Weshalb. Ich las sie so, wie Fernow es für eine Schauspielerin unumgänglich notwendig hielt: ohne darüber meinen Kaffee kalt werden zu lassen. Der Mutter konnte ich diese häßlichen Dinge verbergen.

      Als ich bereits glaubte, daß die Antigone wirklich unterbleiben würde, ward ich auf das Schloß zur ersten Probe befohlen. Die Mutter wollte mich begleiten; ich bat sie jedoch, mich allein fahren zu lassen. Sie war mehr schmerzlich bewegt als beunruhigt.

      Ein Kavalier empfing mich. Die Sache nahm ihren Verlauf, weder die Prinzessin noch der Prinz erschienen.

      Da die artistische Leitung außer dem Regisseur auch noch einem Gelehrten und einem Künstler übertragen worden war, so genoß ich die hohe Freude, die Einstudierung mit einer von mir ungeahnten Vollendung betrieben zu sehen. Die viele Mühe, die es kostete, war wahre Lust für mich und gern ging ich mit dem guten Beispiel voran, mich nicht ermüden zu lassen. Die erste Probe dauerte bis spät in die Nacht hinein. Obgleich recht erschöpft, fühlte ich mich doch sehr glücklich.

      Es war für uns Schauspieler eine Tafel aufgestellt worden, ich empfahl mich jedoch. Da durch ein Mißverständnis mein Wagen nicht gekommen, fand ich die Equipage des Prinzen auf mich warten.

      Jetzt folgte Probe auf Probe. Zuweilen sah ich die Fürstin, die wahrhaft mütterlich gegen mich war; seltener traf ich mit dem Prinzen zusammen. Er schien von neuem recht leidend zu sein. Seine blassen Wangen, seine brennenden Augen boten einen unsäglich traurigen Anblick. Trotz aller ihrer Haltung vermochte die Fürstin nicht, ihre wachsende Sorge um den Sohn zu verbergen.

      Er kam nicht auf die Bühne; aber ich wußte, daß er von einer dunklen Loge aus dem Spiel zusah. Manchmal war mir, als sehe ich auch die Gestalt der Mutter an seiner Seite – – war mir, als vernehme ich ein Flüstern, das wie flehende Bitte klang.

      Ahnungslos, wie die Dinge in Wahrheit standen, hatte ich, nachdem mir mein Ansuchen, daß unsere Tragödin meine Rolle übernehmen möge, abgeschlagen worden war, eine fingierte Krankheit verschmähend, mir vorgenommen, gleich nach der Aufführung um einen längeren Urlaub einzukommen. Von fast allen deutschen Residenzen, wie auch von Wien waren mir glänzende Anerbietungen gemacht worden. Nach Fernows Wunsch und meiner eigenen Einsicht zufolge hatte ich beständig abgeschlagen. Jetzt jedoch konnte ich weder ihm noch mir helfen.

      Ich kann hier nicht unterlassen, dem Benehmen der Gesellschaft gegen mich in dieser Zeit flüchtig Erwähnung zu tun. Plötzlich schien ich geradezu in Mode gekommen zu sein. Hatte man mich bis dahin mit Auszeichnung behandelt, so ging dieser höfliche Ton in einigen Salons fast in Huldigung über. Ich war überrascht, von neuem verwirrt und kehrte wieder in meine Zurückgezogenheit zurück, alle Einladungen ablehnend. Fernow, mit dem ich darüber sprach, hatte statt aller Antwort nur ein Achselzucken und ein Lächeln, das mir durchaus nicht gefiel: es war schmerzlich und spöttisch zugleich.

      So kam denn die Generalprobe.

      Ich kleidete mich zu Hause an. Ein nicht allzufeiner weißwollener Stoff war zu einem länglichen Tuche zusammengenäht worden und dieses in einfachster Weise um mich geschlagen. Ein schwarzer Schleiermantel vollendete das schöne Kostüm. Diesmal begleitete mich die Mutter.

      Bereits bei dieser Aufführung hatten wir ein zahlreich geladenes Publikum. Als ich auf die hell erleuchtete Bühne trat, begegnete ich dem Prinzen. Er sah mich an wie tödlich erschreckt, faßte sich, begrüßte mich und bat um Erlaubnis, mir im Namen seiner Mutter eine Erinnerung überreichen zu dürfen. Es war eine große antike Gemme in einen kostbaren Byrill eingeschnitten: ein Antigone. Den wundervollen Stein umschloß die edelste – die einfachste Fassung. Er wollte die Spange selbst an meine Schulter heften; aber seine Hand zitterte derartig, daß er die Gemme fallen ließ. Ich befestigte dann damit die schwere Faltenmasse des Mantels an dem Untergewand.

      Diese letzte Probe fiel vortrefflich aus. Was bei der Aufführung selbst nicht stattfinden durfte, geschah jetzt: die Künstler ernteten reichlichen Beifall. Dem nun folgenden Bankette konnte ich mich nicht ausschließen; auf den ausdrücklichen Wunsch des Prinzen blieben Schauspieler und Chor in ihren Kostümen.

      Zwei Tage darauf fand die Festvorstellung statt. Anwesend waren König und Königin, sämtliche Prinzen und Prinzessinnen, die Gesandtschaften und die ganze hohe Aristokratie. Das kleine prächtige Theater strahlte im Glanze der Lüsters. Die Seidenroben rauschten, auf den weißen Nacken funkelten Diamanten, ein feines Parfüm verbreitete sich durch das ganze Haus. Der Prinz erschien in der Uniform seines Regiments. Er führte die Königin.

      Ich spielte mit beinahe statuenhafter Ruhe.

      Nach