Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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über dem Kopf zusammenschlägt und ein Zetergeschrei anhebt, zuckt jene Aristokratin vornehm die Schultern und macht die Sache mit einer anmutigen Handbewegung ab. Ja, die Künstlerinnen haben in ihren Augen gewissermaßen das Privilegium des Mätressentums. Solange ihre Männer, Brüder und Söhne mit der Kunst vornehm tändeln, ihr Bukette und ihr Billetdoux schicken, begnügt sie sich, von ihrer Loge herab, die Dame zu lorgnettieren. Erst wenn die Sache ernsthafter wird, zeigt man, wer man ist.

      Auch hier sind also die Gegensätze so schroff wie möglich. ›Erlaubt ist, was gefällt‹ – das ist Tasso, das ist der Künstler; ›erlaubt ist, was sich ziemt‹ – das ist Eleonore, das ist die Gesellschaft – verstehen Sie recht: das ist die gute Gesellschaft! Ich sehe nicht ein, wie zwischen Tasso und Eleonore ein wirklich sicheres Verständnis herbeigeführt werden kann. Stets wird der Künstler für erlaubt halten, was ihm gefällt, stets wird die Gesellschaft nur das gestatten, was sich ziemt (wäre es auch nur der Form nach). Da solch ein geistiger gordischer Knoten sich mit keinem Schwertstreich durchhauen läßt, erkenne ich keine andere Lösung, als auch hier möglichste Trennung der Gegensätze.«

      »Sie stellen also die Kunst außerhalb der Gesellschaft. Ich begreife, daß es notwendig ist und wünsche nur, die eine von der andern gänzlich unabhängig zu machen.«

      »Den Klienten unabhängig von dem Mäzen?!« Wieder wallte es heiß in mir auf.

      »Sie erniedrigen die Kunst! Was sonst machte sie so stolz und so schön, als daß sie frei ist?!«

      »Sie sind ja wohl Hofschauspielerin, liebe Freundin?« ward mir mit einem feinen Lächeln erwidert.

      Ich mußte schweigen.

      »Nein,« fuhr er fort, »die Konflikte sind nicht zu vermeiden, darauf müssen Sie sich vorbereiten.«

      »Weshalb? Wenn ich bürgerlich – wenn ich gesellschaftlich korrekt lebe?«

      »Sie sprechen ein großes Wort gelassen aus. Denken Sie an unsere Tote.«

      »Sie war unglücklich; könnte ich nicht glücklich sein?« erwiderte ich mit etwas unsicherer Stimme. »Warum könnte ich das nicht?«

      »Weil das Leben es nicht zulassen wird. Wie stellen Sie sich denn eigentlich Ihren Zustand vor? Sie selbst sehen ein, daß diese Abgeschlossenheit unnatürlich ist, daß sie aufhören muß. Ohne daß Sie wollen, werden Sie erfahren und erleben müssen. Sie werden in die Welt treten, Sie werden gefeiert, Sie werden geliebt werden – Sie werden lieben. Jung und sehnsuchtsvoll, wie Sie sind, werden Sie das bald. Was soll dann geschehen?«

      »Ich weiß es nicht! Wie soll ich das wissen?' murmelte ich.

      »Richtig: wie sollen Sie das wissen. Und doch könnte es gut sein, sich in Ihrer Seele darauf vorzubereiten.«

      Ich stand auf, auch die Mutter regte sich. Fernow war so bleich, daß mir sein Anblick Schmerz machte.

      Diese Nacht schlief ich nicht. Als der Morgen graute, hielt ich es nicht länger aus. Ich schlich mich in das Schlafzimmer der Mutter, setzte mich an ihr Bett – hier ward ich ruhiger.

      Bald nach diesem Gespräch entriß ich mich der Einsamkeit meines Privatlebens.

      »Frisch hinein in den Wogenschlag!« ermutigte mich Fernow. »Es ist kein Meer, darin ein starker Schwimmer untergehen könnte. Je eher Sie damit anfangen, desto schneller kommen Sie damit Zu Ende. Bis jetzt ist noch zu vieles Illusion für Sie. Diese muß durch Erfahrung zerstört werden, denn bei Illusionen solcher Art wirkt selbst die harmloseste verderblich. Sie gibt falsche Begriffe, also Unwahrheiten.«

      »Ich denke, daß ich zu sehr Ihre Schülerin bin, um zum Beispiel die Illusion: Gesellschaft, zu besitzen, mein Herr Demokrat. Wenn ich nur deshalb in diese Scylla und Charybdis hinein soll, bleibe ich lieber auf sicherm Lande.«

      »Es hilft Ihnen nichts – hinein müssen Sie!« meinte der Unerbittliche. »Also die Augen zu und den Sprung getan.«

      »Ich will mutig sein und die Augen lieber offen behalten.«

      So geschah es denn auch.

      Ich ging in die Welt, ließ mich einführen, gab Karten ab, nahm Einladungen an, besuchte Diners und Soupers, eröffnete selbst einen Salon.

      Wie ich in kurzer Zeit der erklärte Liebling des Publikums geworden, so fuhr man auch jetzt fort, über Gebühr liebenswürdig gegen mich zu sein. So mußte ich denn allerdings meine Augen recht offen behalten, um nicht, entweder mit Undank zu sehen, oder mich durch Schein blenden zu lassen.

      Ich hatte mir vorgenommen, alles möglichst gelassen zu betrachten. Alles möglichst gemächlich auf mich wirken zu lassen, alles mit Vorsicht, aber ohne Argwohn aufzunehmen. Sehr erstaunt war ich, als mir von verschiedenen Seiten zu verstehen gegeben ward, daß man auch hier wiederum meine ›Routine‹ bewundere. Ich benahm mich zwanglos und natürlich; es war also bei meinem Auftreten nicht die geringste Kunst. Oder glaubte die Gesellschaft, daß sie jedem Neuling imponieren müsse? Imponieren – wodurch? Durch Äußerlichkeiten?! Ohne die Absicht zu haben, mit meinem besseren Wesen zurückzuhalten, mußte ich das doch tun, als ich einsah, daß man dieses Mitteilen meines Ichs durchaus nicht von mir wollte. In eleganter Form wurde Leichtes und Leichtestes ausgegeben und nichts anderes vom anderen verlangt. In dem Bewußtsein meiner Aufrichtigkeit konnte ich gelassen, ja heiter beobachten, wie sie um mich her aufrichtig waren. Es erwies sich, daß ich mich recht erkannt hatte: die Illusion einer Welt, wie sie sich mir auf glattem Parkett, unter Kerzenglanz und Parfüms mit flimmernden Ordensbändern und rauschenden Roben präsentierte, besaß ich nicht, konnte mir also gar nicht zerstört werden. Da ich keine großen Erwartungen mitgebracht hatte, blieben mir große Enttäuschungen erspart. Ich mußte mich fragen: Was wollen diese Menschen, was bezwecken sie? Und mußte mir antworten: Sie wollen ihr Leben genießen und das auf eine Weise, wie sie jedem bequem ist. Da mußte denn vor allem schwerfällige Ernsthaftigkeit und mühsamer Verbrauch von Gedanken und Empfindungen abgetan und verbannt werden. Vor allen Dingen keine Sentimentalität und vor allen Dingen leichte, anmutige Formen! Man wollte nicht unterhalten werden; man redete nicht, sondern man machte Konversation. Statt gründlich zu sein, war man mit Anmut oberflächlich; statt ernsthaft mit Vorsicht, pikant; wie man denn auch statt liebenswürdig galant war und statt in einem schönen Sinne menschlich, im aristokratischen vornehm. Immer bezeigte man sich zufrieden mit Form, niemals forderte man Wesen.

      Es war für mich, die Schauspielerin, schließlich ganz lustig, zu sehen, wie sie um mich schauspielerten. Die Komödie, oder vielmehr das Spektakelstück: die Gesellschaft, war mit einem Glanz in Szene gesetzt, dagegen sich unsere Regisseure als wahre Pfuscher vorkommen mußten. Die Dekorationen waren kostbar, die Kostüme prachtvoll. Von dem Wirrwarr und dem Unerquicklichen hinter den Kulissen sahen selbst die Akteure nichts. Ganz vortrefflich, geradezu meisterhaft, war das Ensemble. Jeder hatte seine Rolle im Kopf, jeder wußte genau, was er zu sprechen, zu tun – was er zu denken habe. Jeder kannte genau seinen Platz, brauchte weder Souffleur noch Stichwort und spielte seinen übernommenen Saloncharakter, als ob er ihn lebe.

      Was nun das Stück selbst anbetrifft, so fällt mir nicht ein, mich sittlich darüber zu entrüsten. Daß es den Stempel seiner französischen Mache trug, war allerdings nicht zu leugnen. Die meisten Gestalten waren typisch. Die treulose Frau, die vornehme Verschwenderin, die vornehme, problematische Natur, der Roué, der Parvenü, der aristokratische Gründer, die aristokratische Dirne und was dergleichen stereotype Personen eines »modernen« Sittengemäldes mehr sind.

      Man pflegt unsere Geselligkeit Zerstreuung zu nennen und gibt damit dem Ding seinen Namen. Alle die Menschen, die sich so geräuschvoll um mich her bewegten, schienen nur von diesem einen Bedürfnis beseelt zu sein. Zugleich hörte ich, wie die Gesellschaft forderte, gewissermaßen als geheiligtes Institut betrachtet zu werden, als Repräsentantin höchster Sittlichkeit. Zu dem Adel des Namens legte man sich mit großem Nachdruck den Adel der Gesinnung bei. Indem man sich für das Zentrum aller Würde und Vornehmheit hielt, warf man sich zu der souveränen Machtgeberin auf, die nicht nur sich selbst ihre Gesetze gab, sondern auch allem, was nicht aristokratisch – also vasallisch – war, vorschreiben wollte: La monde, c'est moi.

      Was mir persönlich am